1. März 2006

"Der nächste Schritt wäre das Musical"

Interview geführt von

Im selben Zimmer wie im vergangenen Jahr noch Nikki Six von Mötley Crüe sitzt mir nun Geoff Tate von Queensryche gegenüber, um mit mir über einen anderen Nikki zu sprechen. Die Band aus Seattle meldet sich nämlich im Herbst mit dem zweiten Teil ihrer "Operation: Mindcrime"-Story zurück.Nach wie vor ist der großzügige Raum eher karg möbliert, dafür jedoch mit einer ausladenden Fensterfront ausgestattet, die bei dem nasskalten Wetter in Köln aber nicht unbedingt zur Geltung kommt. Geoff macht einen sehr relaxten Eindruck und bietet mir einen Kaffee an, während im Hintergrund seine Frau und Managerin wohl den weiteren Tagesablauf plant.

Geoff, ihr wurdet jetzt schlappe 18 Jahre von euren Fans förmlich angebettelt, einen zweiten Teil von "Operation: Mindcrime" zu schreiben. Warum habt ihr euch ausgerechnet jetzt zu diesem Schritt entschlossen?

Was soll ich sagen, die Fans haben uns die letzten 18 Jahre förmlich angebettelt, und wir haben uns eben jetzt zu diesem Schritt entschlossen, hahaha. Nein, es ist einfach so, dass ich über die Jahre immer mal wieder am Profil des Hauptcharakters Nikki gearbeitet habe. Mir ist irgendwann dabei aufgefallen, dass die politischen Umstände heute eigentlich genau denen vor 18 Jahren entsprechen, als wir "Operation: Mindcrime" geschrieben haben. Wir haben eine extrem konservative, nationalistische Regierung, die uns ständig einschüchtert und erzählt, dass wir alle Angst haben müssen, vor einer unbekannten oder auch bekannten Bedrohung. Es war für mich einfach interessant zu sehen, wie Nikki nach fast zwei Jahrzehnten aus dem Gefängnis kommt und mit dieser Welt umgehen kann, die sich zwar technisch enorm verändert hat, von den politischen Einstellungen her aber fast gar nicht.

Du hast von Nikki tatsächlich so was wie ein Profil angelegt?

Ja, klar, und nicht nur von Nikki. Ich habe diverse Charaktere, die ich für mich daheim erst einmal ausarbeite. Schließlich erzähle ich auf den Alben eine richtige Geschichte. Da musst du dir von vorneherein im klaren sein, wie die jeweilige Person tickt und sich in bestimmten Situationen verhält. Aber wie gesagt, da gibt es auch viele andere Profile, die ich mir angelegt habe. Letztendlich arbeite ich auch an einer Art Bühnenstück und versuche dabei so viele, unterschiedliche Charaktere wie möglich auszuarbeiten. Das ist interessant und macht auch jede Menge Spaß, ist aber nicht immer so einfach.

Das kann ich mir vorstellen. Wie schwierig war es denn, sich in einen innerlich zerrissenen Charakter wie Nikki erneut hinein zu versetzen.

Oh, das war sehr schwer. Wie du schon sagst, ist Nikki innerlich zerrissen und hat sein Leben erst seit kurzem wieder einigermaßen unter Kontrolle. Die Umstände, die ihn ins Gefängnis gebracht haben, waren ja sozusagen fremdgesteuert, und jetzt ist er dermaßen von Rache besessen, dass er eigentlich nichts anderes mehr will, als Dr. X zu finden und ihn zu töten. Rache ist das einzige, das ihn noch interessiert, und seine Pläne, diese zu erreichen, setzt er Schritt für Schritt um. Letztendlich weiß er aber nicht, ob er es tatsächlich schafft, Dr. X zu töten, denn er weiß eigentlich nicht, ob er ein Killer ist. Alles, was er in der Story von "Operation: Mindcrime" getan hat, tat er unter dem Einfluss von Dr. X. Klar, er hat Menschen getötet, aber nicht freiwillig und nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Außerdem ist da ja auch immer noch die ermordete Sister Mary, die sozusagen sein Gewissen symbolisiert.

