laut.de-Kritik

Soul ist Liebe, Funk ist Sex.

Review von

Popstars sterben nicht. Wird ihr Körper doch nach einiger Zeit wegen Mängeln zurückgerufen, gibt es für die Nachlassverwalter, Plattenfirmen und Leichenfledderer genug Möglichkeiten, ihren Geist (lies: den Geldfluss) weiter am Leben zu halten. Die Zeit der unzähligen Best Of-Alben, Live-Aufnahmen, Deluxe-Editionen und dem Ausgraben von im Vollsuff entstandenen, rauschenden Demo-Versionen bricht an. Ein nahezu festgeschriebener Weg, den nur die Wenigstens nicht beschreiten. Der Tod ist für Musiker also im Grunde das Gleiche wie der Job des Fernseh-Experten bei Fußballern.

Für das kleine bisschen Gewinn metzeln sich ganze Heerscharen wie wildgewordene Metzger durch Songarchive. Nur, damit man das Resultat dann als ein 'Geschenk an die Fans' verkaufen kann. Geschenk. Verkaufen. Merkste selbst. Ja, dann schenkt es uns doch und verlangt keine 17 Euro dafür!

Vor diesem Hintergrund ist es noch erstaunlicher, mit wie viel Feingefühl bisher mit Prince umgegangen wird. Ebenso wie beim fragilen "Piano & A Microphone 1983" gelingt mit "Originals" ein funktionierendes Album, keine wahllose Aneinanderreihung aus am Boden des Studios gefundenen Songs. Den einzigen Bock, den die Verantwortlichen geschossen haben, stellt die Cover-Gestaltung dar. Jesses.

Beim Griff in den sagenumwobenen Vault-Tresorraum kamen dieses Mal Tracks zum Vorschein, die der Lilane für andere Künstler schrieb und stellenweise auch produzierte. Um ihnen etwas zur Orientierung an die Hand zu geben, nahm er die Nummern vorher bereits selbst auf. "Originals" stellt diese bisher unveröffentlichten frühen Versionen nun zusammen.

Es ist faszinierend zu sehen, von welchem Liedern sich Prince einfach so trennen konnte. Fast schade, dass es das 1984 für Apollonia geschriebene "Manic Monday" seinerzeit nicht auf "Around The World In A Day" schaffte, sondern über Umwege bei den Bangles landete. Es wäre das Sahnehäubchen auf diesem oft unterschätzen, eigentlich besten Prince-Longplayer gewesen. Zwar sind alle Komponenten vorhanden und die Arrangements gleichen sich weitgehend, doch unterscheiden sich beide in der Interpretation gewaltig. Prince geht das Stück weitaus entspannter an, was ihm eine ganz neue elegante Verve verleiht. Trotzdem mag man diesen nahezu perfekten Pop-Song in den Händen von Susanna Hoffs nicht missen.

Nimmt man "Manic Monday" als Ausgangspunkt, wird einem schnell bewusst, wie wenig andere sich trauten, etwas an der Vorlage des Meisters zu ändern. Egal ob er die Tracks auch produzierte oder nur schrieb, fast ängstlich hielt man sich an die Vorgaben. Nur Kenny Rogers presst in die vier Minuten der unter dem Pseudonym Joey Coco verfassten Schnulze "You're My Love" noch mehr Schmalz. Respekt.

Sheila E., Martika, Morris Day, Sheila E., Apollonia, Jill Jones, Sheila E. oder – oh Wunder – The Time waren nur die Stimmen, die die Botschaft des Prinzen unters Volk brachten. Diese lautet im schweißgebadeten Funk des Openers "Sex Shooter" sehr deutlich: "I'm a sex shooter / Shootin' love in your direction." Das nachfolgende "Jungle Love" kommt gar nicht erst auf die Idee, etwas auf die Bremse zu treten. Zwei Beispiele des hüftbeckenorientierten Funks, den Herr Nelson zu Beginn der 1980er im wahrsten Sinne des Wortes zelebrierte. Falls sich immer noch jemand fragt, was nun der Unterschied zwischen Soul und Funk sei, der möge kurz in Al Greens "Let's Stay Together" und danach in diese beiden Songs hören. Die Lösung: Soul ist Liebe, Funk ist Sex.

