laut.de-Kritik
Diese November-Musik geht das Leben von der grauen Seite an.
Review von Philipp KauseShawn Mendes war für mich lange irgendwo zwischen Sam Smith und anderem Mainstream-Betroffenheits-Pop angesiedelt. Dann traf ich Lena Meyer-Landrut, deren Musik-Expertise in R'n'B und Urban mich irgendwie beeindruckte. Mit anderen Tipps Amber Mark, H.E.R. und Julia Michaels bereicherte sie mich nachhaltig. Aber Shawn?! Passte nicht in diese Reihe.
Sie nannte ihn Pop im engeren Sinne. Doch auf der neuen Vorab-Single "Heart Of Gold" verhandelt er das Thema Suizid. Und ein Cover von Leonard Cohens "Hallelujah", einem der meist gecoverten und auch pathetischsten Lieder dieses Planeten, packt er auch noch mit auf "Shawn". So was mutet dann nicht nach Pop im engeren Sinne an.
Nicht zu verwechseln ist sein Album "Shawn" mit einem früheren, das "Shawn Mendes" heißt. Spotify-konform laufen alle neuen Nummern unter drei, etliche unter zwei Minuten, insgesamt summiert sich das auf eine Spieldauer von einem halben Stündchen. Alles zusammen ist typische November-Musik, geht das Leben von der grauen Seite an.
Um Tristes in Shopping Mall-Soundtrack zu verpacken, kommt Amy Rose Allen mit an Bord. Von Halsey bis Harry Styles schiebt sie ziemlich vielen Universal- und Sony-Künstler:innen ihre Textzeilen unter.
Mendes bleibt somit einer dieser Hitfabrik-Interpreten, bei dem Songs sechs Autoren brauchen. Je einen fürs Intro, für die Hookline, für einen Basic-Beat, für Metaphern, für die Bridge, für ein i-Tüpfelchen, für was auch immer. Nate Mercereau als Psychedelic-Ambient-Folk-Experimentator ist der spannendste unter diesen vielen Credits-Köchen, die ja doch meist Indifferentes brutzeln und deren Namen sich immer wieder durch solche Platten vermeintlicher Singer-Songwriter ziehen, die eigentlich nichts Fertiges zu Papier bringen, sondern hier und da mal eine Idee ihr Eigen nennen und mehr Zeit in Video-Drehs und Foto-Shootings verbringen als irgendwo anders. Konstantester Autor für Shawn ist Scott Harris, der bisher schon bei fast allem mitwirkte.
Shawn exklamiert wie andere, wenn sie im Theater Shakespeare spielen. Betrachtet zum Beispiel Tate McRae, während sie teils auf die gleichen Songtext-Zulieferer baut, ihre Liebesspiele eher von der körperlichen Seite, so betont Shawn die seelische, "when you're so in love and your souls touch, but it's still not enough". Das stellt er äußerst dramatisch dar. In "Nobody Knows" denkt man, der Weltuntergang sei nah.
Shawn klingt reichlich verheult. So sehr dass man beim Hören schon einen Lachkrampf bekommen kann, weil es sich so übertrieben und holprig anhört. Dabei geht es darum, dass ein Partner dem Alkohol mehr Vertrauen schenkt als einem Mitmenschen, "and everyone knows it. / But, fuck, you're the one", schreit Shawn und überrascht dann mit dem Bekenntnis: "I live for those moments." Für welche Momente, das bleibt kryptisch. Restlose Hingabe ist ein hoher Wetteinsatz im gesellschaftlichen Spiel und kann um so krasser enttäuscht werden. Denn ein Liebespartner bleibt eben doch biologisch ein getrennter Körper, bisweilen ein Fremder und verschmilzt nicht. Über diesem Umstand zerbricht in Deutschland schon ausführlich Lea auf der LP "Von der Schönheit und Zerbrechlichkeit der Dinge". Wer nicht so monomanisch fühlt wie Lea oder Shawn, wird wenig mit deren Alben anfangen können.
Denn musikalisch kratzen sie am Erbe von Cat Stevens ohne eine Songwriting-Vision zu entfalten. Es scheint zuerst Text-Fetzen gegeben zu haben, für die dann unter Schreibblockaden krampfhaft Musik hinterher geschoben wurde. Dabei verrichteten Auftrags-Komponisten ihre Jobs, um ihre Mieten zu zahlen. Man muss unterstellen: Zoom-Meetings schufen dieses Werk.
Heraus strömen in der konzertierten Büro-Arbeit Mariah Carey-Soul ohne allzu viel Soul sowie Lo-Fi-Folk, bei dem zwar Mundharmonika und Akustikgitarre regieren. Aber die beste Lagerfeuerstimmungs-Fassade bekommt doch Risse, wenn die Stimme dafür nicht stark genug nicht in Bann zieht.
Deshalb reicht Mendes "Heart Of Gold", in dem er "go-ho-ho-ho-ho-o-old" jault wie eine knarzende Tür, lange nicht an Neil Youngs "Heart Of Gold" heran. Durch die meisten Tracks schlängelt sich die Stimme des jungen Künstlers gleichtönend in einer übersichtlichen Ton-Spanne mit androgyner Klangfarbe. Mal singt er langsam, dann sehr sehr langsam, oft nah am Wasser gebaut. Laut und leise variiert er. Da geizt er nicht an Expression, siehe z.B. in "Heavy", selbst wenn die Tonqualität ins Peinliche absinkt.
Auch einen Roboter könnte man programmieren, so unbeteiligt zu heulen. Wie bei einer klassischen Olaf-Rede, ereignet sich recht wenig an Modulation in diesen doch eigentlich hoch emotionalen Geschichten. Inflationäres "hoooo" und "aaaah" als Background-Gesangstapete überzeugt nicht so recht, "The Mountain" ist Gesäusel. "That'll Be The Day" über Verlustangst ist wenigstens purer Folk, eine echte Alternative zu George Ezra, Gracie Abrams und anderen mies produzierten Kompromissen der Tristesse-Fraktion, auch wenn "Why Why Why" die Ezra-Route aus dem Wilden Westen gen "Budapest" reitet.
Von Kanada aus verpflichtet sich Shawns Team dagegen eindeutig so manchen Americana-Traditionen: Mandoline, Fiddle und der gebrochenen Stimme in Country-Dur-Akkordwechseln, etwa in "Rollin' Right Along". "Isn't That Enough" über das inzwei brechende Herz häutet den Softpop erfrischend und zeigt sich rustikal. "In Between" kann man fast als Unplugged und Kammermusik bezeichnen. Da spielt das Album Stärken aus, rational muss man sie anerkennen. Eigentlich klingt das sogar so antizyklisch, dass man es nicht genug würdigen kann.
Im Großen und Ganzen tut das Album zwar nicht weh. Es leistet aber auch nichts, um zeitlos visionär zu klingen. Es arbeitet einen Plattenvertrag ab. Man kann Trennungs- und Reuelieder, Introspektives und Intimes auch anders erzählen.
1 Kommentar
Kunst von Menschen, die sie eher als Vehikel betrachten, für Menschen, die sie auch eher als Vehikel betrachten. Berechtigter Wirtschaftszweig, schade um alles, was dagegen im Bandraum oder auf Bandcamp und Soundcloud verrottet.