laut.de-Kritik
Wie ein von Rentnerhänden mit bunten Farben übermaltes Jesus-Fresko.
Review von Sven KabelitzIhre vergangenen Taten kann man Sandra gar nicht hoch genug anrechnen. Sie zeichnete in den 80ern maßgeblich für den Erhalt der Schminkindustrie und den Taschentuchverbrauch bei pubertierenden Jungs verantwortlich. Mit "Stay In Touch" wagt die Sängerin aus Saarbrücken einen Großangriff auf ihre besten Zeiten. Hubert Kah, der schon damals neben ihrem Ex-Mann Michael Cretu für Hits und Hintergrundgesang zuständig war, befindet sich wieder an Bord. Eine Strategie, eingeläutet von den Produzenten Black & Jones: "Wir wollten unbedingt diese Magie der Hits von 'Maria Magdalena' oder 'In The Heat Of The Night' wieder aufleben lassen".
Um dieses Vorhaben so authentisch wie möglich klingen zu lassen, packen sie alles aus, was auch nur entfernt an damals erinnert. Das naive Stimmchen des Discomäuschens unterlegen Hi-NRG-Elemente, Synthie-Triolen, Handclaps, Blue Monday-Drumbreaks und Oktavengehüpfe. Während alle zusammen damit beschäftigt sind, den ganzen Klimbim aus der Mottenkiste zu wühlen, vergessen sie, dass viele Zutaten noch keine Garantie für ein gutes Gericht geben. Sandra verödet zu einem ranzigen Spiegelbild ihrer selbst. Einem von Rentnerhänden mit bunten Farben übermalten Jesus-Fresko.
Gerade das ehemalige Markenzeichen will auf "Stay In Touch" zu keiner Sekunde zünden. Beim Spiel zwischen den Stimmen Sandras und Hubert Kahs funkt nichts. Die Schuld findet sich erstaunlicherweise weniger beim singenden Grübchen, sondern vielmehr bei 'Engel 07' Kemmler. Dessen Gesang erhält viel zu viel Raum, mit dem er aber auch wirklich gar nichts anzufangen weiß. Schnell jault er sich zum ultimativen Quälgeist auf Sandras zehntem Studioalbum empor. Sein Gejammer in der Ballade "Sun In Disguise" ist schwer auszuhalten.
Immerhin gelingt den beiden mit "Moscow Nights" vom Typ her eine mittelprächtige Pet Shop Boys-B-Seite mit miesem Text, aber in diesem Kontext ein noch halbwegs erträgliches Liedchen. Eine weitere gute Nachricht: Die Debilität der Single "Infinite Kiss", gepaart mit dem Kitsch eines Fancy, bleibt ununterboten. Derweil bedient sie sich nicht nur beim Einstieg von "Kings & Queens" munter bei "Maria Magdalena".
Dabei standen die Sterne selten so gut für Frau Menges. Um sie herum sind in den letzten Jahren Musikerinnen gewachsen, die gar nicht so weit vom Sound der deutschen 80er-Pop-Ikone entfernt wirken. Ihre Epigonen La Roux, Robyn und Little Boots haben ihr eigentlich einen breiten Weg geebnet. Die Großmutter des Witch-House weigert sich nur, diesen zu betreten. Es hätte Mut verlangt. Doch Mut zahlt keinen Maniküre-Termin.
46 Kommentare
Eieiei, 50 Jahre und kein Fältchen, PS lässt grüßen. Um über den Zugang zum Gilf-Pool zu entscheiden benötige ich ungeschminktes Bild-Material, bitte.
Geh mal woanders perven Du Schmierlappen.
Klasse Kritik. Gefällt mir. Darauf 'ne Runde The Long Play und Goldene Zeiten
...feuchter hellseher...und das schon zwei jahre, bevor der song erschien? beeindruckend, feary @Fear_Of_Music (« da hatte ich 1983 so viele feuchte träume wegen der maria magdalena... hach ja, erinnerungen ... »):
Ich mochte Sandra immer sehr aber seit Cretu nicht mehr mitmacht /mitmachen darf wie auch immer will der Funke nicht mehr überspringen.
Das Album hier hat echt gute Ansätze aber ein Bischen muss ich der Rezension recht geben. Irgendwie wirkt es wie Sandra in der Twilight Zone und Kahs gejohle geht einem wirklich irgendwann auf den Nerv.
Blank and Jones haben einen super Job gemacht. Wer die Sandra aus den 80ern mochte, wird dieses Album lieben.