laut.de-Kritik
Getrieben von der Gentrifizierung am Prenzlauer Berg.
Review von Hardy Funk"Construction Sounds" macht seinem Titel alle Ehre und bietet zunächst einmal tatsächlich nur das, was der Name verspricht: Baustellengeräusche. Schleifmaschinen, Betonmischer, Presslufthammer, Bohrer, Hämmer, Spachteln, das ganze Sortiment. Dirk Dresselhaus alias Schneider TM, der bisher für eher filigrane und poppige elektronische Klänge bekannt war, erfindet sich also neu als Musique Concrète-Avantgardist.
Nur zaghaft hat Dresselhaus die Field Recordings bearbeitet oder mit elektronischen Sounds angereichert. Lediglich ein paar Flächen bereichern die "kosmische Musik" (Dresselhaus), kaum eine Melodie und kein einziger Beat verirren sich auf die Platte. Manchmal ist das dann wirklich nicht viel mehr als Baustellenlärm, wie im Titeltrack und ersten Song, einer 13-minütigen, langsam an- und abschwellenden Kakophonie einschlägiger Geräusche.
Manchmal verdichtet es sich aber auch zu beängstigenden, beklemmenden Sound-Collagen wie bei "Container". "Grinder In The Sky" schließlich greift zum ersten Mal auf ein zentrales Element elektronischer Musik zurück, den Loop. Aber auch der ist unter dem Lärm nur schwer herauszuhören. Radikaler jedenfalls kann man die Idee von Musique Concrète, bei der Umweltgeräusche in die Musik aufgenommen werden, nicht auffassen. Und wenn auch nicht der neueste Schuh, hat das tatsächlich seinen Reiz.
Störend ist allerdings der theoretische Überbau, den der Promo-Zettel mitliefert. Vom "Sound der Gentrifizierung" ist da die Rede und von "Baustellenlärm als kosmische Musik". Denn Dresselhaus hat die letzten Jahre im von der grassierenden Aufwertung betroffenen Berliner Stadtviertel Prenzlauer Berg verbracht. Die Geräusche von Kernsanierung und Modernisierung, in deren Folge die Mieten steigen und die Bohème vergrault wird, haben ihn zum Album veranlasst.
Das kommt ziemlich authentisch daher. Das Cover-Foto, das tatsächlich von Dresselhaus selbst geschossen wurde, könnte also durchaus der Blick aus dessen Fenster sein. Auch wenn es in meinem Bild vom Prenzlberg ja eher schmucke Altbauwohnungen sind, die da aufpoliert werden, und keine modernen Wohn- und Bürohochhäuser. Den am Baulärm leidenden feingeistigen Künstler und das erzwungene politische Statement braucht es aber gar nicht. Der Versuch, die Gentrifizierung zu vertonen, wirkt knöchern und raubt dem Album eine Vielzahl anderer möglicher Assoziationen.
Gegeben hat es so etwas natürlich schon ein paar Mal. Sofort schießt einem Industrial-Musik à la Einstürzende Neubauten oder Kluster in den Kopf. Schneider TM möchte aber weder mit Instrumenten Fabrikgeräusche imitieren (Kluster), noch mit Industriegeräuschen die Instrumentalmusik bereichern (Neubauten). Auch mit den Tracks der Greie Gut Fraktion kann man die Musik auf "Construction Sounds" nicht gleichsetzen. Die beiden (nicht nur) Elektronik-Avantgardisten Antye Greie und Gudrun Gut (u.a. of Malaria!-Fame) hatten vor zwei Jahren das im Ansatz ganz ähnliche Album "Baustelle" veröffentlicht. Mit Beat und Stimme war das aber ganz klar im Pop-Kontext angesiedelt und funktionierte mitunter sogar auf dem Dancefloor.
Dresselhaus hingegen möchte gar nicht erst in den Club, er möchte lediglich "diese wunderschönen Momente, erzeugt von unbekannten Bauarbeitern" teilen. Mit derlei esoterisch-romantischen Absichtserklärungen soll wohl der Wind der Avantgarde, der diese Platte durchweht, weggeredet werden. Aber Avantgarde hin oder her: Hätte das Album ein bisschen mehr Song-Struktur und ein bisschen weniger theoretischen Überbau, ich wäre dabei gewesen.
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