laut.de-Kritik
Eine Ode an den Selbstzweifel.
Review von Sven KabelitzLiebe Lesende, wir melden uns hier live aus der Mitte des Hypes. Mit ihrem zweiten Album "Every Bad" sorgten Porridge Radio für jede Menge Hibbeligkeit. Rechtzeitig zu Beginn der Pandemie veröffentlicht, nahm uns der stürmische Indie-Rock der britischen Band an die Hand, führte uns durch damals noch ungewohnte Zeiten. Am Ende des Jahres 2020 fand sie sich in nahezu jeder wichtigen (und unserer) Bestenliste wieder.
Bei Longplayer Nummer drei mit dem überaus griffigen Titel "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" hat sich nicht viel geändert. Viel mehr stellt er eine weitere Entwicklungsstufe dar. Wie damals, als der Schachtelwirt, das Gasthaus zur goldenen Möwe, auf die Idee kam, ihr cremig geschlagenes Eis nun auch mit Schokosoße anzubieten.
Es ist quasi Porridge Radios "In Utero". Ein bisschen rauer, dunkler, aber auch verspielter und mit einem immer noch klarem Songwriting-Schema. Noch ungewohnte Instrumente wie Synthesizer und Bläser finden vorsichtig ihren Weg in ihren Weg in das Klangkonzept, ohne dieses einzureißen.
Sängerin Dana Margolin beschrieb "Every Bad" als "einen unvollendeten Satz". "WDBLTTS" beendet diesen nicht, sondern behält den Piet Klocke-Effekt bei. Wir gehen diesmal nur etwas weiter, bleiben diesmal in der Mitte hängen, bevor wir abbrechen. Der Trick des sich bis in alle Unendlichkeit wiederholenden, verzweifelten Mantras bleibt erhalten. Ein großer Ball aus wibbly wobbly, timey wimey stuff wie "I don't wanna be loved" ("Birthday Party"), "Don't want to mean anything to you" ("Splintered") oder "And now my heart aches" ("The Rip"). "Need", "want" und "bad" zählen zu ihren Hauptwörtern. Mit ihrer ausdrucksstarken, sich vor Emotionen überschlagenden Stimme steht sie so ganz im Mittelpunkt des Albums.
Für eine Band, die in einer so ungewöhnlichen Zeit ihren Durchbruch hatte, stellt "Back To The Radio" die logische Brücke zu "Every Bad" dar. "Lock all the windows and shut all the doors / And get into the house and lie down on the cold, hard floor", singt Margolin. Zeilen, die so gut zu den ersten Pandemie-Monaten passen, jedoch noch 2019 aus einem Gefühl heraus entstanden, dass sich bald alles für sie ändern würde. Gleichzeitig verlässt die Hymne vorsichtig den Indie-Pfad, tastet sich zaghaft, aber bestimmt an Stadien heran.
"Invite me to your birthday party / Watch me cry across the room." ("Birthday Party") Wer mag sie nicht: Diese grummeligen Menschen, die auf deine Geburtstagsparty kommen, nur um laut herum zu posaunen, dass sie nicht geliebt werden möchten. (Kurz: Mich mit 21) Dass all dies nur eine ziemlich rostige Rüstung der Unsicherheit darstellt, zeigt sich im späteren Leben schnell. Porridge Radio beginnen diese Feier noch kontrolliert, wühlen das Stück aber parallel zu den hunderten "I don't want to be loved" zunehmend auf. Dabei kippt die Bedeutung des Satzes mit jeder einzelnen Wiederholung vermehrt in sein Gegenteil, zu Margolins schmerzhaftem Hilferuf.
Mit jedem Akkord der hämmernden Gitarre in "Jealousy" vergrößert sich die spürbare Trauer, weitet sie sich mehr und mehr aus. "Jealousy, it makes me bad / but nothing makes me quite as sad as you." Das von einem Klavier getragene und mit einer The Cure-Gitarre ausgestatteten "Flowers" baut sich nur langsam auf. Ausgerechnet dieser Song, der sich am meisten zurück hält und eine sanfte, bittersüße Seite der Band zeigt, ragt schnell heraus. Angekratzt aber ungewohnt reserviert singt Margolin: "You cut tomatoes, they're soft to the touch / When will you punish me for what I have done? / You cut them straight through, fall apart in your hands / If I am punished, I am free from the bad."
Es fällt schwer, sich einen besseren "Every Bad"-Nachfolger als "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" vorzustellen. Porridge Radio halten die Klasse spielend, entwickeln sich aber dennoch vorsichtig weiter. Auf der Suche nach ihrer wirkungsvollsten Version gelingt ihnen eine Ode an den Selbstzweifel, bei der die einzelnen Stücke Hand in Hand gehen, ohne dabei in Gleichförmigkeit zu verfallen.
2 Kommentare
you had me at piet klocke
Wenn du als ausgewiesener „In Utero>Nevermind“-Vertreter das Verhältnis der beiden Alben zueinander mit dem des fantastischen Vorgängers zu dieser Scheibe vergleichst, kann der fünfte Stern ja nicht weit gewesen sein, Sven. Gefällt mir auf die bisherigen, leider eher beiläufigen Lauscher auch ganz ausgezeichnet und ist bestimmt auch dieses Jahr wieder ein Fall für die Bestenlisten der Gitarrenfraktion.