laut.de-Kritik

Still alive und unterwegs zu neuen Höhen.

Review von

Jubiläen sind komisch, das sieht man bei jeder Familienfeier. Auch bei Bands liefern Jahrestage immer Anlass zur Rück-, Um- und Vorschau. Das 20-jährige Bestehen Pearl Jams vor zwei Jahren wirkte erstaunlich positiv und lebensbejahend. Rund herum fanden Aufnahmesessions für ein neues Album statt, beflügelt von den "Hurra, wir leben noch"-Chören, die rund um die Dienstältesten aus Seattle anhoben.

Doch irgendwas fehlte. Zu einfach und ganz und gar nicht Pearl Jam-like wäre gewesen, eine euphorische Sammlung spontaner Ideen auf Platte zu pressen. Genau fünf Personen auf diesem Planeten machen immer wieder unter sich aus, wohin die Reise dieser Band geht. Sie legten die Songs auf Eis, und man ging seiner Wege, ohne irgendetwas abzuschließen. Etwas Zeit ließen sie ins Land gehen. Drummer Cameron gärtnerte derweil fleißig im Soundgarden, Stone Gossard vertiefte sich wieder in Brad und seine Soloarbeit.

Irgendwann Anfang 2013 fanden sich die getriebenen Mannen um Eddie Vedder aber doch wieder in einem Studio zusammen und bastelten an neuen Visionen, die dem 18 Monate alten Material beistehen könnten. Zweimal zehn Studiotage sollen alle Aufnahmen gedauert haben, dann war der Spuk vorbei und "Lightning Bolt" unter Dach und Fach.

Im Vergleich zum politischen Rockpamphlet "Pearl Jam" und dem folgenden hoffnungsvollen Ausatmen "Backspacer" dreht "Lightning Bolt" an allen Schrauben des gemeinschaftlichen Konstrukts seiner beiden Vorgänger und ist dabei konsequent auf Fortschritt aus. Klingt jetzt alles wie deutscher Autohersteller, doch nach einigen Hördurchläufen weiß man: Dieses Album geht den einen Schritt weiter, denkt die Einfälle um genau das eine Detail weiter, traut sich das eine Wagnis mehr zu - und hat damit Erfolg.

Pearl Jam lassen dem Zorn ungebremst freien Lauf, die Hymnen explodieren bombastischer, die Experimente fallen stärker aus der Reihe. Selbst die folkigen Naturstorys riechen nach dichten Nadelwald und zugeschneiten Berggipfeln. Wenn schon Ballade, dann groß und mächtig. Keine halben Sachen. Sie mischen schon zu lange mit, als dass Erwartungshaltungen noch irgendeine Rolle spielen.

Trotzdem fiel schon lange nicht mehr so leicht, sich in den anschwellenden Enden der Songs mit Haut und Haar zu verlieren, aus seinem Sessel zu springen und der Musik das Ruder zu überlassen. Der sich vor elektrischer Spannung schier schüttelnde Titeltrack "Lightning Bolt", der Dammbruch-Refrain in "Infallible", das weltumarmende "Swallowed Whole": intensive Songs, die mühelos in tiefsten Ebenen der Emotionen schürfen und diese in unverfälschter Art und Weise zutage fördern.

Einen Song perfekt auf den Höhepunkt zuschneiden konnte der Fünfer aus Seattle schon in den glorreichen Anfangsjahren. Die Rockbreitseite zu Beginn eines jeden Pearl Jam-Albums hat sich ebenfalls nicht verändert. Hier nimmt sich ein zorniger Eddie Vedder viel Platz, um im bissigen "Getaway" und dem Punk-Gewitter "Mind Your Manners" ordentlich mit religiösen und gesellschaftlichen Verfehlungen abzurechnen. Wütend äußert sich auch "My Father's Son" mit einer dominanten Bassline und keifenden Vocals.