Siehst du in der Storyline Parallelen zum "Graf von Monte Christo"? Ok, Edmond Dantès führt seine Rache und die Morde tatsächlich gezielt und emotionslos aus, aber ansonsten ähneln sich die Geschichten der Charaktere doch schon, oder?

Hm, das hab ich bisher noch gar nicht so betrachtet. Du bist jetzt auch der erste, der mich darauf anspricht aber so ganz unrecht hast du wohl nicht. Ich hab die genaue Geschichte von "Der Graf von Monte Christo" aber auch nicht mehr im Kopf. Vielleicht sollte ich sie mir bei Gelegenheit noch einmal durchlesen.

Ich wäre wahrscheinlich auch nicht drauf gekommen, wenn nicht Vanden Plas gerade ein Konzeptalbum über das Thema geschrieben hätten.

Das Thema Chris DeGarmo und Queensryche ist erledigt

Wenn wir gerade bei deutschen Bands sind: Helloween haben letztes Jahr "Keeper Of The Seven Keys - The Legacy" veröffentlicht und wollten damit wohl an ihre beiden erfolgreichsten Alben anknüpfen. Bei ihnen fehlte aber neben einem der damaligen Gitarristen noch ein weiterer, wichtiger Faktor: der Sänger. Bei euch ist es nur der Gitarrist, aber wie war es, ohne Chris DeGarmo an "Operation: Mindcrime Pt.2" heran zu gehen?

Sehr entspannt, hahaha. Nein im ernst, ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass wir das Album nicht mit Chris gemacht haben und wir haben ihn auch gar nicht erst gefragt, ob der mitmachen will. Mike Stone ist inzwischen ein echtes Bandmitglied geworden, und das Fantastische an ihm ist: der hat andauernd neue Ideen und versucht ständig, die Musik von Queensryche voran zu bringen. Versteh' mich nicht falsch, Chris und ich waren im Prinzip immer die Aushängeschilder von Queensryche. Wir haben die Musik gemacht, wir schrieben die Texte und wir gaben die Interviews. Nachdem Chris ausgestiegen war, blieb das zunächst alles an mir haften, auch wenn Scott und die anderen mir einen Teil der Arbeit abgenommen haben. Aber das Thema Chris DeGarmo und Queensryche sehe ich als erledigt an.

Als wir uns das letzte Mal über "Tribe" unterhalten haben, an dem Chris ja auch mitgewirkt hat, klang das aber noch anders. Da hast du gesagt, dass ihr für Chris immer eine Tür offen hättet.

Das war damals auch der Fall, aber die Tür ist jetzt eben zu, hahaha. Das Thema Chris DeGarmo und Queensryche ist wohl für immer Geschichte. Es ist alles andere als leicht, mit Chris zu arbeiten und warum sollen wir uns den Stress machen, wenn wir in dieser Besetzung so ein tolles Album wie "Operation: Mindcrime Pt.2" schreiben können? Mike ist nicht nur ein fantastischer Gitarrist, sondern auch ein angenehmer und witziger Mensch, mit dem man sehr entspannt und leicht arbeiten kann. Kelly Grey war ebenfalls ein großartiger Gitarrist und auch ein netter Kerl, aber ihm wurde der ganze Tourstress und alles drum herum einfach zu viel. Das ist nicht seine Welt. Mit Mike ist das was ganz anderes, er lebt dafür und ist einfach ein verrückter Typ.

Das kannst du allerdings laut sagen. Ich erinnere mich noch an den Auftritt auf dem Bang Your Head Open Air 2004, als er komplett in schwarzen Lackklamotten und blondierten Haaren auf der Bühne stand. Selten so was schwules gesehen, hahaha.

Well, that's Mike, hahaha. Aber das ist noch lange nicht sein bestes Outfit. Neulich stand er mal im Studio mit einem Trainingsanzug, der vom Stoff her wie ein Bademantel war. Das Teil war knall-orange und hatte Tigerstreifen! Dazu trug er dann noch gelbe Sneakers und eine Sonnebrille. Ich hab keine Ahnung, wo er solche Klamotten herbekommt, aber er scheint auf extraordinäre Outfits zu stehen. Das mag optisch vielleicht nicht immer zu uns passen, aber wer bin ich denn, dass ich ihm seine Klamotten vorschreiben würde.

