laut.de-Kritik

Spacige Töne aus allen Ecken des Universums.

Review von

Gesamtkunstwerk. Kam mir bei der neuen Radiohead in den Sinn. Noch bevor ich überhaupt einen einzigen Ton gehört hatte. Dieses Cover, dieser Schriftzug, diese kurzen Werbespots auf Viva2, das Verwirrspiel um die Veröffentlichung zur Platte, all das fügt sich nun zusammen. "Kid A" hat endlich das Licht der Welt erblickt und wird selbige verändern, auch ohne Singles, ohne Videos, ohne Interviews.

Verhalten beginnt das Album, welches wohl erwartet wurde wie kein zweites dieses Jahr. "Everything In Its Right Place" besteht nur aus Thom Yorkes Stimme, getragen von einem gegen Ende schon an Kraftwerk erinnernden Keyboardsound. Keine Gitarren, kein Bass, kein Schlagzeug - hier ist nichts mehr an seinem gewohnten Platz, Radiohead haben Grenzen überschritten, hinter sich gelassen, das wird schon in diesem Augenblick klar. Der Titelsong zum Album folgt, alles scheint im Fluss, scheint zu schweben, losgelöst - der Klang einer Spieldose und das Schlagzeug treiben dahin, begleitet von einer Flut aus Geräuschen. Fiepsen, Knarren, Klimpern sind ständige Gefährten auf diesem Album. "The National Anthem" beginnt mit einer an bekannte Strukturen erinnernden Basslinie, bald werden jedoch spacige Töne aus allen Ecken des Universums dazu geschüttet und dann fällt alles dem Jazz zum Opfer.

Spätestens an diesem Punkt ist das Album an seinem emotionalen Wendepunkt angelangt. Verbreiteten die ersten Stücke noch etwas wie Hoffnung, so kippt die Stimmung jetzt. Depression und Verzweiflung machen sich breit, wenn Mr. Yorke ein ums andere mal Zeilen wie "I'm not here, this isn't happening." wiederholt. Auch "Treefingers" wirkt düster, bedrohlich, und in meinem Kopf laufen Szenen aus "2001 - Odyssee im Weltraum" ab. Optimistisch ist an "Optimistic" einzig und allein der Titel, Thom klagt sich während der 5 Minuten und 16 Sekunden durch die hier vorherrschenden Gitarren. Es ist einer der wenigen Songs die noch an Radiohead von 1997 erinnern und auch wenn "Kid A" durchgehend großartig ist, so tut es gut, in diesem Chaos auf etwas Vertrautes zu treffen.

"In Limbo" ist der einzige Beweis auf "Kid A", dass Radiohead aus dem United Kingdom stammen und nicht aus einem der angrenzenden Sonnensysteme. 10% ganz alte Blur, 10% ganz alte Suede und eine Gitarrenlinie, die einen nicht wieder los lässt, sich hypnotisch ins Hirn frisst. Am Schluss endet alles wiederum im Verzerrer. Mit "Idioteque" folgt danach das elektronischste Stück der gesamten Platte. Wüsste ich es nicht besser, würde ich dafür meine Hand ins Feuer legen; diese Beats klingen wie nicht verwendete Aphex Twin Reste, während die anderen Geräusche vom letzten Notwist-Album "Shrink" stammen.

"Morning Bell" lässt mich etwas ratlos zurück. Nach all diesen extrem "anders" instrumentierten und arrangierten Songs klingt es so normal, dass es damit schon wieder aus dem Rahmen zu fallen droht. Am Ende entlässt uns der "Motion Picture Soundtrack" mit Harfenklängen, "Red wine and sleeping pills" und "I will see you in the next life" wieder in die Wirklichkeit zurück, die sich nach diesem Album verändert hat. Zu erkennen, wie sie sich geändert hat bedarf es wohl noch etlicher Hördurchgänge.

Trackliste

  1. 1. Everything In Its Right Place
  2. 2. Kid A
  3. 3. The National Anthem
  4. 4. How To Disappear Completely
  5. 5. Treefingers
  6. 6. Optimistic
  7. 7. In Limbo
  8. 8. Idioteque
  9. 9. Morning Bell
  10. 10. Motion Picture Soundtrack

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