laut.de-Kritik
Klassik statt Klassenkampf - der Modfather mit Orchester.
Review von Ingo ScheelEigentlich ist es der logische Schritt in der kreativen Verwertungskette: Nach dem reduziert-ruhigen Album "True Meanings" hat sich Paul Weller im Herbst vorigen Jahres wieder einmal aufgemacht, die ehrwürdige Royal Albert Hall in London zu bespielen. Im Unterschied jedoch zu den ebenfalls karriereübergreifenden Sets der letzten Jahre, darunter auch eine umjubelte Bühnen-Reunion mit seinem alten Freund und The-Jam-Bassisten Bruce Foxton, sollte es diesmal das ganz große Besteck sein.
Und was passt am besten in einen derart historischen Saal? ein Orchester natürlich. Ehre, wem Ehre gebührt: Es handelt sich hier um das London Metropolitan Orchestra, beim Songs "Books“ zudem verstärkt durch Lucy Rose und drei weitere Musiker, nämlich Sheema Mukherjee, Kamalbir Nandra und Tofail Ahmed, die Sitar, Tanpura und indische Violine spielen, arrangiert hatte das Ganze die Dirigentin des Abends, Hannah Peel.
Da mag Weller im Vorfeld noch ein paar dezente Zweifel an sich geäußert haben, ob des Umfangs dieses Projekts, das Ergebnis ist dennoch die erwartete, bis ins Detail superb abgelieferte Gala. Den Kern bildet das aktuelle Album, in den UK-Charts bis auf Platz zwei, in Deutschland auf 19 vorgedrungen, mit satten elf Songs, drumherum gibt es Weller-Delikatessen aus vier Dekaden. Solo-Großtaten wie "Among Butterflies", der bernsteinfarbene Hochzeits-Crooner "You Do Something To Me" oder das folk-grundierte "Wild Wood", allesamt auf zig Setlists der letzten Jahre vertreten, erfahren so einen überaus schmucken Neuanstrich.
Auch Wellers unvergessene Formationen kommen zum Zuge. Von Style Council sind die Smasher "Have You Ever Had It Blue" und "A Man Of Great Promise" zu hören und belegen auch auf dem Klassik-Fundament, dass diese Tracks von jeher keine Halbwertszeit kannten. Gleiches gilt umso mehr für die frühen Großtaten seines Trios The Jam. "Boy About Town"ist deutlich umarrangiert und klingt so wie eine George-Harrison-Komposition der späten Beatles, "Private Hell" bietet Kammerpop-Drama, spannungsreich und dezent düster, "Tales From The Riverbank" ist hypnotische Folk-Grandezza, verhuscht wie an einem nebligen Morgen im Laurel Canyon komponiert. Alles in allem nichts weniger als Meisterklasse. Die einzige Frage, die bleibt: Womit kommt Weller, in den letzten anderthalb Dekaden ein Meister im Hakenschlagen, wohl als nächstes um die Ecke?
2 Kommentare
Paul Weller und Bryan Ferry verwursteln/recyceln Ihr Repertoire in neuen musikalischen Gewändern. Kann man machen, wobei es in den meisten Fällen künstlerisch nicht notwendig gewesen wäre.
„Tales From the Riverbank“ lohnt schon den Kauf.