laut.de-Kritik

Hingebungsvoll, virtuos, viel: "Threads" plus die Hits.

Review von

Einst hatte Sheryl Crow knackige und ungestüme Country-Rocksounds mit Songwriter-Pop verschmolzen. Unvergessen sind neben ihren zahlreichen Hits auch überraschende Coverversionen, "Sweet Child O'Mine", "The First Cut Is The Deepest" und zuletzt George Harrisons "Beware Of Darkness". Die letzteren beiden finden wir live auf der vorliegenden neuen CD.

Im Spätsommer 2019 erschien mit "Threads" das so respektable, schöne wie auch gut gefüllte, vielseitige Abschiedsalbum Crows. Kennzeichen: Stilbrüche bis zum Bersten, Gäste aus vier Generationen, ehrliches Handwerk, Liebe zum Detail. Kaum steigerbar. Da mutet es komisch an, wenn die Künstlerin einen Nachschlag liefert, ohne Vorankündigung, noch dazu mit einem Live-Best Of. Gerade jetzt, wo's um die Konzertsituation weltweit so mau steht.

"Live From The Ryman And More" vereint Mitschnitte aus drei Locations: vom renommierten Newport Jazz-Festival und vom Theatre at Ace Hotel, einem bestuhlten Mega-Schauplatz mit einer Lichtkuppel in L.A. Die meisten Mitschnitte kommen aber aus dem holzvertäfelten, edlen Ryman Auditorium in Nashville, mit Opern-Bestuhlung, Prunk, geschichtsträchtig, symmetrisch im Sound. Bei allen Aufnahmen dringen alle Instrumente und die Stimme(n) gut ans Ohr; das Publikum hört man, erkennbar, aber auf gedämpftem Level. Mit an Bord sind etliche der "Threads"-Gäste, darunter vier Mal die Alternative-Popper Lucius. Crow führt gute Teamarbeit auf.

Heraus kommt weder ein "Greatest Hits"-Kompendium früherer Charts-Plätze noch eine Live-Version von "Threads". Um sich nicht allzu streng entscheiden zu müssen, stopft Sheryl 27 Tracks zusammen. Immerhin acht Nummern von den insgesamt 17 aus "Threads" präsentiert sie dabei.

Die Zeit, in der sie mehr als 'Partnerin von ...' und mit ihrer bewegenden 'Glück-im-Unglück'-Biographie Schlagzeilen machte, statt durch ihre Musik, spart sie galant aus. Umso mehr hebt sie die Neunziger hervor, die sich inzwischen weit entfernt anfühlen. Plattenhandel, Musikfernsehen, Lebenstempo - in den Nineties war vieles anders, Fotofilter braucht Sheryl bis heute keine, Autotune auch nicht.

Obwohl ihre Platten von 2005, '07, '10 und '17 also gar nicht vertreten sind, und von 2014 genau ein einziges Stück, "Best Of Times", lässt sich gut der Bogen von ihren Anfängen bis heute nachvollziehen. Alles ist üppig und voller Stars: "Everyday Is A Winding Road" stretcht sich dank frenetischer Sechssaiten-Arbeit auf über sieben Minuten. "Prove You Wrong (feat. Stevie Nicks, etc.)" rockt rasant in Cowgirl-Stil und zementdichtem dirty Electric Guitar-Sound, während die elegante Ballade "Don't (feat. Lucius)" elastisch hüpft und kristallklar jeden Ton jeden Instruments durchscheinen lässt. "Run, Baby, Run (feat. Lucius)" glüht. Elegisch spielt die Band auf, Sheryl schmettert den Text so, als denke sie ihn gerade spontan, ein Piano streut Synkopen ein. Das zarte, akustische "Nobody's Perfect (feat. Emmylou Harris)" zeigt, dass mitunter das Publikum lauter klingt als die Bühne.

Laute Stadionmusik beherrscht Crow ja auch. Entsprechend serviert sie "Wouldn't Want To Be Like You - Na Na Song" als sehr schönes Americana-Hardrock-Medley mit krass coolen Stakkato-Gesangspassagen. Von den alten Schinken bezaubert neben dem hier geschickt eingeflochtenen "The Na Na Song" (1993) auch "Strong Enough", dargeboten mit Schnörkel malender Hawaii-Gitarre, dem Choralgesang von Jess und Holly (von Lucius), samt mühelosem Erklimmen beeindruckender Tonhöhen. Dreieinhalb Minuten wirken wie zehn; so viel Emotion steckt hier drin.

Die drei essenziellen Anspieltipps: "It Don't Hurt" wieder aufzufrischen hat sich vollkommen gelohnt. Das Lied fährt hier als massiver, zielstrebiger Classic Rock im Petty-Stil samt Harmonika um die Kurve und platziert eine feine und donnernde Dramaturgie und ein schönes langes und durchdringendes Solo. "Best Of Times" crasht als sagenhaftes Bluesrock-Inferno. Die Disco-Vibes in "All I Wanna Do" und die nah nach vorn gemischte Stimme polieren den 90er-Klassiker nochmal auf. Was auch das Publikum und der Drummer so sehen, die zusammen ein gutes Gespann geben.

Okay, die schiere Masse der Musik ist unstrukturiert, was sich aber leicht 'aushalten' lässt. Dafür wird man richtig in Crows Kosmos eingetunkt, wenn man die zweieinhalb Stunden anhört. Oft hat man wirklich das Gefühl, direkt in der Konzerthalle zu stehen. Und für die Unübersichtlichkeit entschädigt diskographisch das bisher nur auf einem Soundtrack erhältliche "Real Gone".

Wie schon öfter gilt auch hier für Crow: Wem sonst gar keine Singer/Songwriter-Musik gefällt, der kann hier beherzt einen Hörversuch starten - die Missouri'anerin erweist sich auch an diesem späten Punkt ihrer Karriere als eine extravertierte, charismatische Performerin, lebt ihre Melodien mit jeder Faser ihrer Stimmbänder. Wer's nicht glaubt, höre Minute 3'47'' bis 5'00'' von "Can't Cry Anymore", und wer die CD dann noch nicht kauft, mag wahrscheinlich gar keine Live-Musik. Sheryl forever!

Trackliste

CD1

  1. 1. Steve McQueen
  2. 2. A Change Would Do You Good
  3. 3. All I Wanna Do
  4. 4. My Favorite Mistake
  5. 5. Tell Me When It's Over
  6. 6. Everything Is Broken (feat. Jason Isbell)
  7. 7. Can't Cry Anymore
  8. 8. Prove You Wrong (feat. Stevie Nicks, etc.)
  9. 9. Run, Baby, Run (feat. Lucius)
  10. 10. Don't (feat. Lucius)
  11. 11. Strong Enough (feat. Lucius)
  12. 12. Leaving Las Vegas
  13. 13. It Don't Hurt

CD2

  1. 1. Still The Good Old Days
  2. 2. Cross Creek Road
  3. 3. Nobody's Perfect (feat. Emmylou Harris)
  4. 4. Home
  5. 5. Maybe Angels
  6. 6. Real Gone
  7. 7. Wouldn't Want To Be Like You - Na Na Song
  8. 8. Beware Of Darkness (feat. Brandi Carlile)
  9. 9. The first cut is the deepest
  10. 10. Best Of Times
  11. 11. If It Makes You Happy
  12. 12. Soak Up The Sun
  13. 13. Everyday Is A Winding Road
  14. 14. I Shall Believe (feat. Lucius)

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