laut.de-Kritik

Wohl dem, der ihn live sehen durfte.

Review von

Die Uhr schlägt 1 Uhr in einer eiskalten Dezembernacht 2009, doch die Weihnachtsfeier in der Halle erreicht ihren Siedepunkt. Angetrunkene AnzugträgerInnen wanken auf die Tanzfläche vor der Bühne. Nach A-ha, No Angels und Sunrise Avenue wollen die Mitarbeitenden der Media Market- und Saturn-Holding nun jeden Schweißtropfen vom Hauptact, von Deutschlands own Bruce Springsteen im Cola-Rum schmecken: Mit dem brachialen "Sonne in der Nacht"-Riff eröffnet Peter Maffay - und enttäuscht keinen im Saal. Die damals schon alte Legende liefert ab, als wäre er ein 20-jähriger Nachwuchskünstler auf dem Weg nach oben. Die noch rund 200 Leute toben und fragen sich am nächsten Morgen: Wie macht der das?

Die Antwort: Wenn deutsch-protestantischer Leistungsfokus auf kreatives Talent trifft, auf geringe Körpergröße und den Wunsch, als Einwandererkind etwas beweisen zu wollen, entsteht ein Lebenswerk monumentalen Ausmaßes. Jetzt nach 55 Jahren im Showbiz spielte Peter Maffay 75-jährig seine letzte Tournee - und das gitarrenschwer, ehrlich und schweißtreibend wie eh und je.

Passend zum Joan Jett'schen Motto seiner Abschiedstournee eröffnet Peter Maffay das Konzert vor 60.000 Fans im Leipziger Zentralstadion mit zwei Songs seiner Stirnband-Rockerphase 1984. "Schatten In Die Haut Tätowiert" von seinem härtesten Album "Carambolage" grölen auch nach 40 Jahren noch die Hells Angels-Rocker der ersten Generation im Altersheim mit, und der Titeltrack pusht das Tempo mit dem fast metallischen Riff auf der Landstraße in die Punktezone. Peter hat doch Humor - zumindest ein wenig.

Nach dem energiegeladenen Anfang drosselt er das Tempo und führt das Publikum mitten in den Schlagerschmalz Anfang der 70er. "Du" swingt leichtfüßig übers Parkett, doch Peter ist trotz aller Hits kein Udo Jürgens. Der Rock'n'Roller steht ihm besser ("Samstag Abend In Unserer Straße") genauso wie der melancholische Melodic Rock ("Weil Es Dich Gibt"), Letzteres einer seiner Klassiker, die oft im Schatten von Songs wie "Und Es War Sommer" standen. 2024 verstört der Text jedoch mehr, als dass man ihn genießen kann. Gleiches gilt für seine Ankündigung der Anti-Aufrüstungshymne aus dem Kalten Krieg. Vor "Eiszeit" mit Johannes Oerding verliert sich SPD-Peter im "Krieg und Waffen sind immer schlecht"-Geschwurbel. Bei den Sachsen heimst er so gratismutig natürlich ein bisschen Applaus ein, doch die Unterschiede zwischen russischem Angriffs- und ukrainischem Verteidigungskrieg, zwischen Demokratien und Diktatoren übergeht er geflissentlich. Da lobe ich mir doch einen Roland Kaiser, der bei politischen Ansagen in Ostdeutschland in Kauf nimmt, vom eigenen Publikum ausgebuht zu werden.

Wenn wir schon typisch deutsch am Meckern sind: Johannes Oerding als Duettpartner auf Songs wie "Liebe Wird Verboten" oder den Ausflug mit Anastacia zu AC/DC ("Shook Me All Night Long") und ihrer englischen Version von "So Bist Du" ("Just You") hätte man nicht gebraucht. Doch Peter Maffay war schon immer ein Familienmensch, sein Umfeld war ihm immer wichtig. So sind Maffays Frau Hendrikje und die gemeinsame fast fünfjährige Tochter Anouk mit im Stadion. Maffays 20-jähriger Sohn Yaris singt seinen eigenen Song "Abenteuer", und natürlich zupft Steffi Stephan den Bass. Man kriegt Maffay eben nur mit seiner Entourage, selten solo.

