Porträt

laut.de-Biographie

Sid Vicious

Einigen Größen des Musikbusiness' galt er als der Antichrist schlechthin. Rick Wakeman etwa, selbst kein Unschuldsknabe, äußert sich noch heute abschätzig über ihn. Paul McCartney war vom Gedanken, dass seine Kinder Punk-Anhänger werden könnten, geradezu terrorisiert.

Personen, die Sid Vicious persönlich kannten, zeichnen dagegen das Bild eines schüchternen, höflichen Menschen. Zumindest zu Beginn seiner Karriere in der Öffentlichkeit, die in weniger als zwei Jahren tragisch endete.

1957 in der englischen Grafschaft Kent als John Simon Ritchie geboren, nimmt er nach dem Schulabschluss ein Fotografie-Studium auf, das er nach zwei Semestern allerdings wieder aufgibt.

In der aufkeimenden Punk-Bewegung gehört er ab 1975 zu den prägenden Figuren. Er ist ein glühender Verehrer der in den Startlöchern stehenden Sex Pistols - wie auch Billy Idol und Siouxie Sioux, mit denen er als modischer Vorreiter den Spitznamen Bromley Contingent erhält.

Bei einem Gig soll Ritchie den Pogo erfunden haben. "Er trug einen Lederponcho, der so eng war, dass er seine Arme nicht bewegen konnte. Also hüpfte er einfach auf und ab. Aber das kann auch nur ein Mythos sein, genauso wie der, dass mir bei einem anderen Gig eine Frau ein Ohr abgebissen hat", erinnert sich Shane MacGowan, damals noch Shane O'Hooligan, in seinen Memoiren.

Erste musikalische Erfahrungen sammelt Ritchie 1976 als Schlagzeuger bei Siouxsie & The Banshees. Im Januar 1977 feuern die Sex Pistols ihren Bassisten Glen Matlock. Sänger Johnny Rotten fragt seinen Kumpel Ritchie, ob er nicht einspringen wolle. Er sagt zu und kriegt einen neuen Namen verpasst. Sid Vicious - so heißt angeblich ein Hamster Rottens.

Als Bassist erweist sich Vicious als vollkommen untauglich – bei Liveauftritten wird seine Spur so weit wie möglich leise gedreht, auf dem einzigen Album der Sex Pistols ist er auf maximal einem Stück zu hören – "Bodies". Spindeldürr, bleich, mit einer Stahlkette samt Bügelschloss um den Hals und selbst zugefügten Rasierklingen-Schnittwunden am Oberkörper wird er jedoch zum Inbegriff des Nihilismus der Punk-Bewegung und zum Bürgerschreck.

Ganz anders die Erinnerung Joe Strummers, dem er vor einem Konzert über den Weg läuft. "Er kam als letzter aus der Garderobe, als sie ihren Soundcheck machten. Ich dachte mir: 'Ich mach mal einen von denen dumm an, mal schauen, was passiert.' Er trug ein goldenes Elvis-Jackett, also sagte ich zu ihm 'Oi!'. Er sagte: 'Was?' und ich: 'Wo hast du die Jacke her?' Ich liebe Sid für seine Antwort, denn damals gingen die Bands wie Kampfhunde aufeinander los. Aber das tat er nicht. Er sagte: 'Ja, die ist echt cool, nicht wahr? Die habe ich von einem Stand dort und dort.' Ich fand das großartig. Sid mussten nicht das Arschloch spielen."

Die Aufmerksamkeit und der Erfolg der Pistols steigen dem verhinderten Bassisten jedoch bald zu Kopf. Als "Never Mind The Bollocks" im Oktober 1977 erscheint, bandelt er mit dem heroinsüchtigen amerikanischen Groupie Nancy Spungen an und hängt bald selbst an der Nadel.

Spungen übernimmt die Rolle der Yoko Ono bei den Beatles - im Quadrat, sozusagen, denn nur zwei Monate später schmeißt Johnny Rotten hin, total entnervt über die übergroß gewordenen Egos seines ehemaligen Kumpels und dessen Freundin.

Im Sommer 1978 nimmt Vicious mehrere Stücke auf, darunter Frank Sinatras "My Way" (das als B-Seite einer posthumen Sex Pistols-Single auf den Markt kommt) und "Something Else" sowie "C'mon Everybody" von Eddie Cochran. Er tritt auch live auf, was in den folgenden Jahren zu zahllosen Bootlegs unterschiedlich schlechter Qualität führt.

Im Oktober 1978 wird Spungen in New York in einem Zimmer des Chelsea Hotels erstochen aufgefunden. Neben ihr steht unter starkem Drogeneinfluss Vicious, der unter Mordverdacht ins Gefängnis wandert. Gerüchten zufolge wird er als schmächtiger Engländer von Mithäftlingen misshandelt und vergewaltigt. Als er am 1. Februar 1979 auf Kaution freigelassen wird, ist er clean, aber am Ende.

Am folgenden Morgen wird er tot aufgefunden. Todesursache: Heroinüberdosis. Ob er sich dieselbe mit Absicht oder versehentlich schoss, lässt sich nicht abschließend klären. Seine Mutter Ann Beverly behauptet später, er habe sich bei der Freilassungsparty einen goldenen Schuss gesetzt, der aber nicht tödlich gewesen sei. Also habe sie mit einem weiteren Schuss nachgeholfen, da er sicherlich verurteilt worden wäre und den Knast nicht überlebt hätte.

Nach dem Tod ihres Sohnes verschüttet Beverly die Asche auf dem Grab Spungens und versucht, aus seinem tragischen Leben Reibach zu machen, bis auch sie 1996 an einer Überdosis stirbt.

Musikalisch hält sich Vicious' Vermächtnis in Grenzen. Posthum veröffentlicht Virgin 1979 ein Album mit dem Titel "Sid Sings", 2004 erscheint ein offizielles Livealbum, dessen Qualität die der zahlreichen Bootlegs aber kaum übertrifft. Dennoch bleibt Vicious einer der bekanntesten Darsteller des britischen Punk. Attitüde geht in diesem Fall über Technik.

"Sid war etwas naiv, aber voller Witz und Humor. Ein exzellenter Typ, aber die Drogen haben ihn zu einem Tier gemacht, zu einem zutiefst unangenehmen Typen", fasst Rotten alias John Lydon in seiner Autobiografie zusammen.

Alben

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