laut.de-Kritik

Eine tragische Affäre: Selbstschutz durch Schickeria.

Review von

Der Albumtitel "In Meiner Blüte" wirkte im Vorfeld jedes Mal ein bisschen ironischer, wenn für Shindy mal wieder etwas schief lief: Tour- und Release-Verschiebung, frustrierte Fans, ein nie zu Ende geführtes Tell-All-Interview mit Jan Wehn ... der Bietigheimer Sunnyboy ließ im Vorfeld seines fünften Albums Skepsis an seinem Bulletproof-Status aufkommen. Eine Skepsis, die ihren Weg nicht auf das finale Produkt gefunden hat. Im Gegenteil: Shindy klang nie opulenter und hedonistischer als auf "In Meiner Blüte".

Das Projekt geht er als Skizze einer Aufstiegsgeschichte via Fashiontalk-Punchlines an - und sucht dabei so vehement nach Goodlife-Bildern, als wolle er sich selbst von der Unsinnigkeit der Zweifel überzeugen. Auf den ersten vier Tracks des Albums flüchtet Shindy deshalb in die Münchner Vorstadt, als wäre sie ein Kloster. Er zielt auf diese blasierte, deutsche Old-Money-Ästhetik, das Ziel ist ganz eindeutig die Aussage: "Seht her, ich bin wirklich reich. Ich habe die Welt der Reichen und Schönen gesehen."

Man nimmt ihm den süffisanten Weltenbummler ab, wenn er auf Songs wie "Bayern Freestyle" diese kleinen Snapshots einer Gesellschaft aufnimmt, die einem Kind griechischer Arbeiter sonst wahrscheinlich eher verwehrt bleibt. Genüsslich und mit einem Händchen für aussagekräftige Bilder rappt er von seinem Platz in einer Allee mit den Sommervillen der Fußballstars, von Brotaufstrich für fünfzig Euro, von Hafermilch-Drinks vor dem Staatsballett.

Vergleicht man dies mit Rappern wie einem Kollegah, deren Vorstellung von Clubs und dem Highlife optimistisch mit 2000er-Vin Diesel-Filmen anfangen und auf PornHub aufhören, haben wir hier deutlich mehr erzählerische Basis, und Shindy spielt es provokant. Er lebt mit Gusto aus, was für ein Tryhard er eigentlich ist, wenn er auf "Geld Machen Jung" vor einer maskulinen Rapszene drapiert, er sei "frisch gebotoxt wie eine Hoe". Dann kommen noch Lines wie "Hol' sie ab in einem neuen Vroom-Vroom", und die Aussage ist klar: Wer Geld hat, hat Recht, und wer Recht hat, der kann machen, was er will. Das ging als Single in die Welt, während seine Fans damit ringen, ob er ihnen nun schon das zweite Mal einen Billo-Rucksack als Boxinhalt verscherbeln will (diesmal war es ein Bademantel, glaube ich).

Musikalisch gibt es zur Untermalung klare Ansagen. "Das ist mein 'Dark Twisted'", sagt er im Intro, pardon, ich meinte natürlich, im "Prolog". Entsprechend üppig fallen die Chipmunk-Samples auf der Platte aus, komplett garniert mit den etwas klickediklackigen Drums aus der Kanye-Schule der 2000er. Das klingt wertig, aber auch ein bisschen nostalgisch. Mehr noch: Die Produktion auf diesem Album klingt neureich, nach Sneakern auf dem Marmorboden, und hätte vielleicht einen oder zwei Modi mehr vertragen können. Vor allem, wenn schon bei den Singles wie "Cent'Anni" ein bisschen Dampf verloren geht.

