laut.de-Kritik

Zwei Typen, ein Laptop, und alle Idioten bekommen ihr Fett ab.

Review von

Happy Birthday, "Divide And Exit". Zehn Jahre ist es nun her, seit Sleaford Mods ihr offizielles zweites Album rausgehauen haben - und der eigentliche Mods-Hype 2014 in und außerhalb von England beginnt.

Andrew Fearn und Jason Williamson sagen selbst, dass "Divide And Exit" die wichtigste Platte ihrer bisherigen Karriere darstellt: Keine Scheiß-Jobs mehr, nur noch Musik und Texte rauskloppen. Grund genug diesen persönlichen Meilenstein mit einer Jubiläums-Edition zu krönen. Zwar ohne fette Sahnetorte von Baking Daddy, dafür aber mit remasterten Songs, zwei neuen Tracks und einem vom befreundeten Künstler Cold War Steve neu gestalteten Cover.

In den vergangenen zehn Jahren ist natürlich viel passiert beim Duo aus Nottz (Nottingham). Früher spielten sie in kleinen Clubs, vor Plattenläden oder in versifften Pubs. Mittlerweile reisen sie um die ganze Welt. Ihre Konzerte in großen Hallen sind meist ausverkauft, auf Festivals spielen sie vor Tausenden von Leuten. Der Sound ist gefestigt, und die Texte immer noch erschreckend aktuell.

Die Dokumentation von Christine Franz "Bunch Of Kunst" begleitete diese wilde Konzertreise. Der Film zeigt sehr sympathisch, wie zwei Dudes aus dem muffigen Nottingham plötzlich vor einem riesigen Publikum auf der Bühne des legendären Glastonbury Festival stehen und sich dabei fast in die Hose machen. Die Fans sind dabei immer die wichtigsten Begleiter und Kritiker der Sleaford Mods: Man feiert die neuen und alten Songs mit großer Leidenschaft und diversen Kraftausdrücken.

Auf "Divide And Exit" scheppert es noch ordentlich - trotz Verbesserung der Klangqualität. Und so muss es sein.: Punk in 2014! "Air Conditioning" ist der ideale Opener, um sich im typischen Mods-Sound zu suhlen und in den Sog der krachenden Drum-Beats hineinziehen zu lassen. Am Ende steht mit "Air Con" noch eine bisher unveröffentlichte Version, aber das Ur-Tier "Air Conditioning" ist auf jeden Fall die bevorzugte Variante.

Andrews Elektronic-Beat-Einlagen bleiben charakteristisch minimal. Plastik-Keyboardsets wie frisch aus dem Probekeller. Man könnte meinen, man riecht dessen Muff noch. Es klingt blechern, so als würde man im Hintergrund auf präparierte Strongbow-Dosen schlagen. Drogen und Alkohol waren in dieser Zeit noch die treuen Begleiter. Der ganze Frust über die britische Gesellschaft musste irgendwie runtergespült werden. Jason fasste seine Wut dabei in eindringliche Songtexte, Andrew steuerte allerlei Soundkreationen bei.

"Tied Up In Nottz" ist eine von vielen Mods-Hymnen, die heute immer noch für euphorische Tanz-Shout-Anfälle bei Livegigs sorgen. Dabei wird jede einzelne Songzeile mitgegrölt: "The smell of piss is so strong / It smells like decent bacon." Den Text schrieb Jason damals u.a. in einer Kneipe in Berlin. In der Hauptstadt gab es zu jener Zeit komatöse Nächte und einen legendären Auftritt im vor Schweiß tropfenden SO36. Später nahm man den Song dann in Andrews Wohnung auf und wunderte sich über die gelungene Melodie.

Die Texte beschreiben auch noch heute die bittere Wahrheit. Seitdem entfernte der Brexit England nicht nur von Europa, es folgte die Pandemie, und nun tobt ein Krieg in der Nachbarschaft. Keiner kann mehr die Augen verschließen. Die Kacke ist am Dampfen, und Sleaford Mods sprechen dem Arbeiterkind aus der Seele. Die Punchline sitzt, der Bass betont die Melodie. Die Worte werden in rasanter Geschwindigkeit ins Mikro gerotzt. Rülpser, Kreischen und Husten inbegriffen ("A Little Ditty"): "A little ditty and it's all gone wrong / I don't expect the tools to sing along."

