laut.de-Kritik
Jedem gefallen, bloß keinem wehtun und ja nichts riskieren.
Review von Yannik GölzPop hatte es bislang schwer im Jahr 2018. Taylor Swift, Justin Timberlake, Katy Perry sind einer nach dem anderen gefloppt, während die Billboard-Charts von Hip Hop, EDM und vereinzelten Country-Songs dominiert werden. Da ist es um so erstaunlicher, dass unter all den Pop-Künstlern ausgerechnet Shawn Mendes, der Lidl-Eigenmarken-Justin Bieber auf Pop-Rock, die Fahne hochhält und zumindest im Radio- und Mainstream-Bewusstsein kontinuierlich relevant bleibt.
Mendes will sich auf seinem selbstbetitelten Album "Shawn Mendes" weiter von seinen Kinderstar-Vine-Wurzeln lösen und präsentiert eine Platte, die das Erfolgsrezept hinter seiner kommerziellen Standhaftigkeit sehr gut erklärt: Bloß keinem wehtun, jedem ein bisschen gefallen und nie zu viel riskieren. "Shawn Mendes" ist ein dröges und belangloses Pop-Album, das die typische John Mayer-Formel mit ein bisschen Blues und Funk aufhübscht, aber nie mehr als mit einer halben Zehenspitze in wirklich interessante Fahrwasser taucht.
Der eine Moment, in dem tatsächlich ein bisschen Bewegung entsteht, dürfte die Single "Lost In Japan" sein, die mit markanter Bassline und schöner Dramaturgie zum letzten Chorus das Mojo von Charlie Puths "Attention" aufgreift. Zwar nicht ganz so eingängig und durch die laschen Vocals weniger spektakulär, tragen dafür die verträumten Piano-Tupfer und Rhythmus-Gitarren zu etwas bei, das man auf jeden Fall als einen sehr schönen Song bezeichnen kann.
Leider rettet Produktion und Songwriting Mendes sonst kaum einmal vor der eigenen Durchschnittlichkeit. Die vereinzelten Ideen wie der Snow Patrol-Melodrama-Refrain auf "In My Blood" oder der moderne R'n'B-Einschlag auf Khalid-Duett "Youth" wirken konstruiert, lassen wirkliche Durchschlagskraft vermissen.
Dazu kommt, dass viele Songs ganz ohne tragende musikalische Ideen auskommen müssen und sich in klassischer Songwriter-Manier ganz auf Vortrag und Lyrics des Protagonisten stützen. Nur macht Mendes leider weder als Sänger noch als Texter besonders viel her. Großes Motiv ist eine Dualität zwischen nachvollziehbarer Unsicherheit und unausstehlichen Humble-Brags über Frauen, die ihm wohl nicht genug Liebe geben.
Auf "Mutual" kommen dann Spitzen wie "but half of you is not good enough for me" zustande, performt mit einer so schrägen Anspruchshaltung, die schon recht unsympathisch wirkt. Auf "Where Were You In The Morning?" suhlt Mendes sich regelrecht in Selbstmitleid und schierer Ungläubigkeit darüber, dass ein Mädchen nach dem One-Night-Stand keine Lust auf Frühstück mit ihm zu haben schien.
Für ein Album, das die Rolle des "Teeniestar, der jetzt auch Sex hat" glaubhaft machen soll, fühlt sich "Shawn Mendes" unglaublich zahm und zahnlos an. Das passt zumindest zu den Einstiegstracks wie "Nervous" oder "Like To Be You" mit Julia Michaels, auf dem er sich mit Ängsten und Komplexen auseinandersetzt und beschreibt, wie schwer er sich mit dem Deuten von weiblichen Signalen tut. Immerhin sind das zwar gängige, aber nachvollziehbare und nicht uninteressante Themen, die auch akustisch zurückhaltend inszeniert sind.
Da verdutzt es hingegen ein wenig, dass Mendes am Ende der Platte mit gefühlt etwa zwei Dutzend Frauen geschlafen und über Jetset-Lifestyle, Affären und One-Night-Stands gesungen hat, und trotz einem penetranten Flair des weinerlichen Selbstmitleides konstant den Frauenheld markiert. Und das auf der selben Art von schüchterner Gitarrenmusik, auf der er sich davor noch als unbeholfen und verunsichert dargestellt hat.
Insgesamt fehlt dieser Platte einfach der Biss, um wirklich zu kommunizieren, wer der junge Mann denn wirklich ist. Aber die Produktion und Komposition von Teddy Geiger schreckt sogar auf etwas gewagteren Tracks panisch davor zurück, mehr als einen Spalt breit von dem völlig gleichförmigen Pop-Rock-Gewand abzuweichen, das ihn dank Sympathie aller Dad-Rock-Fans zum unbestreitbaren Radioliebling gemacht hat.
Dieses musikalische Konzept läuft nicht wirklich mit den Inhalten der Platte zusammen. Mendes will seine Nahbarkeit und offen eingestandene Unsicherheit nicht aufgeben, weil er weiß, dass viele sich damit gut identifizieren können werden. Nur seine wehleidigen Frauengeschichten finden deshalb auch trotz kurzer Flirts mit interessanteren Musikstilen nicht den Raum oder Rahmen, um ein interessantes Album zu schaffen. So bleibt "Shawn Mendes" bis auf ein starkes "Lost In Japan" Radiofiller, der keinem wehtut, aber auch keinen wirklichen Mehrwert bietet.
4 Kommentare mit einer Antwort
Ich möchte mich der Rezension anschließen. Belangloser geht's kaum. Habe das Album auf Spotify gerade laufen u. bin im letzten Drittel. Ich habe mich bis hierher gequält um mitreden zu können. Möchte aber noch folgendes hinzufügen. Zu ''jedem gefallen, bloß keinem wehtun und ja nichts riskieren'' möchte ich noch ''so viel wie möglich verkaufen'' hinzufügen. Die Gier kommt bei solchen Leuten wie Mendes weit vor der Kunst. Negative Kritiken sind ihm egal. Hauptsache die jungen, naiven Mädels schmelzen dahin und kaufen oder streamen diesen Schund. Er verdient Millionen und alles ist gut. Die Musik selbst ist zweitrangig. Schade, weil stimmlich hätte er das Zeug weit bessere Musik zu machen. Heute zum ersten und letzten mal gehört und nie wieder. Minus 5 Sterne.
Stimme dir da absolut zu!
OK, mein einer guter Song ist eher "Youth", weil der wenig wehleidig klingt... aber "Lost in Japan" höre ich mir noch mal an... ansonsten wirklich nur ein Hauch von der Qualität eines John Mayer. Selbst Ed Sheeran höre ich da lieber. Und manche Songs kommen mir vor, wie im Demo-Stadium hängen geblieben.
Ach ja, und was Pop angeht, läuft es derzeit sehr bei BTS... testet mal deren aktuelles Album!
Aktuelle Mainstream-Popmusik der besseren Sorte – allerdings öfter nah an der Ed-Sheeran-Kopie
[https://tagpacker.com/user/peterhbg?t=Shaw…
Schrott