Einen zweiten Modus gibt es, aber auch der ist aus einem ähnlichen Holz geschnitzt: In der hinteren Hälfte der Platte bekommen wir einen anderen Shindy zu hören. In Songs wie "Oma's Hände", "Johannes der Täufer Freestyle" und "Märchen Schreibt die Zeit" geht Shindy eine Ebene tiefer, kehrt zurück ins Kinderzimmer und zu den Michael Jackson-CDs. Zu einer richtigen Introspektion kommt es nicht, eher scheint er sich Bilder für eine Rückblende seiner Cinderella-Story zusammenzuklauben, wenn er rappt, dass schon mit 14 jeder gewusst habe, er sei ein Star, und dass er auf die Welt gekommen sei, und jeder sein Angestellter gewesen wäre.

Dabei erzählt die Form indirekt eine andere Geschichte. Denn wenn es etwas gibt, das sich mit all diesem Getue ein wenig beißt, dann die Tatsache, dass dieses Album Shindy als einen absoluten 2000er-Rap-Fanboy entlarvt. Etwa bei den Kanye-Referenzen und dem Anspruch, es diesem in seinem Wohlstands-Maximalismus und seinem Alben-Handwerk (hoffentlich nicht in seinen politischen Meinungen) gleichzutun. Aber es gibt auch West-Coast-Heldenverehrung in der Tupac-Hommage "All Eyez On Me", eine Nate Dogg-Hook aus der Dose auf "How Come?" und schließlich sogar Abbitte an Jugendhelden wie 50 Cent.

Irgendwo zwischen den Zeilen von "In Meiner Blüte" erzählt Shindy eine Aufstiegsgeschichte ohne den Hustle, folgt aber nur dem Blueprint von Artists, die ihren eigenen Hustle erzählen. Das mündet in einem der besten Tracks, "Kosta's Freestyle", in dem er den Stolz auf seinen Vater, seine Lebenslust, aber auch sein Arbeitsethos an dessen Sarg reflektiert. Shindys Vater, über den man weiß, dass er dieser griechische Gastwirt in der schwäbischen Kleinstadt war. Wieder bleibt ein Verweis auf den Weg Shindys nur angedeutet, auch wenn die restlichen Lines durchaus zünden.

Genau daneben in der Tracklist steht jedoch der wahrscheinlich schwächste Song, "Steps", ein vermeintlich an seine Kinder gerichteter Phrasen-Marathon mit ganz grauenhafter Nico Santos-Hook, die sich anhört wie ein LinkedIn-Post seiner neuen Nachbarn. "Step eins, Step zwei / Nimm's leicht und die Welt ist deins / Step drei, Step vier / Glaub dran, dann passiert es dir", singt der Mann da. Das ist irgendwo zwischen neoliberaler Leistungslogik und aristokratischem Geburtsrecht, nur eben strohdumm aufgekocht. Es ist Scheiße, die die Tochter von Markus Söder als Instagram-Caption verwenden könnte.

Irgendwie ist Shindys Anbiederung an das Leben in besseren Kreisen eine tragische Affäre. Handwerklich kann dieses Album grundsätzlich eine ganze Menge. Es klingt fantastisch, es hat etwas zu erzählen, und tut das auch mit Muße und Biss. Nur, dass der Aufsteiger Shindy in dieser geschlossenen Münchener Welt wahrscheinlich bestenfalls als Fremdkörper und schlimmstenfalls als Eindringling gelesen wird. Das deutet sich nur an, aber dies ist kein Album für die besseren Kreise, sondern eines, das die Zugehörigkeit seines Protagonisten zu diesen als Schutzmechanismus entfremdet. Darin ermattet dann dessen Potential.

Mehr als ein paar Mal scheint Shindy so kurz davor, wirklich schneidende, eindrückliche Beobachtungen darüber anzustellen, wie absurd diese Gesellschaft ist, in die er sich zu integrieren versucht. Was er da beobachtet, ist stark erzählt, besonders, weil er die Bilder einfängt, ohne den für ihn typischen Modus der Fashiontalk-Punchlines zu verlassen. Aber er kann die Brüche nicht zulassen, weil er diese Neureichen-Kredibilität braucht, um von den akuten Turbulenzen seiner Karriere abzulenken. So scheitert sein Album daran, dass er selbst viel zu sehr an das Bild von Oberschicht glaubt, vor dem er doch eigentlich so kurz davor stünde, es zu entlarven.