Doch genug gemeckert, heute wollen wir den größten Rocksänger Deutschlands noch einmal hochleben lassen. "Tiefer" ist wie oben "Weil Es Dich Gibt" ein balladeskes Kleinod vom unscheinbaren "Kein Weg Zu Weit"-Album aus dem Jahre 1989. Die Tabaluga-Hymne "Nessaja", mit der die große Welt des kleinen Drachen und für Maffay eine dritte Karriere begann, darf nicht fehlen. Eine einsame Trompete spielt hier groß auf.

"Über Sieben Brücken Musst Du Geh'n" dröhnt erschreckend frisch und aktuell aus den Boxen und Peters bester Song ever - "Sonne In Der Nacht" - interpretiert er nicht in der gitarrenlastigen Version von "Tattoos" sondern mit dominanten Saxophon, wie man es von Clarence Clemons aus Bruce Springsteens E-Street Band kannte.

Überhaupt Springsteen. Ist Peter nun Bruce? Der deutsche Boss oder doch eher wie Bob Seger oder Bryan Adams? Am Ende ist dies alles egal, sein Lebenswerk, seine Kompositionen, seine Bühnenshow müssen sich vor niemandem verstecken und werden die Zeit überdauern. Wohl dem, der ihn live sehen durfte - und wenn es auch nur bei einer Weihnachtsfeier eines sterbenden Konzerns war.

Trackliste

  1. 1. CD 1
  2. 2. Schatten in die Haut tätowiert
  3. 3. Carambolage
  4. 4. Du
  5. 5. Samstag Abend In Uns'rer Straße
  6. 6. Weil es dich gibt
  7. 7. Und es war Sommer
  8. 8. Eiszeit feat. Johannes Oerding
  9. 9. Liebe Wird Verboten feat. Johannes Oerding
  10. 10. Blinde Passagiere feat. Johannes Oerding
  11. 11. Wenn Wir Uns Wiedersehen feat. Johannes Oerding
  12. 12. Glaub an mich
  13. 13. CD 2
  14. 14. Abenteuer (Yaris)
  15. 15. Tiefer
  16. 16. Gelobtes Land
  17. 17. Der Mensch Auf Den Du Wartest feat. Anastacia
  18. 18. Just You feat. & Anastacia
  19. 19. Left Outside Alone feat. Anastacia
  20. 20. I'm Outta Love feat. Anastacia
  21. 21. You Shook Me All Night Long feat. Anastacia & Linda Teodosiu
  22. 22. Nessaja feat. Johannes Oerding
  23. 23. Über Sieben Brücken Musst Du Geh'n
  24. 24. Sonne in der Nacht
  25. 25. Mein Wort

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LAUT.DE-PORTRÄT Peter Maffay

Kennzeichen: 1.68 cm klein, pfenniggroßes Muttermal links oberhalb der Lippe, markante raue Stimme, Tätowierungen auf den muskulösen Oberarmen, Rocker …

8 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor einem Monat

    Ich hatte mal das Vergnügen, Maffay (als Begleitung) und Manson innerhalb kurzer Zeit live zu sehen. Maffay hat in der Pause gejammt, Manson noch nicht mal ne Zugabe gespielt. der eine hatte Bock, der andere wirkte mega gelangweilt und machte "hey ich kokse"-Schauspielereien auf nem Niveau unterhalb des Dschungel Camps...Die Musik ist nicht meins aber immerhin meint der das Ernst und liebt seinen Scheiß. Und ich habe hunderte Konzerte in meinem Leben gesehen. Der hat bei mir Respekt erarbeitet

  • Vor einem Monat

    Hab die Rezi zunächst als Satire gelesen und mich köstlich amüsiert - dann die 4 Sterne gesehen und mir wurde übel. Mit viel gutem Willen kann ich Thehoffs Meinung nachvollziehen, ändert aber nix: Die pure Folter....