"Tiswas" bleibt ein absoluter Banger: "I've got called an anarchist / That's for the middle class trainspotters / I don't want my dog on a string. That's gonna hurt the thing." In den 70ern gab es eine Kinderfernsehshow in England namens "Tiswas". Aus der Sicht Jasons geht es im Song aber mehr um die tägliche Verzweiflung als um die bunte, lustige Show am Samstagmorgen. Die eigenen Ideale werden nicht ernst genommen, und man findet keinen Platz in der Gesellschaft.

Die visuelle Umsetzung des Stücks wird vor allem in der großartigen Wohnzimmer-Session des NME von 2014 deutlich. Andrew sitzt im Hintergrund gemütlich auf dem Sofa. Sein Einsatz: ein kurzer Klick, und der Sound fließt aus dem Laptop. Dazu nickt er - wie gewohnt - ein wenig mit dem Kopf und grinst ab und zu über die Textzeilen seines Kumpels. Damit ist seine Arbeit erledigt, während Jason nun aus dem Bauch heraus schuftet und seine brillante Poetry imposant und mit voller Wut ins Mikro hustet.

Cooler und lässiger geht es kaum, aber es symbolisiert auch die Traurigkeit eines ganzen Landes. Am Ende bleiben nur spöttische Ausraster. Eine Art erzwungene Heiterkeit, die man an den Tag legt, wenn man eigentlich schon am Boden liegt. Die ganze Rohheit des Sounds, die wütende Lyrik. Punk-Poesie direkt vom Sofa. Und so hauen die Sleaford Mods einem jeden weiteren Titel um die Ohren. Zwei Typen und ein Laptop. Zornig und mit allerlei Sorgen im Gepäck.

Für die Welt der Mode interessiert sich Jason ebenfalls, auch hier bekommen die Idioten in den Chefetagen ihr Fett ab. Er selbst trägt gerne legere Kleidung (siehe Instagram). Natürlich spielt sein Wortwitz auch hier eine große Rolle. Modemacher Paul Smith wird man in seinem Kleiderschrank jedenfalls nicht finden. In "Smithy" verpasst er diesem erst mal ein paar Denkzettel: "Sir Paul, you can find B-inspiration in everything / The recyclable black bins bags of dog shit. Angels sing."
Jason rebelliert gegen alles was Scheiße ist: Tories, Thatcher und nationalistischer Hoheits-Dreck ("Livable Shit").

Sleaford Mods funktioniert nicht nur auf Platte, sondern ist auch Fitness fürs Hirn von der Bühne aus. Jason nutzt diese herbe Sprache, die man auch als Nicht-Native-Speaker sofort versteht. Dazu Andrews rougher und satter Soundmix. Läuft auch zehn Jahre später noch gut durch, und wird wohl so bleiben. Das beweisen Sleaford Mods mit immer weiteren Single-Überraschungen, etwa aus der großen Welt der Pop-Dance-Musik: Die "West End Girls"-Coverversion (Pet Shop Boys) bekommt man nicht mehr aus Kopf und Beinen.

Auf der Geburtstags-Edition von "Divide And Exit" gibt es neben dem erwähnten "Air Con" noch eine weitere Zugabe, die sich sofort in die Hirnrinde frisst. "Git Some Balls". Bäm! Die Mods-Formel läuft. Kick out the Tories! Die Welt braucht dieses Duo noch immer dringend.

Manchmal können Jason und Andrew ihr Glück gar kaum fassen. Nicht nur ihre seit Jahren wachsende, treue Fangemeinde steht weiterhin parat, auch prominente Künstler und Musiker lieben ihre Musik. Iggy Pop supportet die Mods schon länger in seiner BBC-Radioshow, auch Damon Albarn, Robbie Williams und Robert Downey Jr. outeten sich als Fans. Glückwunsch noch mal zu dieser tollen Erfolgsgeschichte und alles Gute weiterhin. Für immer Mods! PS: Wann kommt Baking Daddy endlich wieder?

Trackliste

  1. 1. Air Conditioning
  2. 2. Tied Up In Nottz (Focustrack)
  3. 3. A Litty Ditty
  4. 4. You’re Brave
  5. 5. Strike Force
  6. 6. The Corgi
  7. 7. From Rags To Richards
  8. 8. Liveable Shit
  9. 9. Under The Plastic And N.C.T.
  10. 10. Tiswas
  11. 11. Keep Out Of It
  12. 12. Smithy
  13. 13. Middle Men
  14. 14. Tweet Tweet Tweet
  15. 15. Git Some Balls
  16. 16. Air Con
  17. 17. Git Some Balls (clean Radio Edit)

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