12. September 2019

"Drogen hat er uns keine verabreicht"

Interview geführt von

"Alle meine Bands haben darunter gelitten, dass wenig miteinander gesprochen wurde", erzählte Pixies-Frontmann Black Francis vor ein paar Jahren im Interview mit laut.de. Redselig ist der Mann immer noch nicht, noch weniger sein Gitarren-Kompagnon Joey Santiago. Dafür gibts markige Aussagen in Bezug auf seinen Arbeitsethos und staubtrockenen Humor.

Ghost, Opeth und die Pixies haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Die einen spielen theatralischen Hard Rock, die anderen komplexen Prog und letztere behaupten im Interview, sie könnten hier und jetzt auf einer Ukulele den nächsten Song hinrotzen. Was die drei Acts seit einigen Jahren eint: Sie alle arbeiteten mit Produzent Tom Dalgety zusammen. Der grammynominierte Mitdreißiger gilt seit dem Aufstieg seiner Jugendkumpels Royal Blood, an dem er maßgeblich beteiligt war, als eine der wichtigsten neuen Figuren hinter dem Mischpult.

Auch an der Ausrichtung des siebten Pixies-Albums "Beneath The Eyrie" ist Dalgety nicht unschuldig. Er wählte das Studio aus, eine umgebaute Kirche im US-Bundesstaat New York, das letztlich wegen seines leicht unheimlichen Vibes und der immer noch dort stehenden Orgel das Songwriting beeinflusste. Ein Adlerhorst nebenan inspirierte Drummer David Lovering zum Albumtitel. Außerdem reformierten die Indie-Ikonen ihren Sound. "Mehr Raum" lautete das Motto.

Und noch etwas war diesmal anders: Die Band ließ nahezu den kompletten Studioaufenthalt von einem britischen Musikjournalisten dokumentieren – für die zwölfteilige Podcast-Serie "It's a Pixies Podcast". Gerade nach diversen Turbulenzen im Privatleben der Bandmitglieder kam das einigermaßen überraschend. Zu Plaudertaschen wurden wenigstens Mainman Black Francis aka Frank Black aka Charles Thompson IV und Gitarrist Joey Santiago dadurch trotzdem nicht gerade. Wir trafen die beiden über den Dächern Berlins zum Gespräch.

Während des gesamten Recording- und für Teile des Songwriting-Prozesses begleitete euch Journalist Tony Fletcher und schnitt quasi alles für einen Podcast zum Album mit. Wie war das für euch, jemanden die ganze Zeit so nah dabei zu haben?

Frank: Größtenteils okay. Manchmal ging ich ihm aus dem Weg. Aber es war schon in Ordnung. Ich bin sicher, er verstand das auch und wusste damit umzugehen. (zu Joey) Wie wars für dich?

Joey: Als die Idee aufkam, war ich offen dafür. Ich stehe auf Banddokumentationen. Der Podcast ist ein mysteriöser Weg für die Leute, mitzubekommen, was bei einer Aufnahme los ist. Ein paar Visuals werden wohl mit drin sein, aber nur minimal. Es wird hoffentlich darum gehen, die Grenze zwischen 'Was wir tun' und 'Was zur Hölle geht da drin vor sich?' zu verwischen.

Hatte es Auswirkungen auf euch während des Prozesses?

Frank: Ich glaube nicht. Nicht wirklich.

Joey: Nee.

Ihr habt also gemacht, was ihr immer tut, und Tony hauptsächlich ignoriert?

Frank: Ja. Manchmal hat ihn auch unser Produzent rausgeschmissen. Er war sehr beschützerisch. Tony hatte an sich vollen Zugang – nur manchmal eben nicht ganz.

Er nahm also vor allem eine Beobachterposition ein.

Joey: Ja, aber manchmal benutzte ich Tony auch als meinen Psychiater. Naja, eher Psychologe, nicht Psychiater, haha. Drogen hat er mir keine verabreicht. Mein Seelenklempner! Er fragte mich Dinge und wenn ich was rausließ, fühlte sich das erst lächerlich an, aber am Ende half es doch.

Frank: Ja, es half sehr.

Joey: Er fragte zum Beispiel: "Wie liefs heute?" – "Ach, Jesus... ich denke die ganze Zeit: Jetzt packe ich es in einem Take, aber nie klappt es. Warum bin ich so hart zu mir? Blablabla. Warum klappt es bei Paz"? (Lenchantin, Bass; Anm. d. Red.) Paz ist eine One-Take-Charlie!

Ihr seid bekannt als eine eher ruhige, unaufgeregte Band. Fürchtet ihr, dass der Podcast euren Ruf zwar nicht beschädigen, aber doch vielleicht beeinflussen könnte – zu einem Grad, den ihr vorab vielleicht nicht einkalkuliert habt?

