laut.de-Kritik
Vom Charme einer außer Kontrolle geratenen Kneipen-Schlägerei.
Review von Rinko HeidrichBlumfeld inspirierten eine englische Post-Punk-Band? Kommt eher selten vor, behauptet aber Shame-Sänger Charlie Steen. Eine damals sehr relevante Musikzeitschrift hatte das Album "L'Etat Et Moi" vor "Mellon Collie & The Infinity Sadness" von den Smashing Pumpkins gerankt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht mal eines der Shame-Bandmitglieder geboren. Dass Twenty Somethings in diesen Tagen auf vergangene Epochen zurückgreifen, überrascht andererseits aber auch nicht. Melodien würden nun eine zentrale Rolle spielen, denn das dritte Album solle passend zum Bandnamen keine falsche Scham mehr vor großen Melodien zeigen. Eine Lehre aus dem Vorgänger, den die Briten selber als zu grimmig bezeichnen.
Der Vorgänger geriet - was auch der Pandemie geschuldet war - übellaunig und stärkte trotzdem die Freundschaft der fünf britischen Jungs, die mittlerweile erwachsener klingen. Etwas schräg geht aber immer, wie "Fingers Of Steel" beweist. Das kaputte Klavier gleich zu Beginn klingt wie vor 100 Jahren das letzte Mal gespielt und dazu schreien Sänger Charlie und der Rest ordentlich schief, aber einträchtig: "Well, this time you feel that you've been found / But when you look there's no one around". Da ist sie wieder, diese einnehmende Proll-Attitüde der Band, für die sie aber doch zu schlau ist. Genau wie ihre Kumpels von der Fat White Family, mit denen sie einen Proberaum über einem (natürlich!) Pub teilten.
Album Nummer drei, von der Band als "Lamborghini unter den Shame-Records" angekündigt, möchte aber nicht mehr so griesgrämig einen Billy Bragg-Protestmarsch anführen, lieber geht "Six Pack" den Weg in Richtung Funk. So beginnt alles fast tanzbar, nur um dann in einer Art Satire auf die Red Hot Chilli Peppers zu enden. Live und ohne Schnörkel eingespielt, klingt die Nummer, als würde jedes Bandmitglied einen anderen Song anspielen - die passende Untermalung einer außer Kontrolle geratenen Kneipen-Schlägerei, die Shame erst anstacheln und dann lachend von der Bühne aus betrachten.
Überhaupt wurde "Food For Worms" komplett live eingespielt, dementsprechend direkt klingen viele Songs und geben sehr gut die Stimmung der Konzerte wider, auf die sie plötzlich verzichten mussten. Es bleibt nur das Problem, dass Shame das Chaos nicht so gut wie Black Midi orchestrieren. "The Fall Of Paul" ist eine einzige spontan wirkende Feedback-Orgie, die Produzent Flood (Depeche Mode, Foals) wohl einfach in der Hoffnung aufnahm, dass es eines dieser Meisterwerke sein könnte, die andere in nur einer Woche einspielen. Einer Debütband verzeiht man derlei, aber in diesem Fall muss einfach mehr kommen.
Besser geht es, wenn der chaotische Haufen zur Ruhe kommt und mit "Adderall" einen ihrer besten Songs produziert. Eine Lo-Fi-Ballade über den Abstieg in den Drogensumpf, an der angeblich Phoebe Bridgers mitwirkte. “Zufälligerweise nahm sie im selben Studio auf wie wir. Eines Tages machten wir einen Tausch, Josh spielte etwas Tamburin auf ihrem neuen Stück, und sie kam herein und sang die Gesangslinie auf unserem – was man eigentlich gar nicht hören kann." Ihr Stimme ist tatsächlich nicht wahrnehmbar, aber vielleicht sorgte ja einfach ihre Anwesenheit für diesen hymnischen Moment der Verletzlichkeit und Selbstreflexion in der eigentlich sehr männlichen und großmäuligen Musik von Shame. Ähnlich der Lo-Fi-Pop "All The People", der nicht nur im Titel an Blur erinnert. Graham Coxon gefällt das bestimmt.
Shame legen ein garstiges drittes Album vor, auch für diejenigen, die die South-Londoner absolut erstklassig finden. Was auch immer die Band von Zugänglichkeit faselte, es war eine Finte. Und Blumfeld gab ihnen wohl ein deutscher Labelmitarbeiter als Inside-Joke mit auf den Weg. "Food For Worms" ist wieder einmal richtig gallig, böse und konsequent in die Fresse. Punk ohne Melodien für Millionen, zurück zur rohen Essenz von dem einst Gefahr ausstrahlenden Genre. Shame bleiben eine absolute Herzensangelegenheit, und vielleicht kommen eines Tages ja auch die großen Songs dazu. Bis dahin schauen wir eben weiter zu, wie der "Lamborghini der Shame-Alben" mit voller Wucht die Wand durchbricht.
1 Kommentar
Sie haben meinen Respekt! Nach dem ersten Album kamen nun zwei Alben die beide na nenne ich es mal spröde sind.
Man muß sie lieben um sich darauf einzulassen. Flood ist ein gutes Zeichen.