Ok, aber zurück zum neuen Album. Denkt ihr nicht, dass ihr euch mit diesem Titel und der Storyline einem enormen Druck ausgesetzt habt? Schließlich erwarten die Fans wohl nichts anderes als ein göttliches Album.

Da magst du schon recht haben, aber ich glaube nicht, dass wir uns unnötig unter Druck gesetzt haben. Immerhin haben wir an "Operation: Mindcrime Pt.2" über 18 Monate gearbeitet, und ich denke sowohl von der Storyline als auch von den Texten her kann sich das Album durchaus sehen und hören lassen. Außerdem habe ich den ersten Teil damals bewusst mit einem offenen Ende zurück gelassen. Es war also immer klar, dass wir einen zweiten Teil hinterher schieben würden. Dass der aber 18 Jahre auf sich warten lässt, konnte ja keiner ahnen, hahaha. Aber wie gesagt, die äußeren und inneren Umstände mussten einfach stimmen und das tun sie jetzt.

Allerdings war auch alles andere als klar, dass ihr es schafft, ohne die Originalbesetzung von damals so ein Hammer-Album einzuspielen. Die letzten Sachen waren ja nur bedingt mit dem neuen Material zu vergleichen.

Das ist schon war, aber warum sollen wir Angst davor haben, dass "Operation: Mindcrime Pt.2" nicht gut aufgenommen wird? Das wird sich eh erst im Laufe der Zeit zeigen. Viele Scheiben, nicht nur von uns, haben sich den Leuten erst im Laufe der Zeit erschlossen. Ich weiß noch genau, wie jemand zu mir herkam und sagte, dass er mit "Promised Land" so ziemlich gar nichts anfangen kann, weil sich ihm die Songs nicht erschließen würden. Das kann ich durchaus akzeptieren, vor allem weil der Kerl damals Anfang, Mitte 20 war und "Promised Land" ein sehr erwachsenes Album ist. Inzwischen ist derjenige auch ein ganzes Stück älter, und als wir uns mal wieder trafen, sagte er nur: 'Now I get it!' Ich gehe davon aus, dass das mit "Operation: Mindcrime Pt.2" nicht sonderlich anders sein wird, aber ich hoffe auch, dass es genügend Leute gibt, denen sich die Scheibe von Anfang an erschließt. Ich denke mal, wir müssen uns mit "Operation: Mindcrime Pt.2" nicht verstecken und es war, wie gesagt, einfach an der Zeit, die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen.

Zwischen Metal und Musical

Verstecken müsst ihr euch ganz bestimmt nicht, denn die Songs sind alle verdammt stark. Man fühlt sich nicht selten an den ersten Teil erinnert.

Das war auch durchaus beabsichtigt. Wir haben uns den ersten Teil sehr oft und intensiv angehört und versucht, die Stimmung damals so gut wie möglich wieder aufzubauen und nachzubilden. Das gilt auch für die äußere Verpackung des Albums. Das Coverartwork stammt vom selben Künstler wie das erste auch und erinnert natürlich auch von der Aufmachung her deutlich an den ersten Teil. Dass sich die Storyline fortsetzt, versteht sich ja von selbst, und auch musikalisch haben wir mit ähnlichen Elementen und Stimmungen gearbeitet. Jedoch wollten wir das Album deutlich abwechslungsreicher gestalten, was uns hoffentlich auch gelungen ist.

Auf jeden Fall! Vor allem habt ihr es, was Härte angeht, endlich mal wieder richtig krachen lassen. Die Riffs in "I'm American" sind wohl das härteste, was ihr in den letzten Jahren geschrieben habt.

Siehst du das so? Na, ok. Ich denke eigentlich schon, dass wir auch auf den letzten Alben einige harte Gitarren in den Songs hatten, aber es waren auch sehr viele ruhige Sachen dabei, da hast du schon recht.

Dass Pamela Anderson ...

Pamela Moore!

Hä? Oops, wo war ich da nur mit meinen Gedanken?

