laut.de-Kritik
Die Timm Taler des deutschen Pop polarisieren weiter.
Review von Christoph DornerEs ist mittlerweile ziemlich schwierig, sich dem Phänomen Polarkreis 18 zu nähern, ohne Promotion-Superlative oder Szene-Gehässigkeiten nachzubeten. Die immer noch ziemliche junge Band aus Dresden, spätestens mit ihrem zweiten Album "The Colour of Snow" hartnäckig als deutsche Pop-Hoffnung von internationalem Format und als aufgeblasenes Schmierentheater zugleich abgehandelt, polarisiert derzeit wie keine zweite.
Die Kritiken aus der kulturpessimistischen Independent-Ecke sind zurückhaltend bis mies, die Verkaufszahlen – auch dank totalem Raab-Support – sehr gut. Platin-Status. Man könnte sagen: Im Osten nichts Neues. Tatsächlich gehen Polarkreis 18 mit ihrem dritten Album ihren Weg zum unnahbaren Pop-Act konsequent weiter. "Allein", das plakative Schlüsseladjektiv des zweiten Albums, haben sie gegen "frei" getauscht, blumiger und unpolitischer geht es kaum.
"I'm not in a cage / I just have to try / to spread my wings and swim in the sky / of my mind", säuselt Felix Räuber im Opener "Frei", in dem der Band bei ihrer ambitionierten Verortung innerhalb der deutschen Kulturgeschichte bereits vieles durcheinander gerät: 80er und 18. Jahrhundert, Wagner-Pomp und Cyber-Pop, Fairlight CMI und Philharmoniker, Opern-Falsett und Falco-Denglisch:
"Frei / there's no need to cry / i will find the key to free my mind / for freedom inside / o-hoho ich bin frei". Der Song ist catchy, keine Frage, mit einer gefühlten Nähe zu Modern Talking anno 1985 muss er allerdings auch leben. So eine offensichtliche Kopie (der robusten Erfolgsformel von "Allein allein") wie die streng durchkomponierte Teflon-Pop-Single "Unendliche Sinfonie" hätten dagegen auch die Pet Shop Boys nicht besser hinbekommen.
Danach entwickelt sich "Frei" zu einem recht ordentlichen, üppigst produzierten Pop-Album irgendwo zwischen Sigur Ros, den ewig unterschätzten Slut, A-ha und den abgeschlagenen Tokio Hotel. Bei "Deine Liebe" mit seinem 3/4-Takt, dem schrillen Refrain und der eingestreuten Eishockey-Orgel tritt alten Fans sicherlich zunächst Schaum vor den Mund, nach mehrmaligem Hören kann man dem mutigen Walzer-Song aber durchaus etwas abgewinnen.
Und auch die zweite Hälfte des Albums hat mit "Evergreen", "Letting Go" und "Sleep Rocket" elektrifizierten Indie-Pop zu bieten, der keine Lust auf die asketische Selbstlimitierung der Szene hat. Wozu auch? Geld für den ganz großen Produktion ist bei Polarkreis 18 hörbar vorhanden, dafür glaubt ihr Major-Label nicht ganz zu Unrecht an das Potential der Band, die ihren herkunftsbedingten Nexus zur Semperoper im Schlussakt "Elegie" konsequenter betont denn je.
Die Bemerkung der Band, das Album sei "emotional" von Franz Schuberts Winterreise beeinflusst, hätte man sich allerdings getrost schenken können, auch wenn ihr Mentor und Rammstein-Arrangeur Sven Helbig diesen codierten Wink für eine gute Vermarktungsidee hält. Tatsächlich beflügelt der Verweis auf die deutsche Romantik nicht nur hochkulturelle, sondern völlig überflüssigerweise auch nationalistische Assoziationen.
Das leistet – wie auch die übertrieben avantgardistische Selbstinszenierung der Band – letztlich nur der Behauptung Vorschub, die Ehrgeizlinge aus Dresden würden für den Erfolg alles tun, Deutschtümelei inklusive. Doch auch als die Timm Taler des deutschen Pop machen Polarkreis 18 immer noch einen ziemlich guten Job.
16 Kommentare
Das Video erinnert mich irgendwie an Kraftwerk. Und Rammsteins Amerika. Nur irgendwie tuntig und frei von Ironie.
Weshalb der Bezug zur Winterreise nationalistische Assoziationen wecken soll erschließt sich mir nicht so wirklich...
Prinzipiell eine sehr starke Band, die man auf keinen Fall allein auf "Allein, Allein" reduzieren sollte. Verglichen mit den alten Alben ist das neue aber etwas schwächer.
da is laut.de aber sehr allein, allein mit seiner meinung
Zum Vergessen das Teil.
4/5?
Ich lach mich tot.
@soulburn
Word!