Frank: Nee, Angst haben wir davor keine. Vorgestern haben wir uns eine Folge angehört. Ich denke nicht, dass irgendwas an die Öffentlichkeit gerät, was unseren Ruf verändern wird.

Joey: Wenn überhaupt verwirrt es die Leute nur. Es gibt ja schon eine Dokumentation über uns, die gedreht wurde, als wir total introvertiert waren. Der Podcast hat bisher den Vibe, dass wir fröhlicher und freier sind.

In dieser Dokumentation fällt der Satz: "Ihr vier seid die vier schlechtesten Kommunikatoren überhaupt." Hat sich das verändert oder stimmt das nach wie vor?

Frank: Wir haben daran gearbeitet.

Aufgenommen habt ihr in den Dreamland Recording Studios in Hurley, New York. Paz attestiert der Location einen gruseligen "Blairwitch-Vibe", was sich teils auch in den Lyrics widerspiegelt. Inspirierte euch die Location zu den Texten oder war es eher umgekehrt?

Frank: Halbe halbe, würde ich sagen.

Habt ihr die Location wegen der Lyrics ausgewählt?

Frank: Der Produzent wählte das Studio aus. Ich bin sicher, das tat er nicht wegen der Atmosphäre.

Warum dann?

Frank: Vermutlich wegen des Mischpults, der Mikrofone, des Ansehens und wegen Dingen, die er von anderen Produzenten gehört hatte. Das wären die ersten Fragen, die du als Produzent stellen würdest. Nicht, welcher Vibe herrscht. Das wäre vielleicht die zehnte Frage, die du stellst. Uns schlug nur jemand vor, diesmal nicht in der Stadt aufzunehmen, sondern auf dem Land. Das gefiel uns. Die letzten Male waren wir in der Stadt, was nett war, aber ein bisschen Wandel schadet nicht. Wandel ist gut.

Joey: Es ist außerdem ein Residenzstudio. Wir wollten irgendwo hin, wo wir nicht jeden Tag mit dem Auto hinfahren mussten.

Frank: So viele Residenzstudios gibt es nicht. Ein paar in England, ein paar in den Staaten, eins in Belgien...

Habt ihr vorher schon mal in einem aufgenommen?

Frank: Ja, wir mögen Residenzstudios. Woanders stört dein Leben das Recording. Du hängst zu oft am Telefon, wirst dauernd abgelenkt durch die Fahrt und vergisst, dass du überhaupt im Studio bist. Du hockst im Apartment und bist ein soziales Wesen. Du entwickelst ein Leben. Wenn du im Studio bist, ist das anders. Dein Leben dreht sich plötzlich rund ums Studio.

"Ich könnte jetzt gleich einen neuen Song schreiben"

Ihr habt nun zum zweiten Mal mit Produzent Tom Dalgety gearbeitet, nachdem ihr zuvor seit "Doolittle" in Gil Norton vertraut habt. Warum habt ihr euch erneut für ihn entschieden?

Joey: Wir sind mit ihm klargekommen.

Frank: (zu Joey) Du warst der Vorkämpfer oder? Du wolltest einen Wechsel.

Joey: Ja, es war an der Zeit für einen Wandel. Ich, die ganze Band ... wir befanden uns in einer seltsamen Komfortzone. Wir brauchten ein anderes Publikum. Denn auch das ist ein Produzent: Jemand, dem man Ideen zuspielen kann, aber auch jemand, den man im Studio beeindrucken möchte. Gil hatten wir schon beeindruckt. Jetzt wollten wir jemand anderen beeindrucken.

Das neue Album klingt – besonders verglichen mit "Head Carrier" – klarer, crisper und ein bisschen moderner. "Head Carrier" war dreckiger, aggressiver. In welche Richtung wolltet ihr mit der Produktion gehen?

Frank: Wir machten nur die Songs, nutzten aber mehr Akustikgitarren. Das wollten wir schon bei "Head Carrier" tun, haben es dann aber doch nicht getan. Deshalb klang die Scheibe dichter, vielleicht aggressiver. Jetzt haben wir die Akustikgitarren. Das schuf mehr Raum. Mehr Raum für Joeys Gitarre, mehr Raum für den Gesang, mehr Raum für alles. Wir haben die Rhythmusgitarre aufgeräumt. Es hat alles geöffnet. Raum ist unser Freund. Es ist überhaupt nichts falsch an "dicht", aber Raum kann dein Freund sein und wir wollten mehr Raum.

War das schon euer Gedanke beim Songwriting oder kam es dazu erst, als ihr die Songs im Studio final arrangiert habt?

Frank: Keine Ahnung, wir analysieren das nicht wirklich. Wir schreiben einfach die Songs und schauen dann wie sie klingen. Du weißt sofort, wenn etwas nicht funktioniert und du etwas ändern musst. Deshalb kann ich nicht sagen, dass wir einem bestimmten Plan gefolgt sind. So läuft das bei uns nicht.

