laut.de-Kritik

Explosionen in den Herzen einsamer Hausfrauen.

Review von

Kurzes WhatsApp-Experiment: Los, nenne ein Stichwort zum Thema Ronan Keating! Hm, "Life Is A Rollercoaster"? Ach, stop! Logisch: Boyzone. Vermutung bestätigt. Auch 2016 hat sich der sympathische irische Volksbarde noch nicht vollends von seinen vermeintlichen Jugendsünden befreit, und, ja, natürlich erwische ich mich auch beim Karaoke-Mitgrölen: "Life is aaaa rollercooaaaster, you just gotta riiiiide it..."

Dennoch erfolgt dieser Tage der nächste Emanzipations-Versuch namens "Time Of My Life", ein Titel, der im Mainstream-Popdiskurs im Übrigen ähnlich vorbelastet ist wie die Karriere des guten Ronan selbst. "Ein ganzes Jahr lang habe ich daran geschrieben, aber es ist mir in dieser Zeit gelungen, absolut ehrlich zu sein und wirklich zu mir selbst durchzudringen", sagt der Künstler, wenn er über seine neue Platte spricht. Mit Volldampf also zum finalen Befreiungsschlag?

Naja. Natürlich geht es auf diesem Album nicht mehr ums Erwachsenwerden, Keating hat ja bekanntlich mehrere Ehen und Karrieren hinter sich, zehn Platten aufgenommen, 20 Millionen Kopien davon verkauft und 38 Jahre gelebt. Es geht aber durchaus um ein gewisses Freischwimmen aus dem Pool der ewigen Vorurteile.

Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: "Time Of My Life" geht als angenehmes Folkpop-Album durch. Unaufgeregt. Eingängig. Ungefährlich. Gähnend langweilig.

Dabei lässt die reine Titelliste zunächst Schlimmeres erahnen: "Let Me Love You", "As Long As We're In Love", "In Your Arms" oder "Grow Old With Me": Der schmalzverkrustete Schmonzettendetektor implodiert. Leider dienen die Songtitel in den meisten Fällen als erster Indikator für die Lyrics eines Interpreten. Entsprechend seicht fällt die Textarbeit von Keating und seinem Autorenteam aus. Es wird sich umarmt, geküsst, geliebt, auf Berge geklettert und nicht im Stich gelassen, dass sich die Balken nur so biegen. Weil sich das so penetrant durch die gesamte Platte zieht, können wir das als dicken Vermerk in die Kritik stempeln und im weiteren Verlauf getrost zur Seite packen.

Was auf musikalischer Ebene passiert, erscheint zumindest ein wenig spannender: Zwar hat Keating auch hier ein ganz klares Konzept zusammengeschustert, bricht es aber immer dezent wieder. Die meisten Songs beginnen sehr zurückgenommen mit simplen Gitarrengezupfe, schwingen sich dann aber meist in einem Schwall von Piano- und Streicheremotionen und Choreinsätzen zu emotional hochgradig aufgeladenen Granaten auf, zielgerichtet darauf programmiert, irgendwo im Herz einer einsamen Hausfrau zu explodieren.

Tatsächlich ertappt man sich bei zirka der Hälfte der Songs, wie man mitwippt und sich denkt: "Mensch, das ist doch eine recht anständige Folkballade", ehe Keating erbarmungslos losträllert, als müsse er sich gerade bei einem "X-Factor"-Casting beweisen. Fun Fact: Keating sitzt dort selbst seit Jahren in der Jury.

"Time Of My Life" klingt in seinen stärksten Momenten, als haben Frank Turner und William Fitzsimmons die ein oder andere Strophe eingespielt, während sich Celine Dion und Faith Hill um die dazugehörigen Refrains kümmern. Merkwürdig, dass dabei ein ziemlich geschlossenes Gesamtwerk entsteht, das man speziell bei den gegenwärtigen spätwinterlichen Temperaturen im Hintergrund laufen lassen kann, ohne dass es einem direkt auf die Eier geht.

Picken wir uns kurz einige Songs heraus: Der Opener "Let Me Love You", getragen von einer merkwürdig vor sich hin zuckenden Gitarrengrundlage, legt die Messlatte gleich recht hoch. Dazu singt unser Ronan zunächst schön reduziert, ehe ihm einige dicke Paukenschläge und die nach und nach dazu stoßenden Chorelemente merklich in den gesanglichen Hintern treten und er sich selbst zum stimmgewaltigen Plädoyer aufschwingt. Weniger wäre eindeutiger mehr gewesen.

Passend dazu heißt ein weiterer Song "Keep It Simple". Leider wendete Keating selbigen Hinweis natürlich nur auf das diskursiv verhandelte Liebesleben an ("I just wanna be your man…"), während der musikalische Unterbau sich zwar echt zurückhält, aber Ronan sich abermals mit Volldampf auf den Tränendrüsen austobt. Technisch und gesanglich liefert das ehemalige Boybandmitglied hier eine tadellose Performance.

"Time Of My Life", makellos produziert, klingt auch in gefährlich hohen Gesangspassagen immer noch sauber. Aber doch wirkt das alles ein wenig zu Kitsch-verklebt, zu oft gehört und überraschungsarm. Einzig der finale Song sticht aufgrund der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ein wenig heraus: Glen Hansard hat "Falling Slow" geschrieben, The Shires begleiten Ronan auf diesem biederen, und doch irgendwie schönen Chorbuben-Stück. Ansonsten passiert nicht viel.

Bevor ich mich jetzt auch noch wiederhole, kommen wir lieber zum Fazit: Ronan Keating dürfte mit diesem Album niemandem wehtun, aber eben auch keinen vom Hocker hauen. Die Scheibe gerät so brav und harmlos wie eine Herde irischer Schaflämmer und tuckert so gemütlich vor sich hin wie ein alter Traktor. Weil das so nett vorhersehbar ist, werden Genre- und Balladenfans sicherlich ihren Spaß mit dieser runden Platte haben. Doch spätestens nach ein, zwei Songs hat man als aufmerksamer Hörer das Konzept und die Botschaft kapiert: Ronan ist über beide Ohren verliebt und schreit und singt dieses allumfassende Gefühl penetrant ehrlich in die Welt hinaus. Jeder soll es mitbekommen. Wir haben verstanden.

Trackliste

  1. 1. Time Of My Life
  2. 2. As Long As We're In Love
  3. 3. Breathe
  4. 4. She Knows Me
  5. 5. Time Of My Life
  6. 6. In Your Arms
  7. 7. Landslide
  8. 8. Keep It Simple
  9. 9. Think I Don't Remember
  10. 10. Shine Like Gold
  11. 11. Grow Old With Me
  12. 12. Falling Slowly feat. The Shires

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