laut.de-Kritik

Warum neu erfinden, was schon jetzt so wunderbar klingt

Review von

Anmerkung des Autors: Dies ist der Versuch, das neue Album der Britpop-Heroen einmal von vorne nach hinten, also gewissermaßen chronologisch zu besprechen.

Ganz vorne:
Das lang herbeigesehnte vierte Studio-Werk kommt pünktlich Ende Februar in die Regale der Plattendealer. Auf dem Cover prangt neben dem gemalten Panorama Manhattans der Titel des Albums, der in ähnlicher Form auch den Rand der 2-Pfund-Münze ziert. "If I've Seen Farther Than Others, It Is Because I Was Standing On The Shoulders Of Giants". Das hat Sir Isaac Newton mal gesagt, um zu erklären, warum er viel schlauer war als alle anderen. Und wenn man Noel in der letzten Zeit aufmerksam zugehört hat und dann noch den "Parental Advisory"-Sticker vom Album abknibbelt, kann man auch das eigentliche Haupt-Motiv erkennen: vier mit einem Ball spielende Etwasse auf einem der Hochhausdächer. Aha, naja, wieso nicht? Aber wir haben schon bessere Cover-Artworks gesehen.

Mittendrin:
Die Vorab-Single "Go Let It Out" hat schon klar und deutlich aufzeigt, wie perfekt das Oasis-Konzept aufgebaut ist: Man hört den Song zum ersten Mal und stellt fest, dass sich genau diese Melodie, überhaupt die ganze Liedstruktur, schon seit geraumer Zeit durch die eigenen Gehörgänge windet, man glaubt den Song schon seit Jahren zu kennen. Nix wirklich Neues, dafür aber wunderschön und getreu der Devise "warum den Britpop neu erfinden, wenn er doch so prima funktioniert".

Aber nicht das ganze Album ist so überschaubar, Oasis überraschen schon hier und dort mit etwas Unerwartetem. Das Intro "Fuckin' In The Bushes" zum Beispiel, ein bis auf wenige "Sprach-Samples" rein instrumentales Stück, ist einfach nur gut. Gut, weil konsequent. Kein Schnick-Schnack, ein Leitmotiv, drei Minuten lang aufgebaut, kurz ausgekostet und beendet. Das macht Lust auf mehr.

Zum ersten Mal in der Karriere der zwei (un-)gleichen Brüder aus Manchester hat es mit "Little James" ein von Liam geschriebener Song auf ein Album geschafft. Ein Lied, dessen Video man sich schon jetzt prima im Kopf zusammenzimmern kann: Ein mit Spezialfiltern extrem psychedelisch verfärbter Liam Gallagher mit runder Brille und Schlaghosen taumelt durch brusthohes Gras und spielt mit seinem kleinen Sohn, hier und dort wird die auf japanisch getrimmte Patsy eingeblendet, und am Schluß werden alle, vor einem der auf dem Cover abgebildeten Bürohäuser, erschossen. Viel Freiraum bietet der Song, in dem der "Möchtegern-John-Lennon" Liam seinen Beatles-Komplex endlich mal (Danke, Noel!) öffentlich ausleben darf, nämlich nicht. Eigentlich gar keine. Aber: Niemand (und erst recht nicht der Autor dieser Zeilen) möchte John Lennon unterstellen, schlechte Songs geschrieben zu haben. Und gut gekupfert ist halb gewonnen. Aber eben nur halb.

Mit "Where Did It All Go Wrong" und "Sunday Morning Call" ist gleich zweimal die Stimme von Noel Gallagher zu hören, und wenn nach diesem Doppelpack plötzlich wieder dieser "Wer war das nochmal?" den Gesangspart übernimmt, kommt zumindest mir wieder mal die Frage auf, wieso Noel seinen kleinen Nerv-Bruder überhaupt noch bei Oasis singen lässt. Aber das mag dieses Mal auch an der wunderschönen Pop-Ballade "Sunday Morning Call" liegen, dessen Melodie die eher dahingerotzte "I Can See A Liar"-Refrainzeile um Längen übertrifft. Was wiederum nicht heißen soll, dass Letztgenanntes nicht auch seinen Reiz hätte. Schnell, dynamisch, wenig Geschnörkel - zusammengefasst: Oasis-Punk, wenn man sowas überhaupt sagen darf.

Und dann dieses zehnte Lied - der Albumbeender. Mit "Roll It Over" überkommt einen ein Gefühl, das einen schon fast (aber wirklich nur fast) an solch glorreiche Produktionen wie "Champagne Supernova" erinnert. Genauso episch anmutend, verziert mit pink-floydesken Gitarren-Elementen, schickt es den Hörer auf die Reise; schließlich ist danach ja Schluß mit der Platte.

Alles in allem ist "Standing On The Shoulder Of Giants" ein Album, das durchaus den Interpretennamen "Oasis" verdient hat. Auch wenn sich Noel diverser Elemente bedient, die schon den Beatles zu großen Erfolgen verholfen haben (an dieser Stelle seien nur die verzerrten Hammond-Orgeln erwähnt) und auch die erfolgreichen "Be Here Now"-Komponenten nicht verpöhnt hat, so hat er es dennoch irgendwie geschafft, den "Kenn-ich-ja-schon-alles"-Effekt bei den Hörern zu vermeiden. Das Album entfaltet besonders nach mehrmaligem Genuß seine Wirkung und macht die Enttäuschung über das schwache B-Seiten-Album "The Masterplan" schnell vergessen.

Ganz hinten:
Jetzt noch schnell die CD rumgedreht, allzu spannend ist die Rückseite des Albums allerdings nicht. Zehn Liednamen stehen da, und da fällt einem sofort auf, dass das Anhören der Songs ein nicht gerade langes Musik-Ereignis war - genaugenommen haben sich Oasis zu knapp 48 Minuten neuem Material hinreissen lassen. Und ein wenig weiter herumstöbert, blickt mich dann noch der Name der Plattenfirma fragend an: "Helter Skelter".
Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

Trackliste

  1. 1. Fuckin' In The Bushes
  2. 2. Go Let It Out
  3. 3. Who Feels Love?
  4. 4. Put Yer Money Where Yer Mouth Is
  5. 5. Little James
  6. 6. Gas Panic!
  7. 7. Where Did It All Go Wrong?
  8. 8. Sunday Morning Call
  9. 9. I Can See A Liar
  10. 10. Roll It Over

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