Das kann ich dir, glaube ich, ziemlich genau sagen, hehehe.

Äh, ja, wie auch immer, dass Pamela Moore wieder den Part der Sister Mary übernommen hat, war ja klar. Aber als Dr. X hast du Ronnie James Dio gewinnen können. Ich denke allerdings nicht, dass du ihn dazu großartig überreden müsstest, oder?

Nein, überhaupt nicht. Er war eigentlich sofort Feuer und Flamme. Ich war schon ein wenig nervös und vor allem verdammt geehrt, dass ein so fabelhafter Sänger wie er den Part übernehmen würde. Mir schwebte seine Stimme von Anfang an vor, als ich die Texte und Gesangslinien komponiert habe. Als er sich dann auch sofort bereit erklärte, den Dr. X zu singen, war das der Wahnsinn. Wie das eben so läuft, haben wir im Studio natürlich direkt gepatzt, denn er stellte sich einfach ans Micro und sang seinen Part schon beim ersten Mal absolut fehlerfrei ein. Dummerweise lief die Bandmaschine nicht mit, und so war der Take vollkommen für den Arsch. Mike meinte nur zu mir: 'Das bringst du ihm bei, ich muss weg.' Hahaha. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm das beibringen sollte, aber Ronnie schaute nur kurz rein und fragte: 'Machen wir einen zweiten Take? Ich fand ein paar Sachen nicht so toll.' 'All right, sure, go ahead!' Hahaha.

Ihr wart in den Staaten ja zuletzt noch mal groß auf Tour und habt dort das komplette "Operation: Mindcrime"-Album nicht nur am Stück gespielt, sondern habt euch dafür sogar Darsteller und Chöre mit auf die Bühne genommen.

Ja, das war großartig und eine sehr interessante Erfahrung. Vor allem, wenn ich hin und wieder das Publikum beobachtet habe, wie sie auf diese Darstellung reagieren. Das hatte ja schon etwas von einem Musical, und entsprechend gingen die Leute nicht unbedingt ab, sondern haben sich erst einmal alles angeschaut und sich damit wohl auch eingehender auseinandergesetzt. Nachdem "Operation: Mindcrime Pt.2" veröffentlicht ist, wollen wir das natürlich mit beiden Alben wiederholen und noch größer ausbauen.

Ok, hat Andrew Lloyd Webber schon angerufen?

Nein, hahaha, bisher nicht. Aber der nächste, logische Schritt wäre in der Tat "Operation: Mindcrime – The Musical". Davor liegt aber noch einiges an Zeit, Arbeit und anderen Projekten. So wollen wir das natürlich auch auf DVD festhalten und wenn alles glatt läuft, werden wir so etwas in der Art sogar nach Europa bringen können. Das ist aber natürlich primär eine finanzielle Frage, denn das kostet schon so ein paar Dollar.

Ihr habt für die Single "The Hands" ein Video gedreht. Gibt es da auch eine Storyline, die dem Verlauf der Handlung folgt?

Ja schon. "The Hands" haben wir aber für den europäischen Markt gedreht. In Amerika ist hingegen "I'm American" die Single.

Wie passend, obwohl der Text doch eigentlich recht kritisch ist.

Das will ich wohl meinen. Es ist auch allein schon von daher verwunderlich, dass normalerweise eher für den europäischen Markt ein härterer Track verwendet wurde und für den amerikanischen eher ein softerer. Diese Mal ist es genau umgekehrt, aber ich will mich da nicht einmischen. Da hab ich schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht.

Inwiefern das denn?

Da musst du nur meine Frau fragen. Wir haben zu Hause ein ganzes Zimmer voll mit Merchandise. CDs, Shirts mit Motiven, die ich ausgesucht habe, alles Sachen, von denen ich fest davon überzeugt war, dass die Fans das lieben würden. Auf dem meisten Kram davon sind wir sitzen geblieben, und jetzt weiß keiner wohin damit. Deswegen halte ich mich aus solchen Entscheidungen seit geraumer Zeit komplett raus.

Seine Frau sitzt derweil nur nebendran und grinst mich wissend an ....

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