laut.de-Kritik

Kalkulierte Plastikmusik in ihrer schlimmsten Form.

Review von

Es gab ja immer diesen einen Staatsfeind-Rapper Nummer eins. Das war mal Bushido, dann mal Haftbefehl, und wahrscheinlich war es immer ein bisschen ungerechtfertigt. Es gibt ja nicht einen Artist, der für alle Misslichkeiten einer Szene verantwortlich sein kann, oder? Ich sage: Doch. Und es sind nicht die offensichtlichen Verdächtigen wie Capital Bra, Katja Krasavice oder T-Low. Es sind SDP.

SDP sind als Gruppe und dank Mitglied-Produzent Beatzarre Haupt-Seuchentreiber des Pop-Rap-Schlager-Sounds und dadurch ein in alle Genres der Radiomusik strahlender Nexus der deutschen Wackness. Sie sitzen in ihrer Höhle auf ihren Schätzen gehorteter Wackness wie Smaug, fliegen alle Jahre wieder über die Lande und versengen die Charts und das Radio und die Playlists mit belanglos sülzenden und bretthart unlustigen Pop-Rap-Schlagern. Und es wird Zeit, dass irgendjemand etwas gegen sie unternimmt.

Bevor wir aber über den Sound sprechen, erstmal die andere wichtige Frage: Wer hat diesen beiden Hochzeitsunterhaltern bitte überhaupt gesagt, dass sie sich im Rap-Genre ansiedeln sollen? Sie rappen ein bisschen so, als hätte der KIKA versucht, ein K.I.Z.-Konkurrenzprodukt zu casten. Es ist ja an sich keine Schande, basic und harmlos zu sein. Aber SDP haben immer diese Fassade von Edge, von Anti-Spießigkeit, von jugendlichem Abenteuermut. Und tut mir leid, euch das jetzt so hart mitteilen zu müssen, aber: Wenn das euer Soundtrack der Rebellion ist, dann steht ihr schon mit einem Fuß in der CDU-Wahlurne.

"Ich War's Nicht" imaginiert zum Beispiel die die Menschheit schon lange beschäftigende Frage, was wäre, wenn Shaggys "It Wasn't Me" musikalisch völlig öde wäre. Drei Minuten lang wiederholen sie die Prämisse, dass man im Falle des Erwischt-Werdens einfach lügen solle. Damit stehen sie in typischer deutscher Themensong-Tradition, zu einer Grundidee zwei Parts Punchlines zu schreiben. Leider gelingt das SDP wieder und wieder nicht, und auch Songs wie "Scheiße Baut Sich Nicht Von Alleine" oder "Wenn Einfach So Einfach Wäre" machen statt kreativen Punchlines nichts, außer über zwei mal 16 Bars die Songprämisse in anderen Worten zu wiederholen. Damit erreichen sie eine 2- im Nacherzählen im Deutschunterricht der sechsten Klasse.

Die tatsächlichen Witze hören sich dagegen eher so an, als hätte man einfach einmal den Meme-Fundus aus der Familien-Whatsapp-Gruppe geplündert und in Reimform gebracht. "Echte Männer werden nicht älter, sondern attraktiver / Oder sterben an ein bisschen Schnupfen oder Fieber" heißt es auf "Echte Männer", "Ich bin übertrieben motiviert, heute gar nichts zu machen / Wie 'n ganz schlechter Bäcker, ich krieg' gar nichts gebacken" auf "Kein Bock", "Du bist ein richtiges Opfer oder heißt es Opfer:innen / Sorry, richtig Gendern war noch nie mein Ding" auf "Viele Wege Führen Am Arsch Vorbei". Kennste, kennste? Um es zusammenfassend mit den Worten Dags auf "Wenn Einfach So Einfach Wäre" zu sagen: "Wenn Lieder schreiben einfach wär, wäre dieser Song nicht so scheiße, yeah". Kann das nicht einfach meine Review sein?

Aber ja, bevor mich jemand anmotzt: Natürlich ist da eine Grundebene an Selbstironie in den Songs, die man bestimmt irgendwie sympathisch finden kann. Aber ich empfinde das eher als ein unentschlossenes Sich-nicht-festlegen-wollen. Die Jungs sind anständig genug, um niemandem wehzutun, aber auch zu lachsig, um wirklich eine Haltung zu haben. Es gibt ab und zu Songs mit ... Message, wie der halbherzige Angriff auf toxische Männlichkeits-Klischees "Echte Männer", aber dann ist man sich für Features von Avataren der toxischen Männlichkeit wie Kontra K auch nicht zu schade. Die Inhalte auf diesem Album haben keinen Tiefgang, die Witze keinen Witz. Es ist weitmaschige Möchtegern-Relateability, in die bestenfalls jeder seine eigene politische Meinung hinein projizieren kann, die aber niemanden je herausfordern würde. Aber das Hauptproblem ist trotzdem, dass man so weite Strecken dieses Albums einfach viel zu gut auf die Templates von Minion-Memes kopieren könnte. Man würde es nicht einmal bemerken.

