laut.de-Kritik

Olli in der Geisterbahn. Gruselige Ausbrüche garantiert.

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Unvergessen: Olli Schulz als Charles Schulzkowski auf der Berlinale 2012, besoffen am roten Teppich. Das ist menschlich und sehr amüsant. Doch auch ein Schulz wird ruhiger und beweist das 2018 gleich im Song "Schockst Nicht Mehr", der ersten neuen Anekdote auf "Scheiß Leben, Gut Erzählt". War der nicht mal mehr Punk? Zumindest mehr Rumpel und Witz an der Gitarre? Ok, "Mach Den Bibo" war jetzt auch mehr ein sinnfreier Hit, ist ja auch ewig her, aber dazu konnte man immerhin ganz gut tanzen.

Doch Olli sehnte sich offenbar nach einem neuen Genre und ist in der gefühlsduseligen Liedermacher-Diskothek fündig geworden. Dazu darf auch gerne ein Herrengedeck gereicht werden. Nach eigener Aussage sollte "Scheiß Leben, Gut Erzählt" wie ein Mixtape für die Autofahrt funktionieren. Klingt leider eher nach Geisterbahn. Gruselige musikalische Ausbrüche garantiert. Wo bitte ist der nächste Notausgang? Bitte nicht falsch verstehen: Ollis Scheiß-Leben klingt jetzt nicht durchweg kacke. Wenn er seine Geschichten vom Wegesrand erzählt ("Junge Frau Sucht..."), dann passt der flotte Gitarrensound immer noch am besten zu ihm.

Die "Ganz Grosse Freiheit" ist ein Einblick in die Erwachsenenseele. Gemischte Gefühle zwischen Dispo und Disko, Business und Realität: "Wenn die Magic nicht mehr da ist, wenn der Zauber langsam geht, wenn der Vorhang sich zwar öffnet, doch auf der Bühne keiner steht." Volle Fahrt voraus? Nö. Die sphärische Rocknummer kommt leider nicht so richtig in die Gänge. Die ganz große Liebe, die bittere Wahrheit, ja, die kann schon mal wehtun. Wenn Künstler versuchen zu rappen oder sich irgendwie im Sprechgesang verlieren, dann tut das immer crazy weh. "Ambivalent", my ass. Da hilft auch kein Gast-Rapper.

Wenn Olli so Auto fährt wie sein persönliches Mixtape klingt, dann gute Nacht. Jede Musiklandschaft wird mal kurz angefahren. Kloppen wir das mal alles auf ein Album. Der Moses wird es schon richten (Schneider, Produzent von u.a. Tocotronic, Beatsteaks). Seine "Feelings Aus Der Asche" klangen vergleichsweise ernstzunehmender, sortierter und man nahm ihm die Liebe zur Musik sofort ab ("Als Musik Noch Richtig Groß War").

Jetzt versucht Olli alle Genres dieser Erde in ein Album zu packen. Nach dem Rap folgt ein Stroh-Rum-Reggae für den schwitzenden Körper. Komm, lass uns noch mal so richtig einen durchziehen. Aber hoffentlich kommt für "Wölfe" auf der kommenden Tour nicht auch noch Joy Denalane als Gastsängerin mit auf die Bühne wie kürzlich bei Tocotronic in Berlin. Das war von hinten wie von vorne ganz schrecklich.

"Ja, wir wachsen wachsen wachsen, irgendwann sind wir erwachsen", heißt es in "Wachsen (Im Speisesaal Des Lebens)". Der eine mehr, der andere weniger. Olli Schulz ist ein Multi-Talent: Entertainer, Schauspieler, Musiker, Moderator, Sauf-Kumpel, Vater, Mutter, Teilzeit-VIP. Vor allem ist er aber ein Erzähler, er redet viel, das kann er. Quatschen ohne Ende. Gerne im Duell mit seinem TV- und Radio-Kumpel Jan Böhmermann. Irgendwann verliert man da den roten Faden. Bei "Scheiss Leben, Gut Erzählt" findet man ihn erst gar nicht.

Mit Hund sang Olli früher Zeilen wie "Manchmal singt man Lieder, die hält man selbst kaum aus" ("Jetzt Gerade Bist Du Gut") oder "Brichst Du Mir Das Herz, Dann Brech' Ich Dir Die Beine", schön melancholisch und der Humor angenehm zwischen den Melodien. Hymnen, die das Leben schreibt. Wo sind sie geblieben?

Die Kurve bekommt Olli hier nur kurz mit "Skat Spielen Mit Den Jungs". Da beschreibt er Traurigkeiten, die man sofort nachvollziehen kann. Augenblicke des Betrugs. Zum Schluss kleckert er noch Erinnerungen an Omas Erbsensuppe hin: "Ich mein, wie nennt man es sonst, wenn man besinnungslos am Boden kriecht, also sagte ich Omi, deine Suppe schmeckt, wie Pisse riecht." ("Schmeckt Wie...") Das reimt sich, mehr aber auch nicht. Olli steht jetzt nicht mehr besoffen neben dem roten Teppich, sondern beschwippst auf ihm und schwankt zwischen Punk und Glamour. Der Musik hat das nicht wirklich gut getan.

Trackliste

  1. 1. Schockst Nicht Mehr
  2. 2. Ganz Große Freiheit
  3. 3. Ambivalent
  4. 4. Wölfe
  5. 5. Wachsen (Im Speisesaal Des Lebens)
  6. 6. Junge Frau Sucht...
  7. 7. Skat Spielen Mit Den Jungs
  8. 8. Sportboot
  9. 9. Schmeiss' Alles Rein
  10. 10. Schmeckt Wie...

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18 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Hatte mich extrem auf dieses Album gefreut, wollte es mir auch direkt am Freitag holen. Zum Glück hab ich es mir vorher angehört. Wurde lang nicht mehr so enttäuscht von einem Album und das, obwohl ich schon darauf eingestellt war, dass mir immer vereinzelte Lieder bei Olli Schulz Alben nicht gefallen (meistens die "Mach den Bibo"s auf den Alben, wo er seine von mir so geliebte Melancholie komplett fallen lässt), die aber von ein paar genialen Songs wieder ausgeglichen werden. Diesmal leider kein wirkliches Highlight, am ehesten noch "Junge Frau sucht" oder "Skat spielen mit den Jungs".

  • Vor 6 Jahren

    Olli Schulz ist für mich der bedeutenste Künstler der Nachkriegszeit.

  • Vor 6 Jahren

    hank chinaski stand diametral entgegengesetzt für alles, was O.Schulz zu verkörpern versucht und dennoch scheitert