laut.de-Kritik

Weniger Neuanfang als Stagnation auf niedrigem Niveau.

Review von

"Ich habe keine Angst vor Neuem, sondern suche es bewusst und provoziere es manchmal. So sind wir auch als Band. Wir haben keine Lust 20-mal dieselbe Single rauszubringen, weil der Sound gut funktioniert. Das wäre uns zu langweilig." In einem Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news lehnt sich Revolverheld-Frontmann Strate mit dieser Aussage weit aus dem Fenster. Denn ihr neues Album, das den irreführenden Titel "Neu Erzählen" trägt, hält dieses selbstbewusste Versprechen nicht ein.

Ausgerechnet der Opener und Titelgeber klingt so überhaupt nicht neu, sondern so weichgespült wie eh und je. Kitschige Zeilen wie "Wir machen es uns einfach leicht / Und machen keinen Fehler zweimal / Was in alten Geschichten einfach immer der Fall war" lassen Mark Forster-Vibes aufkommen. Auch "Das Größte" und "Vom Suchen Und Finden" treten in die Fußstapfen früherer großspuriger Balladen, wobei letzteres immerhin etwas weniger pathetisch daherkommt.

Zwar bewegt sich "Leichter" nicht so sehr im Windschatten früherer Hits, aber mehr als einen 80er Jahre anmutenden Disco-Beat, eine halbwegs Ohrwurm-taugliche Hookline und durchblitzende Syntheinwürfe hat die Singleauskopplung nicht zu bieten. Ja, "Leichter" ist zumindest tanzbar und macht aufgrund dessen ein bisschen Laune, aber was während der ersten Staffel von 'Alles Was Zählt' laufen könnte, ist nicht gerade neu / modern / innovativ.

In einer ähnlichen Position befindet sich "Abreißen" - minus 80er Flair. Dafür ist der Refrain eingängiger, weil der aus schön simplen, kurzen Aussagen besteht: "Ich muss mich abreißen, neu bau'n, kaputtmachen, heut noch". Das kann man eben gut mitsingen. Es wirkt wie eine Weiterentwicklung von "Leichter", daher hat es im Fernsehprogramm natürlich ebenfalls ein Upgrade verdient: Weniger 'Alles Was Zählt', dafür mehr 'Gute Zeiten, Schlechte Zeiten'. Immerhin einen Sendeplatz vorgerückt im Vorabendprogramm!

Stellenweise scheinen aber durchaus neue Ideen durch, die den Albumtitel wenigstens ein bisschen rechtfertigen. Vor allem "Na Ihr Wisst Schon", "Keine Zeit" und das Intro von "Es Bedeutet Mir Die Welt" lassen zumindest neue Ansätze durchblicken. Dabei hebt sich "Na Ihr Wisst Schon" von den anderen Tracks vornehmlich aufgrund des Kollaborationspartners ab. Die New Wave- / Power Pop-Band The Night Game aus Boston verleiht dem Sound durch die markanteren Vocals mehr Edginess - leider kommt die Band nur in einer Strophe vor.

Denn auch wenn die Percussion und die Bassline einen frischen Wind in die Sache bringen, klingen Revolverheld immerzu nach Polonaise-Aufforderung. Besonders bei Textstellen wie "Heute hier am Tresen: Revolution / Und morgen dann, na, ihr wisst schon" fasst man sich an den Kopf und kann sich förmlich vorstellen, wie lauter 40-Jährige sich dazu entschließen, die zu enge Kneipe mit peinlichen Partyspielchen zu 'unterhalten'.

"Keine Zeit" macht da schon mehr Spaß - nicht zuletzt auch wegen der kurzen Laufzeit von zweieinhalb Minuten - auch wenn der Inhalt ziemlich abgedroschen daherkommt. Revolverheld prangern die Schnelllebigkeit an und dass man deshalb nie für irgendetwas Zeit hat: "Die Arbeit schreit nach mir, ich komm nicht mehr hinterher / Keine Zeit, keine Zeit". Sowohl die reduzierte Instrumentierung als auch Strates Vocalpart bestehen ausschließlich aus kurzgehaltenen Tönen - langgezogene, schwulstige Klangteppiche Fehlanzeige. Gerne mehr davon.

Inmitten vieler Songs, die sich wie alles davor Gewesene anhören, blitzen einige innovative Stellen durch. Damit tun sich Revolverheld aber nicht jedes Mal einen Gefallen. Denn neue Ideen stehen eben nicht zwangsweise für bessere Ideen.

Trackliste

  1. 1. Neu Erzählen
  2. 2. Leichter
  3. 3. Keine Zeit
  4. 4. Das Größte
  5. 5. Nicht So Wie Die
  6. 6. Irgendwann Kommen Wir Schon An
  7. 7. Am Steuer Eingeschlafen
  8. 8. Abreißen
  9. 9. Vom Suchen Und Finden
  10. 10. Na Ihr Wisst Schon (feat. The Night Game)
  11. 11. Dahinten Wird's Schon Wieder Hell
  12. 12. Es Bedeutet Mir Die Welt

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