Und damit landen wir nun endgültig beim Sound. Und so sehr ich mich schon über die Texte ausgelassen habe, sind sie doch noch die Sonnenseite dieses Albums. "Gutes Schlechtes Vorbild" klingt wie ... habt ihr schon einmal ein deutsches Radio angemacht? Schwerfällige Gitarren, Keys aus der Dose, Echo, programmierte Drums mit kurzen, unterwältigenden Live-Einschüben. Und nirgends klingt das ärger als auf der kleinen Handvoll an gefühligen Deutschpop-Balladen, allen voran das Montez-Feature "Wie Viele Lieder Muss Ich Noch Schreiben?". Ich korrigiere den Titel zu: "Wie viel mal muss ich dieses Lied noch schreiben? (Bis zur Rente)". Ich habe mich erst neulich darüber aufgeregt, dass wirklich all diese Songs gleich klingen, aber diese musikalischen Keksteig-Ausstecherle werden davon kein bisschen erträglicher. Das bisschen Witz, an dem sie sich sonst versuchen, verschwindet in einem Ozean an dröger Gefühlsduselei. Und es gibt Clueso-Features über "Diese Nächste" und Bozza-Parts über "Pflaster". Und SDP reiht sich in ihr Who is Who der deutschen Wackness munter zur Polonaise ein und fühlt die Gefühle so sehr, wie man Gefühle eben auf lauwarm abgestandenen Stadionrock fühlen kann. Formelhaft wäre freundlich. Diese Songs sind algorithmisch. Geschrieben von einer primitiven künstlichen Intelligenz.

Mensch, Yannik, hast du jetzt neuerdings etwas gegen Popmusik? Hast du etwas gegen Sachen, die basic sind? Nein. Mitnichten. Ich liebe Pop. Ich liebe Rap. Meine Fresse, theoretisch habe ich auch mit Schlager kein Problem. Aber SDP sind die Gruppe, die den Algorithmus entworfen haben, aus all diesen Musikrichtungen die mechanisch effektivsten, aber am unaufregenden und langweiligen Facetten zu absorbieren, die man für eine deutsche Hit-Formel braucht. Und diese Hit-Formel ist nicht nur sterbensöde, sondern auch extrem vorhersehbar, sie nimmt weder die eigenen Genres noch die Zuhörerinnen und Zuhörer ernst und erwacht im Laufe der Platte weder musikalisch noch textlich je aus diesem komatösen Radio-Dämmerschlaf.

"Ein Gutes Schlechtes Vorbild" ist kalkulierte Plastikmusik in ihrer schlimmsten Form. Dieses Album macht nicht einen Moment einen halbherzigen Versuch zur Großartigkeit. Gerade-so-Durchschnitt ist jedes Mal gut genug, und wenn man einen Hit braucht, frisst das Klickvieh ja auch zum zehnten Mal die selbe Formel. Es ist Musik, die wirklich ausnahmslos jedem gefallen soll. Ich kann bei all denen, die sich davon abgeholt fühlen, nur an die eigenen Standards appellieren. Bitte, gebt noch nicht auf. Musik kann so viel mehr sein als das.

Trackliste

  1. 1. Du Hast Gehofft
  2. 2. Scheiße Baut Sich Nicht Von Alleine (feat. 257ers)
  3. 3. Sucht Und Ordnung (feat. GReeeN)
  4. 4. Ich War's Nicht
  5. 5. Wie Viele Lieder Muss Ich Noch Schreiben? (feat. Montez)
  6. 6. Ich Will Mein Problem Zurück (feat. Kontra K)
  7. 7. Wenn Du In Meinem Arm Bist
  8. 8. 9 Von 10
  9. 9. Wenn Einfach So Einfach Wär
  10. 10. Die Schönsten Tage (feat. Clueso)
  11. 11. Viele Wege Führen Am Arsch Vorbei
  12. 12. UFOs
  13. 13. Echte Männer
  14. 14. Am Strand
  15. 15. Kein Pflaster (feat. Bozza)
  16. 16. Kein Bock (feat. Finch)
  17. 17. Ein Gutes Schlechtes Beispiel

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LAUT.DE-PORTRÄT SDP

Hinter Stonedeafproduction, besser bekannt unter dem Kürzel SDP, stecken die Musiker Vincent Stein und Dag. Zusammen bilden sie ein Musikduo, das sich …

9 Kommentare mit 30 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Wo sind die üblichen "Ihr versteht es nur nicht" Jennifers?

  • Vor 2 Jahren

    Hosen und Rammstein verdrängt!
    Platz 1!
    Ihr versteht es halt nicht!