Laut Pressetext hast du im Studio mit einer Kirchenorgel und einer viersaitigen Gitarre rumgespielt. Hast du die beiden Instrumente auch fürs Songwriting benutzt oder ging es dabei mehr um den Vibe?

Frank: Mehr die Orgel als die viersaitige Gitarre.

Hört man sie auf dem Album?

Frank: Die viersaitige Gitarre, ja, die Orgel nicht. Ich bin kein Organist. Die habe ich nur zum Komponieren benutzt.

Joey, du nennst dagegen Ennio Morricone als großen Einfluss. Erst hauptsächlich für dieses Album oder inspiriert er dich schon länger?

Joey: Ich weiß gar nicht, ob es bei den Aufnahmen letztlich durchklingt, aber Ennio Morricone habe ich schon immer viel gehört. Auf eine Gitarre habe ich Flatwound-Strings gezogen. Ob sie letztlich zum Einsatz kam, weiß ich gar nicht, aber die Idee kam daher. Bei Ennio Morricone geht es ebenfalls um Raum. Es geht um große Landschaften. Ich finde auch, dass diese Western-Musik wie Surfer-Musik klingen kann.

Würdet ihr euch als Surfer-Musik bezeichnen?

Joey: Nicht wirklich. Nicht mehr.

Frank: Nein.

Joey: Waren wir jemals Surf-Musik?

Frank: Nein, aber in Momenten.

Angeblich waren am Songwriting zu "Beneath The Eyrie" alle vier Bandmitglieder beteiligt – einige deutlich mehr als bei den Vorgängern. Stimmt das?

Frank: Nicht wirklich. Paz öffnet sich momentan total als Songwriterin. Sie trug diesmal wesentlich mehr bei als zum vorangehenden Album. Wahrscheinlich auch mehr als Kim Deal zu den frühen Alben.

Sie schrieb auch an einigen Lyrics mit, richtig?

Frank: Ja, wir arbeiteten glaube ich an fünf Songs zusammen.

Fanden diese Sessions im Studio statt oder schon vorher?

Frank: Beides. Hing vom Song ab.

Entstanden manche Songs vollständig im Studio.

Frank: Oh ja, klar. "Graveyard Hill". Die grobe Gitarrenfigur spielte ich eine Woche vorher zuhause, fand sie cool, vergaß sie aber wieder. Im Studio fiel sie mir wieder ein. Wir jammten damit. Wenn du zu etwas Neuem jammst, bekommst du schnell das Gefühl, dass daraus ein Song werden soll. Manchmal jammen wir über zwei, drei Alben mit dem selben Material, kriegen aber nie etwas damit zustande. Wir probieren, schreiben um ... "Silver Bullet" war so ein Fall. Der kam zwar in den "Head Carrier"-Sessions recht schnell zustande, passte dann aber nicht. Wir haben ihn jetzt wieder rausgekramt, die Lyrics umgeschrieben. Das war besser.

Gibt es auch Material aus den Neunzigern, mit dem ihr so verfahren seid?

Frank: Bewusst fällt mir nichts ein, könnte aber schon sein. Wir sollten mal ein paar alte Tapes hören. Vielleicht stoßen wir auf einen netten Jam.

Joey: Von damals aus den Neunzigern meinst du?

Frank: Mhm.

Joey: Das wäre interessant.

Frank: Glaube ich auch.

Es gibt also noch Tapes.

Frank: Klar, Tapes gibt es immer. Von irgendwas. Aber du kannst auch immer etwas Neues schreiben. Man sollte nicht zu besessen von Ideen sein, die man ein paar Jahre zuvor hatte. Wir sprechen hier über Rockmusik. Ich könnte jetzt gleich einen neuen Song schreiben. Da liegt eine Ukulele.

Bitte, mach!

(Frank schüttelt grinsend den Kopf)

"Genug Gerede, schnapp dir den Pinsel"

Seid ihr zufrieden wie die Band altert oder hattet ihr in jungen Jahren andere Vorstellungen?

Frank: Wir hatten gar keine Vorstellungen. Ich bin zufrieden. (zu Joey) Bist du zufrieden?

Joey: Bin ich. Sehr zufrieden. Und ich bin sehr, sehr, sehr stolz auf dieses Album.

Ich frage, weil ihr letztes Jahr 30. Jubiläum zu "Surfer Rosa" hattet, heuer steht "Doolittle" an. Blickt ihr zurück auf diese Alben, wenn ihr an neuem Material arbeitet?

Joey: Nää. Überhaupt nicht.

