laut.de-Kritik

Immer noch voll besessen vom Mundart-Reggae.

Review von

"Dich selber bremse bringts nöd", befindet Phenomden in "Nur Muet", einem euphorischen Plädoyer für Wagemut, Originalität und Furchtlosigkeit, ebenso richtig wie mitreißend. Wie kann man denn bitte solches erkennen - und sich zugleich selbst ausbremsen, indem man die schwächsten Nummern an den Beginn eines Albums setzt?

Mit "Eiland", einer Liebeserklärung an Jamaika, startet der Zürcher in neue Longplayer-Gefilde. Über ein Jahr hat Phenomden dort zugebracht. Angesichts dessen beinahe erschreckend, welch plattes Postkarten-Szenario der Text zeichnet. Die doch recht augenfälligen Probleme der Karibikinsel handelt Phenomden in drei schlanken Zeilen ab. Beim an anderer Stelle geforderten genauen Hinsehen scheint nicht viel heraus gekommen zu sein.

"Gib Danke" übersetzt Phenomden dann die oft gehörte Aufforderung "Give thanks and praises" ins Schweizerische. Die Ermahnung, auch (und besonders) für die kleinen Dinge im Leben dankbar zu sein, kann zwar eigentlich nicht oft genug ausgesprochen werden. Als innovativ geht der Tune aber wirklich nicht durch, zumal der Text an mehreren Stellen echt böse holpert. Darauf, sich Zeilen mit passender Silbenzahl auszudenken, verschwendet Phenomden offenbar nicht allzu viel Energie.

Nein, "man cha das nöd ignoriere": Auch in "Meh Liebi" hätte ich mir, gerade "in Ziite, wo Rezession und Kriise däzue verleitet, gäge wenigi Minderheite Hass und Niid z'verbreite", entschiedene, klarere Aussagen gewünscht. Leise Enttäuschung macht sich breit.

Dann aber reißt der phänomenale Dennis Furrer das Ruder doch noch herum. Als habe er sich erst einsingen müssen, dreht er in "Sänger" richtig auf, skizziert seinen eigenen Werdegang. "Heavy Bass, hardcore drums" steuern, wie auf dem kompletten Album, die handwerklich ohnehin über jeden Zweifel erhabenen Scrucialists bei.

"Mundart-Reggae hämmer gseit. Ich bin hüt no voll besesse", erinnert sich Phenomden an seine Anfänge - und plötzlich spürt man das auch. Ob er im Folgenden einer unerfüllten Sandkastenliebe nachtrauert ("Zögere Nöd"), im Stil von Lennons "Imagine" seine eigene Utopie einer besseren, friedlichen, gerechten Welt entwickelt ("Oh Was Für En Tag") oder sich zusammen mit Stereo Luchs als Kind seiner "Stadt" outet: Es gelingt einfach alles.

Viel Raum nehmen Eindrücke ein, die Phenomden bei seiner Weltenbummelei sammelte. "Mystisch Das Gseh" beschreibt, Wortspiel im Titel inklusive, ein Natur-Szenario, das auch ohne den krönenden Glühwürmchenregen schon beeindruckend genug ausgefallen wäre. Um Reisen, Taxifahrten, Tischsitten, zwischenmenschliche Begegnungen und die damit verbundenen Erinnerungen dreht sich "Reis". (Mit dem Getreide hat Reis nichts zu tun. Das wäre ja Riis.)

Mit "Bandite Und Gängschter" schreibt Phenomden der Occupy-Bewegung nun auch eine Hymne auf Schweizerdeutsch, dem Patois Europas, auf den Leib. Die Scrucialists bereichern ihren untadeligen, satten Roots-Reggae hier um einen herrlich treffenden Wild-West-Touch.

In "Fearless", Phenomdens Nachruf auf einen verstorbenen Freund, tritt die Band dagegen über weite Strecken fast in den Hintergrund, lässt dem Sänger, seiner Akustikgitarre und seinem Verlust allen nötigen Raum. "Ich wünsch du wärsch no da." Die Singer/Songwriter-Nummer wahrt ihre berührende Schlichtheit sogar dann noch, wenn weitere Instrumente und Backgroundchöre einsetzen.

"Frei Sii" erzählt von der unbändigen Sehnsucht nach Freiheit, nach Neuem, und trauert leise verloren gegangener Unbefangenheit früherer Tage nach. "Nur Muet" schließt den Kreis, dynamisch und druckvoll: "Erfind' dich und schwing' dich" statt "Benimm' dich und zwing' dich" - diese Nummer hätte am Anfang stehen sollen!

Trackliste

  1. 1. Eiland
  2. 2. Gib Danke
  3. 3. Meh Liebi
  4. 4. Sänger
  5. 5. Zögere Nöd
  6. 6. Oh Was Für En Tag
  7. 7. Mystisch Das Gseh
  8. 8. Fearless
  9. 9. Stadt feat. Stereo Luchs
  10. 10. Frei Sii
  11. 11. Bandite Und Gängschter
  12. 12. Reis
  13. 13. Nur Muet

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