  • Vor einem Jahr

    Jajaja, das haben schon 500.000 Leute zu 50.000 anderen Bands gesagt, aber bevor sie einer breiteren Masse bekannt waren, waren die beiden für mich verdammt lustig und unterhaltsam. Da gab es Anti-Eisbär-Knut-Propaganda, eine Ode an den Bananensaft, Faustkämpfe gegen Benjamin Blümchen und Probleme mit dem In-Die-Hose-Machen. Absoluter Trash halt, aber eben auch sau-lustig, weil unbekümmert und ohne Message. Einfach nur Spaß-Musik.
    Seit dem Leichen-Song mit Sido hat mich kein einziger Song mehr gecatcht, die Seele von SDP, die ich vor 13,14 Jahren so gefeiert habe, ist nicht mehr da.
    Und ja, es steht ja Bands durchaus zu, sich in andere Richtungen zu entwickeln, und die müssen mir nicht immer gefallen, aber die Jungs hatten da was, was es so nicht oder nur sehr selten gab und ich gerne geteilt habe mit anderen und sie haben es eingetauscht gegen belanglose Dudelmusik ohne Witz, ohne Charme, ständigen Kollaborationen, die zwar nicht ganz so wehleidig klingt, wie der restliche Herzschmerzdeutschpop von den ganzen wehleidigen Singer-Songwriter-Hipstern der Charts, aber weit entfernt davon ist es auch nicht mehr.
    Musiker denken leider zu oft, dass sie ständig von Gott oder häufiger der Welt dazu berufen worden sind, diese zu belehren und "eine Message" zu verbreiten, wobei sie aber gleichzeitig (verständlicherweise) noch Geld verdienen wollen.
    Passt selten gut zusammen, und SDP sind eine Band, von der ich mir nun seit vielen Jahren nichts mehr geben kann (einmal hört man es sich dann doch noch an, in der Hoffnung, alte Wurzeln zu finden, aber das wars dann auch).

    Im gleichen Schlag befindet sich übrigens auch Alligatoah. Dem haben Gras und Kollaborationen seinen gesamten Wortwitz und sein "Edge", das er zweifelsohne mal hatte, genommen. Statt subtilen, fröhlich versteckten Fronts gibt es nur noch Ironie, die mit Blaulicht und Martinshorn angekündigt wird, damit auch jeder sie versteht und fröhlich verpackt ist das auch nicht mehr.

    Warum kapieren Musiker so selten, dass es okay ist, belanglose Scheiße zu produzieren? Sowas darf und muss es auch geben, und es ist ab und zu mal angenehm, den realen Ernsthaftigkeiten dieser Welt und den doppelgesichtigen Moralaposteln in den (sozialen) Medien zu entfliehen.
    Musik darf Spaß machen, Musik muss keine Message enthalten, erst recht keine belanglose.

    Wenn ich ein Problem habe, werde ich in Zukunft nicht mehr SDP rufen. Diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei.

    • Vor einem Jahr

      "Warum kapieren Musiker so selten, dass es okay ist, belanglose Scheiße zu produzieren?"

      Basierend auf dem, was die meisten so hören, scheinen sie es m.E. ziiemlich gut zu kapieren.

      "Sowas darf und muss es auch geben"

      Darf, jo. Muss? Nö.

      "es ist ab und zu mal angenehm, den realen Ernsthaftigkeiten dieser Welt [...] zu entfliehen"

      Stell dir vor, das kann man mit Nicht-Müllmusik auch! Wer hätte das gedacht.

      "Musik darf Spaß machen"

      Logisch. Nur Deppen denken, dass Musik mit Anspruch bzw Message keinen Spaß machen kann.

    • Vor einem Jahr

      Darauf erst mal zwei Lines Fair Trade-Koks, der guten alten Zeiten wegen... :koks:

    • Vor einem Jahr

      @Schwingster:
      Okay, der erste Satz hat gesessen. :D

      Nein, aber mal ehrlich, wer SDP aus damaligen Zeiten kennt und gehört hat, hat es sicherlich nicht getan, um sich zu bilden. Verschiedene Geschmäcker und so. Als jemand, der hauptsächlich in Trance und Metal zuhause ist, habe ich eher selten mit "froher" oder sinnloser Musik zu tun und hört eher traurige, epische, aggressive Töne und Musiker, die sich Zeit lassen, eine Geschichte zu erzählen.
      Ab und zu brauche ich aber mal Ausflüge in fröhlichere Musik, und neben Swing waren das in der Vergangenheit auch in gewisser Weise "Comedy-Bands" wie SDP, und ich glaube, jede Nische hat seine Existenzberechtigung. Ich erkunde jede Woche neue Musik, die ich noch nie vorher gehört habe, teilweise ganz neue Welten und Genres, die mir davor unbekannt waren.
      SDP war für mich eine wirklich GUTE Band dieses "Sinnlos"-Genres.

      Ich bin selbst Musiker, war in der Vergangenheit auch Webradiomoderator und DJ und ich stimme zu, dass jegliche Musik Spaß machen und kann und man mit aller Musik abtauchen kann, aber nicht alles funktioniert zu jeder Zeit und das schließt nicht aus, dass SDP das mal für mich dargestellt haben kann, oder?

      Ich trauere einfach einer Unbekümmertheit hinterher, die ich sehr anziehend (im musikalischen Sinne) fand und einen tollen Kontrast zu meinen sonstigen Hörgewohnheiten darstellte, der nun verloren gegangen ist. Das ist alles.