Trackliste

  1. 1. In Meiner Blüte (Prolog)
  2. 2. Bayern Freestyle
  3. 3. Geld Machen Jung
  4. 4. Cent'Anni
  5. 5. All Eyez On Me
  6. 6. Christmas At Harrods
  7. 7. September
  8. 8. Old Money
  9. 9. Steps (feat. Santos)
  10. 10. Kosta's Freestyle
  11. 11. Candy Rain
  12. 12. Go To Church
  13. 13. Oma's Hände
  14. 14. Johannes der Täufer Freestyle
  15. 15. How Come? (feat. Nate Dogg)
  16. 16. Märchen Schreibt die Zeit

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9 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 10 Monaten

    "Vergleicht man dies mit Rappern wie einem Kollegah, deren Vorstellung von Clubs und dem Highlife optimistisch mit 2000er-Vin Diesel-Filmen anfangen und auf PornHub aufhören"

    :lol:

    Sehr gelungene Review mit einem interessanten Interpretationsansatz.

    Bin vom Album echt positiv überrascht. Tatsächlich sehr homogen, überraschend wenig Gestöhne und lyrisch auf jeden Fall sein reifstes Werk. Die Beats mit ihren 2000er Anleihen gefallen mir trotz ein paar vielleicht zu offensichtlicher Samples auch sehr und machen mir Lust, mal wieder einige Klassiker hervorzukramen. Wird diesen Sommer sicherlich noch öfter laufen. "September", "Go to Church" und "Kosta's Freestyle" (an Shindys Onkel, nicht seinen Vater gerichtet) sind neben "Geld machen Jung" meine Favoriten.

  • Vor 10 Monaten

    Hätte ich eine Review geschrieben, hätte ich sie mit "Ungesunde Arroganz" betitelt, weil was uns nach der ganzen Zeit mit Versprechungen und Verschiebungen geboten wird, ist dann doch ziemlich schwach.

    Die Beats sind zumeist irgendwelche Loops mit Sample und die Songs sehr geradlinig strukturiert. Keine Experimente, keine neuen Ansätze. Kann man mögen, weil man genau das kriegt, was man erwartet, kann man aber auch wie in meinem Fall furchtbar langweilig finden. Wirklich gut gemixt sind einige Songs überhaupt nicht, "Old Money" hat z. B. so gut wie keinen Subbass, bei anderen Tracks ist die Stimme zu dominant, als dass man den Beat wahrnimmt. Selbst, wenn man diese Punkte nicht beachten muss, ist es insgesamt nicht originell. Die meisten Beats klingen eher nach Scorpion-Ära-Drake-Grabbelkiste und dass abgesehen von einem R'n'B-Sänger kein Feature drauf ist, ist auch eine der größeren Schwächen des Albums. Textlich gesehen brauch man bei einem Shindy keine Themenvarianz erwarten, sondern eher Punchlines. Aber die fand ich dieses Mal auch nicht so toll.

    Der einzige, der mir tatsächlich gefallen hat, war dann am Ende September. Das war auf allen Ebenen der Shindy mit seinen Stärken, wie ich ihn auch FVCKB!TCHE$GETMONE¥ kennengelernt habe.

  • Vor 10 Monaten

    Der Part, dass er in der Münchner Blase bestenfalls als Fremdkörper, aber eher als Eindringling gesehen wird, ist natürlich Unsinn. Der Typ ist ja nun kein Assi aus der Hochhaussiedlung, der durch Rap reich geworden ist, sondern ein Abiturient aus Bietigheim, der durch Rap reich geworden ist. Insofern wird er da schon irgendwie "akzeptiert" werden. Warum man da überhaupt Bock drauf haben kann, Teil dieser golfspielenden Blase zu sein, wird sich mir aber nie erschließen. Vielleicht weil ich als Sozialarbeiter da qua Lebenseinstellung, aber auch monetär zu weit weg bin.