laut.de-Kritik

Zwischen Euphorie und Zweifel.

Review von

#freesza hieß es im August 2020 plötzlich auf Twitter. Nach anfänglichen Befürchtungen, SZA könnte auf Umwegen im Gefängnis gelandet sein, klärte sich auf: Sie wollte unbedingt neue Musik herausbringen, aber ihr Label Top Dawg Entertainment, insbesondere Präsident Punch, hielt sie zurück. Drei lange Jahre waren seit dem Debütalbum "Ctrl" bereits vergangen, und es sollten zwei weitere Jahre im Exil folgen. Ein paar Singles erschienen, ein paar Features hier und da. Das Album blieb aus. Stille.

Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz, daraufhin ein Leuchtfeuerschuss in den Himmel, gefolgt von Gospelchören. "Give me a second, give me a minute", beginnt SZA das titelgebende Intro "SOS", durchbricht die Stille und macht sich breit auf einem Beat, der sich auch auf einem Westside Gunn-Album gut gemacht hätte. Folgerichtig sind die ersten Lines auch nicht gesungen, sondern über die Produktion ihres Freundes Jay Versace gerappt. Nach eigenen Angaben wollte SZA nie rappen, bis er sie dazu gebracht hat. Ganz leise schreibt man sich auf den Wunschzettel im Hinterkopf: Bitte, ein ganzes Rapalbum von SZA. Wer weiß, vielleicht in fünf Jahren ...? Aber genug gerappt. Auf "Kill Bill" singt SZA wieder, fast schon süß-säuselnd, seichte Töne, sanfter R'n'B, und es dauert eine Zeit, bis man bemerkt, dass sie über den möglichen Mord an einem Verflossenen sinniert: "I might kill my ex, I still love him, though, rather be in jail than alone."

In einem Interview antwortete SZA auf die Frage, ob es etwas geben würde, was die Leute aus dem Album mitnehmen sollten, mit den Worten: "Nein. Das Thema des Albums ist 'Ich bin angepisst'. Ich hoffe, das kommt rüber." Das spiegelt sich allein schon in den Songtiteln: "Seek & Destroy", "Notice Me", "Nobody Gets Me" ... es hatte sich wohl einiges angestaut in der albumfreien Zeit. Noch nicht einmal Travis Scott traut sich in seinem Feature auf dem Trap-Song "Low" richtig an SZA vorbei und hält sich dezent im Hintergrund.

Generell ist die Produktion des Albums eher unterschwellig. Fettere Trapstyle-Beats bleiben die Ausnahme. Oldschool R'n'B- und Neosoul-Instrumentierungen dominieren, jedoch in einem sehr zurückhaltenden Gewand. SZA bekommt den Raum, den sie wirklich braucht, um sich frei zu entfalten. So sind die stärksten Momente des Albums die ruhigen. Wenn sich beispielsweise die hypnotisierenden Vocal-Harmonien in "Blind" vorsichtig entblättern. Wenn der Refrain von "Notice Me" zum Mitsummen animiert. Oder wenn SZA gemeinsam mit Phoebe Bridgers im Track "Ghost In The Machine" über die Zusammenhänge und Unterschiede von Menschlichkeit und Moral philosophiert.

Wo die leisen Klänge brillieren, bilden die lauten Experimente des Albums den Tiefpunkt. "F2F" bricht auf in rockige, fast schon pop-punkige Gefilde, und man möchte SZA einfach nur zurufen: "Bitte, komm' zurück nach Hause, zu R'n'B und Neo-Soul, stell' die verzerrten Gitarren aus der Retorte zurück in den Schrank, oder lass' sie noch besser auf dem Dachboden verstauben!" Vielleicht kommt Machine Gun Kelly mal zum Entrümpeln vorbei.

Zum Glück holt einen die Vorab-Single "Nobody Gets Me" direkt zurück zu den ruhigen Tönen, obschon auch dieser Track von der herkömmlichen Formel abweicht. Die Akustikgitarre im 6/8-Takt würde sonst auch perfekt auf ein Taylor Swift-Album passen. Aufeinanderfolgend also ein missglücktes und ein großartiges Experiment. Man kann den Ausrutscher getrost vergessen und den Skip-Finger für den zweiten Durchlauf schon mal aufwärmen. Er kommt nicht mehr zum Einsatz. Außer ganz vielleicht beim zweiten Travis Scott-Feature "Open Arms". Nachdem SZA hier ihre beste "Beyoncé-Irreplacable"-Hommage performt, muss Scott sich wohl gedacht haben: "Dagegen komme ich sowieso nicht an, wofür sich also anstrengen?" Es folgen die bereits seit Längerem bekannten Singles "I Hate U" und das großartige "Good Days". Der Ol' Dirty Bastard-Featuretrack "Forgiveless" rundet das Album ab.

Inhaltlich befindet sich SZA auf "SOS" zwischen "Du kannst mich mal" und "Bitte, brauch' mich", zwischen Euphorie und Zweifel, Zorn, Traurigkeit und Verzweiflung. Zwischen "Ich kann alles, wenn ich will" und "Warum sollte ich?" Das Albumcover spiegelt die innere Zerrissenheit wider. Die Sängerin sitzt allein auf einem Sprungbrett, unter ihr die Weiten des Ozeans, in ihr all die angestauten Gefühle der letzten Jahre, die sich auf der Platte Platz verschaffen. Das Foto referiert auf eine der letzten Aufnahmen von Lady Diana kurz vor ihrem Tod. Abgeschiedenheit lässt sich hineininterpretieren, Einsamkeit, aber auch Freiheit.

23 Tracks wirken erst einmal viel, massiv, viel zu verdauen. Die 68 Minuten der Platte rauschen allerdings nur so vorbei, sind kurzweilig, eingängig, und doch abwechslungsreich. Fünf Jahre Wartezeit haben sich gelohnt. SZA is free.

Trackliste

  1. 1. SOS
  2. 2. Kill Bill
  3. 3. Seek & Destroy
  4. 4. Low
  5. 5. Love Language
  6. 6. Blind
  7. 7. Used (feat. Don Toliver)
  8. 8. Snooze
  9. 9. Notice Me
  10. 10. Gone Girl
  11. 11. Smoking My Ex Pack
  12. 12. Ghost In The Machine (feat. Phoebe Bridgers)
  13. 13. F2F
  14. 14. Nobody Gets Me
  15. 15. Conceited
  16. 16. Special
  17. 17. Too Late
  18. 18. Far
  19. 19. Shirt
  20. 20. Open Arms (feat. Travis Scott)
  21. 21. I Hate U
  22. 22. Good Days
  23. 23. Forgiveless

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