laut.de-Kritik

Das Bindeglied zwischen "Wish You Were Here" und "The Wall".

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Es ist einfach, Roger Waters als ewig überheblichen, egozentrischen, ja gar antizionistischen Megalomanen darzustellen. Für die einen gilt der unverbesserliche Narzisst als die Pestbeule Pink Floyds, für andere starb die Band 1985 mit seinem Ausstieg. Nach und nach rutschte der damalige Mittdreißiger Ende der 70er Jahre zunehmend in die Rolle des diktatorischen Antiheldens hinein, die er mit dem Doppelmonolithen "The Wall" 1979 so brillant zu persiflieren, kritisieren, aber eben auch weiterhin selbst einzunehmen versuchte.

Albumkonzepte im Alleingang ausarbeiten, Bandmitglieder aussortieren – und eben auch mal einem Fan ins Gesicht spucken. Waters ist ein Mann der Kompromisslosigkeit, bei dem große Visionen und menschliche Ausfälle Hand in Hand gehen. Doch Waters ist eben auch ein Musiker, unter dessen Vorherrschaft verdammt gute Alben entstanden sind.

Großbritannien 1977. Im Anschluss an die beiden großen Artrock-Monumente "The Dark Side Of The Moon" und "Wish You Were Here" halten Pink Floyd Ausschau nach einer neuen Studiobleibe. Von den Abbey Road Studios geht es direkt nach Islington, ins Herzen Londons. Hier gründen Roger Waters, David Gilmour, Richard Wright und Nick Mason die Britannia Row Studios. Losgesagt von jeglichen Erwartungen seitens Publikum und Plattenfirma, abgeschottet von jedwedem Tageslicht arbeitet das Quartett hier an seinem zehnten Studioalbum "Animals". Die Ideen stammen größtenteils von Waters, mit dessen Bausteinen "Raving And Drooling" und "You Gotta Be Crazy" die Gruppe bereits seit Jahren live herumjonglierte.

Während sich die Truppe jedoch gemütlich experimentierend im isolierten Studiobunker verkriecht, löst die zerrissene Jeans draußen vor der Türe endgültig den psychedelischen Vibe der Sechziger ab. Jetzt, da sich die allgegenwärtige Punkrock-Bewegung zum Massenphänomen hochrationalisiert, da sich Floyd laut Drummer Mason "am falschen Ende der Kulturrevolution" wiederfinden, scheint es an der Zeit, die vielversprechenden Fragmente ein letztes Mal zu überarbeiten und in Form zu gießen. Und während Sex Pistols und Clash plötzlich Zeitungsspalten und Plattenregale dominieren, setzen Pink Floyd ihrem mittlerweile als zu verkopft, gezwungen intellektuell veschrieenen Experimentalstil ein überraschend straightes Stück Rockmusik entgegen.

Die zentralen Longtracks "Dogs", "Pigs (Three Different Ones)" und "Sheep" sind Zeugnis einer gitarren- und orgeldominierten Rockband, die ihre ewige künstlerische Nachdenklichkeit von innen nach außen gekehrt hat. So verlangt das gilmouresk behutsame, aber stellenweise durchaus extrovertierte Gitarrensolo in "Dogs" sogar die Verpflichtung eines zusätzlichen (Live-) Gitarristen, den die Band rasch in Gestalt von Snowy White findet. Trotz oder wegen der kurzzeitigen Anwesenheit einer fünften Kraft im Studio bezeichnet Mason das damalige Gemeinschaftsgefühl Jahrzehnte später als "besser denn je".

Tatsächlich entpuppt sich "Dogs" (neben "Comfortably Numb") mit seinem stetigen Akustikstrumming und bluesigen Einschüben als Gipfel der schon bald darauf gänzlich überworfenen kreativen Harmonie Waters' und Gilmours. An den restlichen Kompositionen ist letzterer zwar nur geringfügig beteiligt, die Rifflastigkeit von Stücken wie "Sheep" spricht hier aber klar für sich.

Für den großen Stadion-Rock-Moment wie zwei Jahre später mit "Run Like Hell" reicht es hier trotzdem noch nicht. Zu oft verfallen Waters und Gilmour dafür dann natürlich doch wieder in introvertiert-schwurbelige Phasen, in denen sie die Stücke mit vocoderisierten Psalmen vom guten Hirten ("Sheep"), Talkbox-Experimenten (im Cowbell-Inferno "Pigs (Three Different Ones)") und Samples aus dem Tierreich ausschmücken.

Gesten, die nicht selten als Anzeichen von Waters' Überhand nehmendem Geltungsbedürfnis zu interpretieren sind. Insbesondere Rick Wright beschert das ein zunehmendes Gefühl menschlicher wie musikalischer Einengung. Zumindest auf letzterer Ebene steuert der später vom Allmächtigen persönlich aus der Band bugsierte Keyboarder allerdings erfolgreich gegen. Bereits in "Dogs" bügelt sich unterschwellige Elektronik unter schizophrenes Stereo-Orgelgeflatter, doch gerade das bassgetriebene "Sheep" kürt Wright mit seinem damals innig geliebten Minimoog zu einem der synthesizerreichsten Stücke der gesamten Floyd-Diskografie.

Wie das nicht immer perfekt sitzende Falsettgeheule in "Pigs" und "Sheep" verdeutlicht, beweist sich Waters aber insbesondere auf lyrischer Ebene als fähiger Vordenker. "The Lord is my shepherd / I shall not want / He makes me down to lie." Getrieben von einem Orwellschen "Animal Farm"-Szenario speit der frühe Halbwaise 42 Minuten lang unkontrolliert Religions- und Gesellschaftskritik aufs Parkett, an der Co-Komponist Gilmour lediglich zu "Dogs" kurzzeitig teilhaben darf.

Erst nach dem sphärisch-experimentellen Mittelpart reißt Waters das Zepter an sich und stellt die vielleicht charakteristischste rhetorische Frage seiner Karriere: "If I don't stand my own ground, how can I find my way out of this maze?" Tja, offenbar nur über Umwege. Denn der spätere Gerichtsprozess am High Court of Justice zeigt, dass besagter floydscher Irrgarten 1985 endgültig zur Einbahnstraße für Onkel Roger geworden ist. Waters geht, sein Vermächtnis bleibt. "Everyone's expendable and no-one has a real friend." Goodbye und adé.

Dem Pink Floyd-Katalog ergeht es 2016 übrigens ebenso wie der das ikonische Artwork schmückenden Battersea Power Station: Er wird restauriert. Wie zuvor schon "The Piper At The Gates Of Dawn", "A Saucerful Of Secrets", "More, "Ummagumma", "Atom Heart Mother", "Meddle" und "Obscured By Clouds" erscheint "Animals" als Analog-Tape-Remaster auf 180-Gramm-Vinyl.

Trackliste

  1. 1. Pigs On The Wing 1
  2. 2. Dogs
  3. 3. Pigs (Three Different Ones)
  4. 4. Sheep
  5. 5. Pigs On The Wing 2

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