Zu den schönsten Wiederentdeckungen zählt das mit Martika ("Toy Soldiers") geschriebene und aufgenommene "Love... Thy Will Be Done". Der einzige Track aus den 1990ern entstand bei den Arbeiten zu ihrem zweiten Album "Martika's Kitchen". Eine Meditation, deren Background nicht variiert, einer Dauerschleife gleicht und die ihre Faszination aus den vertrackten Vocals zieht. Die für Sheila E. entstandene Ballade "Noon Rendezvous" begleiten ausschließlich ein Klavier und ein pochender Beat, das Resultat hätte sich auf "Parade" neben "Sometimes It Snows In April" tapfer geschlagen.

Das einzige Stück, bei dem Prince zwar der Autor war, selbst aber daran scheitere, es zu seinem verdienten Glanz zu führen, bleibt das für The Family geschriebene "Nothing Compers 2 U". Auch, weil Prince eben Prince war und bei all seiner Genialität und seinem hohen Wiedererkennungswert eben doch genau davon eingeschränkt wurde. Erst, als Sinéad O'Connor das Lied von all seinem Ballast befreite, es bis auf die Seele freikratzte und mit einer gewaltigen Intimität einsang, entblößte es seine ganze Größe. Die hier zu findende Version mit übertriebenem Saxofonsolo verhält sich dazu wie ein mittelprächtiges Cover.

"Originals" funktioniert als geschlossenes Album, hätte von Prince ebenso in den Achtzigern erscheinen können und wäre dort trotz der hochrangigen Konkurrenz nicht einmal sein schlechtester Longplayer gewesen. Es erinnert uns noch einmal daran, welch musikalisches Genie uns am 21. April 2016 verlassen hat.

Trackliste

  1. 1. Sex Shooter
  2. 2. Jungle Love
  3. 3. Manic Monday
  4. 4. Noon Rendezvous
  5. 5. Make-Up
  6. 6. 100 MPH
  7. 7. You're My Love
  8. 8. Holly Rock
  9. 9. Baby, You're A Trip
  10. 10. The Glamorous Life
  11. 11. Gigolos Get Lonely Too
  12. 12. Love... Thy Will Be Done
  13. 13. Dear Michaelangelo
  14. 14. Wouldn't You Love To Love Me?
  15. 15. Nothing Compares 2 U

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LAUT.DE-PORTRÄT Prince

Wenn jemand nach dem Unterschied zwischen Soul und Funk fragt, genügen als Demonstration zwei Songs: "Let's Stay Together" von Al Green - und "Sexy Motherfucker".

4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 5 Jahren

    toller text. klingt vielversprechend. bin gespannt.
    im grunde ist es ja schon fast ein wunder, dass die platte überhaupt erscheint, in ansehung des heftigen erbschaftsstreits.

  • Vor 5 Jahren

    Vor allem kann man auf diesem Album die Vielseitigkeit des Ausnahmekünstlers Prince bewundern. Die Leichtigkeit mit der er sich zwischen unterschiedlichen Genres bewegt ist schon beeindruckend. Ich persönlich finde seine Aufnahme von "Nothing Compares 2 U" nicht schlechter als Sinéad O'Connors. Da steckt genauso viel Leidenschaft drin, und das Saxophonsolo ist typisch 80er-Stil. Man darf nicht vergessen, dass ein Großteil der Wirkung von Sinéads Version mit dem emotioalen Musikvideo verknüpft ist.

    • Vor 5 Jahren

      Wobei Prince selbst Sinéads Version für die bessere hält. Wurscht. Ich hab meine Musik meistens eh lieber vom Erzeuger. Gerade, wenn der Erzeuger einer der brilliantesten Musiker und Performer aller Zeiten ist.

  • Vor 5 Jahren

    Sehr gut geschriebene Review. Ich stimme voll überein. Dieser Mann war fazinierend. Ein Multitalent. Kein Künstler schaffte es so viele Genres zu vermischen. Soul ist Love , Funk is Sex ergibt genau den Sinn und die Fazination des Künstlers wieder. Für mich der beste Künstler des Jahrhunderts.

  • Vor 5 Jahren

    Prince, am gleichen Tag gestorben, an dem die Queen Geburtstag hat. Purple Rain/ Purple Reign ;-) -Zufall natürlich.