"Sirens" brachte mancher schon im Vorfeld mit dem "Ten"-Glanzlicht "Black" in Verbindung, ein Vergleich, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. "Sirens" scheint zwar von der instrumentalen Komposition Mike McCreadys inklusive leidendem Gitarrensolo her simpel gestrickt, in Verbindung mit Eddies Vocals greift der Song mit seiner quasi pausenlosen Progression nach oben direkt nach dem Herz wie zuletzt höchstens "Just Breathe".

Der Mann mit der tiefen Reibeisenstimme markiert generell immer noch die erste Anlaufstelle inmitten der vielseitigen Instrumentierung, die Haus und Hof-Produzent Brendan O'Brien ungemein rund in Szene setzte. Sein Melodieverständnis baut nicht auf offenkundige Hooklines, doch verschafft genau das dem Gesang eine längere Halbwertszeit. Auch auf Album Nummer zehn findet Herr Vedder lyrisch wie melodisch unzählige spannende Ansätze.

Auch "Pendulum" wählt nie den Weg des geringsten Widerstands, ein düsteres, atmosphärisches Stück, losgelöst von Groove und durchaus als Albumstopper zu sehen. Der unangestrengt wirkende Blues von "Let The Records Play" rückt seine Schlüssigkeit in Verbindung mit seinem Finale ebenfalls erst nach einigen Durchläufen heraus. Die Bandversion von Eddies Ukulele-Nummer "Sleeping By Myself" übersetzt Matt Camerons Schlagzeugspiel lückenlos in die Folk-Welt, in der dann "Yellow Moon" zeigt, dass "Into The Wild" mit voller Pearl-Power um keinen Deut schlechter ausgefallen wäre.

Stillstand kann man Pearl Jam auch nach über 20 Jahren nicht vorwerfen. Mit "Lightning Bolt" erreichen die Songs wieder das bisschen Extraklasse, das schon auf "Backspacer" öfter drin gewesen wäre. Der Blick verweilt nun am Horizont, mit Gewitter oder ohne.

Trackliste

  1. 1. Getaway
  2. 2. Mind Your Manners
  3. 3. My Father's Son
  4. 4. Sirens
  5. 5. Lightning Bolt
  6. 6. Infallible
  7. 7. Pendulum
  8. 8. Swallowed Whole
  9. 9. Let The Records Play
  10. 10. Sleeping By Myself
  11. 11. Yellow Moon
  12. 12. Future Days

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Pearl Jam – Lightning Bolt [Vinyl LP] €24,99 €3,00 €27,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Pearl Jam – Lightning Bolt by Pearl Jam (2013-10-15) €49,63 Frei €52,63

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Pearl Jam

Am Anfang steht ein tragischer Todesfall: Andrew Wood, Sänger der Band Mother Love Bone, der auch Stone Gossard (geboren am 20. Juli 1966) und Jeff Ament …

14 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Was freue ich mich auf das neue Album von Pearl Jam. Wurde nach 4 Jahren auch Zeit. Die bisherigen drei Vorboten versprechen ein gutes Album.

    Zusätzliche aktuelle Infos findet ihr hier: http://platten-blog.de/pearl-jam-lightning…

  • Vor 11 Jahren

    Ja, die Scheibe ist definitv sehr sehr gut ... must buy als Vinyl.

  • Vor 11 Jahren

    Jetzt bin ich aber doch neugierig geworden. Die ersten drei Song klangen für mich wie x-beliebiger Garage Rock, ohne diese euphorischen Peal Jam Elemente, die alle Scheiben bis Vitalogy zu Klassikern gemacht haben. Aber gut, die fetten Gitarren und Soli sind ja seit Mitte der 90er eher in den Hintergrund gerück. Auf dem letzten Album fand ich "Amongst the Waves" genial, indem der Track den Garage Rock mit Gitarren, die von "Ten" hätten stammen können, vereint hat. Ich lass mich aber gerne eines besseren belehren, da ich die drei Songs wirklich nur schnell im Stream gehört habe.