Frank: Der Produzent vielleicht schon. Kommt vor, dass er sagt: "Sing wie auf dem Song von diesem Album." – "Du meinst so? Aaahh!" – "Ja, genau." Oder er sagt: "Sing hier mehr wie Jethro Tull." Du kannst Referenzen zu deiner eigenen Musik herstellen genauso wie zur Musik anderer Leute, um eine grobe Richtung vorzugeben. Sowas machen wir dauernd.

Ihr holt euch also Inspiration von anderen Künstlern und vermischt sie dann mit dem Pixies-Sound in eurer DNA?

Frank: Nur für einen Moment. Wir nutzen sowas nicht als Blaupause, eher als Gewürz. Wenn etwas fehlt, salzen wir nach. Wir suchen nicht nach dem Originalrezept für Cincinnati Chili, dem genau richtig großen Topf, der genauen Temperatur. Wir gehen es loser an.

Einige Privatangelegenheiten überschatteten den Albumprozess. Frank, du hast eine Scheidung hinter dir. Joey, du warst im Entzug...

Joey: ... und durchlief eine Scheidung.

Oh, tut mir leid, das zu hören... Wie hat all das die Banddynamik beeinflusst?

Frank: Es hat sie verbessert. Sie ist unsere andere Familie. In der Band zu sein, gibt uns Sicherheit und Schutz. Wir sind erleichtert, wenn wir auf Tour gehen. Wir sind erleichtert, wenn wir uns dem Album widmen. Da können wir unser Leben eine Weile hinter uns lassen und diese Sachen vergessen. Wenn du deinen Job magst, ist es erleichternd, zu arbeiten. Wenn du deinen Job hasst, kannst du es kaum erwarten, da raus zu kommen. Dann versuchst du, vom Job zu fliehen. Aber wir mögen unseren Job. Wir versuchen, ein bisschen vor unserem Leben zu fliehen. Wir können heute Abend eine Show spielen? Awesome!

Ihr seht die Band also als eine Art Anker im Leben?

Frank: Sie ist ein Ort, an dem wir uns wohlfühlen. Wir sind gerne dort. Wenn du Probleme im Leben hast, weißt du das umso mehr zu schätzen. Das heißt nicht, dass wir es nicht genießen, wenn es im Leben gut läuft. So funktioniert es nicht. Es ist eine gute Sache!

Habt ihr versucht, die persönlichen Angelegenheiten in den Songs zu verarbeiten?

Frank: Das muss man gar nicht versuchen. Das passiert einfach. Vieles muss man gar nicht versuchen. Half of life is showing up! Die Hälfte davon, Kunst zu schaffen, besteht daraus, aufzukreuzen. Aufkreuzen und machen. Wenn du rumsitzt, drüber nachdenkst, analysierst und große Pläne schmiedest, wirst du nie den Pinsel aufheben, zur Leinwand schreiten und anfangen zu malen. Genug Gerede, schnapp dir den Pinsel! (weinerlich) "Aber ich weiß nicht, was ich malen soll. Mir fehlt Inspiration!" - (bestimmt) "Na und? Los, mach deinen Job. Male! Sprich mit jedem Maler. Sie werden dir das gleiche erzählen." Es geht darum, aufzutauchen und zu machen. Das ist, war wir tun. Wir tauchen auf.

War das von Beginn an dein Motto?

Frank: Das ist kein Motto, das ist gesunder Menschenverstand.

Joey: Ja. Um das mal aufzugreifen: Es gibt ja auch Zeit. Du hast zwei, drei Wochen. Wie viel Arbeit schaffst du währenddessen? Wenn es gut ist, ist es gut. Wir haben eine bestimmte DNA in uns, aber wir haben dafür gearbeitet.

Frank: Wir haben viele Shows gespielt, einige Alben aufgenommen, viel geprobt.

Zum Schluss möchte ich noch einen Billboard-Artikel aufgreifen, der da heißt: "The Complicated Role of Puerto Rico In Pixies' 'Surfer Rosa'". An was erinnerst du dich, wenn du an deine Zeit an Puerto Rico zurück denkst, Frank?

Frank: Ich habe viele Erinnerungen, aber die prägendste ist, dass ich mich gefragt habe, was ich mit meinem Leben anstellen möchte. Ich möchte in einer Band sein. Mein nächster Move war, einen Brief an Joey Santiago zu schreiben, in dem stand: Lass uns nach Boston gehen und eine Band gründen. Er schrieb zurück: Yep, see you there. Das ist das Wichtigste, was mir von Puerto Rico blieb.

Der Autor des Artikels bedauert, dass ihr noch nie dort aufgetreten seid.

Frank: Niemand hat uns ein Angebot unterbreitet.

Würdest du spielen?

Frank: Na klar, wir spielen überall.

Also keine bad feelings?

Frank: Nein, ich mag Puerto Rico.

Damit wäre das geklärt.

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