laut.de-Kritik

Musik aus dem Kohleschacht, überraschend massentauglich.

Review von

Schon mal die allseits beliebte, preisgekrönte britische Serie "Downton Abbey" geschaut? Hier ein kleiner, willkürlich ausgewählter Auszug aus der Inhaltsangabe von Wikipedia: "Die Granthams besuchen Lord und Lady Sinderby, die Schwiegereltern von Rose, wo der arrogante Butler Stowell und Thomas Barrow aneinander geraten. Mary und Edith finden Gefallen an zwei Hausgästen der Sinderbys. Isobel lehnt den Heiratsantrag von Lord Merton endgültig ab, die Gräfinwitwe weist ihrerseits Fürst Kuragin zurück und bringt ihn mit seiner verschollenen Ehefrau zusammen. Mr. Bates legt in einem Brief das falsche Geständnis ab, Mr. Green ermordet zu haben, um Anna zu entlasten, und flieht nach Irland."

Oh dear, so lovely. Das Gebaren der Aristokratie und die Umtriebe des Gesindes sind einfach zu köstlich. Von dieser amüsanten Begebenheit muss ich unbedingt Nigel erzählen, wenn wir uns zum Squash treffen.

Ernsthaft jetzt, richtiger Vollidiot, der Mr. Bates. Massiv hängengeblieben, alles. Überhaupt, wer bei dieser ganzen Scheiße nicht umgehend das Bedürfnis verspürt, auf eine grüne, englische Wiese zu kacken und dabei über Handyboxen Sleaford Mods zu hören, glaubt auch fest daran, dass der freie Markt Wohlstand für alle bringt, wenn man ihn nur von der Leine lässt, und hat aus Überzeugung Christian Lindner gewählt. Schließlich benennt der Mann auch einfach die drängenden Probleme unserer Zeit, wie die eklatant niedrige Zahl an Immobilienbesitzern unter Zwanzig- bis Dreißigjährigen. 

Jason Williamson und Andrew Fearn haben ihren Irvine Welsh gelesen und dementsprechend wenig Verständnis für ein Bild von England nach Agatha Christie, pittoreske Dörfer voll skurriler, liebenswerter Charaktere und irgendwelchen Mysterien hinter bürgerlichen Fassaden, die in irgend einen belanglosen Mordfall münden. Hinterher ist dann wieder alles beim Alten und die Queen macht Winke-Winke. Jedoch, Auenland ist abgebrannt. Die Hexe Maggie Thatcher ist tot, aber ihr Gift wirkt noch. Tea-Time-Trump Boris Johnson und andere von seinem Schlag haben das Land aus der EU herausschwadroniert. Das England der Sleaford Mods ist eins der "Trainspotting"-Charaktere, der sozialen Kälte, gegen die nur warme Wut und ungezügelter Selbstausdruck helfen.

Gegen giftiges Gelaber und gegen die Weltflucht in eine Inspektor-Barnaby-Idylle pöbeln sie an: Sleaford Mods sind Billy Elliot und nehmen es mit Sauron und den Hobbits gleichzeitig auf. Sie kamen von ganz unten und wollten etwas, mittlerweile haben sie es, gut besuchte, verschwitzte Touren, Auftritte beim Glastonbury. Das haben sie mit musikalisch einfachsten Mitteln erreicht. Damit ist ihre Attitüde ebenso Rap wie Punk. Das erklärt unter anderem, warum sie mit ihrer Minimal-Musik fernab des Mainstreams ein so großes Publikum erreichen.

Die vorliegende EP heißt so pragmatisch wie sinnig "Sleaford Mods". Nach der Tour im Frühling zum hochgelobten Album "English Tapas" war offenbar noch so viel Dampf auf dem Kessel, brodelte die Kreativität noch heiß genug, dass sich noch ein fünf Tracks starkes Destillat abschöpfen ließ. Das Songwriting ist nach wie vor aufs Nötigste eingedampft, dafür gefühlt noch eine Spur knackiger als zuletzt.

Der Bass rumpelt postpunkig-primitv durch die Platte und erinnert in seiner Wucht an frühe Joy Division, bevor das Genre später seine unterkühlte Note bekam. Dazu klöppeln die Drums aufgeräumt nach vorn, der Mann am Mikro keift, und damit haben Sleaford Mods eigentlich schon fertig, was ihren Sound angeht. Ein Sound, der die Billigboxen, aus denen er ursprünglich kam, nicht vergessen hat, nur weil er mittlerweile vor vierstelligem Publikum stattfindet. Es ist faszinierend, dass Andrew Fearn sicherlich weiß, wie man eine Drummachine benutzt und was damit alles möglich ist. Trotzdem bedient er sie so, als hätte er sie erst seit fünf Minuten in der Hand.

Dilettantismus als Ideal bedeutet keinen Mangel an Substanz, sondern heißt, dass der Song knallen muss, und zwar sofort: "Bang Someone Out" ist auf eine ruppige Art ab der ersten Sekunde unverschämt tanzbar, dazu muss man sich bewegen und die Keulen schwingen. Ein Track wie das tanzende Social Distortion-Skelett. Briten schreiben, wahrscheinlich genetisch bedingt, einfach gute Popsongs, und Sleaford Mods machen da keine Ausnahme, auch wenn sie das verstecken, so gut es geht. Etwa mit dem paranoiden Ton, der sich durch "Gallows Hill" zieht und den Basslauf auf der Straße hält. Er könnte sonst ausbüxen und auf einer dieser coolen, geschmackvollen Londoner Parties, bei denen Sleaford Mods mit ihren Visagen nicht reingelassen werden, zu einem Franz Ferdinand-Song werden.

Der pumpende Beat von "Joke Shop" zu verlorenen Noten aus dem Casio-Keyboard wäre mal zu einem Bastard aus Trip Hop und früher Neuer Deutscher Welle geworden, wäre er je groß geworden, doch er ist in Nottingham im Sozialbau aufgewachsen und hat mit elf angefangen zu rauchen. Der fiese Break auf "Dregs" wiederum transportiert etwas von Rage Against The Machine-artiger Urwut, ohne das sich Tom Morello mit viel Verzerrung einen abmeiern muss. Respekt außerdem, dass Dr. Motz am Mikrofon sich hier einmal mit überzeugendem Ergebnis im Gesang versucht.

Textlich überzeugt vor allem der Opener "Stick In A Five And Go": "The screen gets a window and makes it right / While I take out all the rubbish on who I don't like / There's nothing in 'ere, I'm just ignoring my kids / Spitting at some idiot I don't know from Leeds" könnte auch von Welsh selbst stammen. Genauso aggressiv wie lyrisch präzise packt Williamson "Black Mirror"-Entfremdung und Isolation, schwelenden Hass, emotionale und soziale Verarmung in wenige Zeilen. Im weiteren Verlauf der Track-Story organisiert sich das lyrische Ich die Adresse des Idioten aus Leeds und stattet ihm, als Postbote verkleidet, einen Besuch ab: "I've got a big package for ya / You need to sign for it, mate". Garstiger Humor macht die Frage erträglich, die der Track aufwirft: Was, wenn sich der Hass, der in Form von gedanklichen Ausgeburten durchs Netz strömt, auf einmal in physischer Realität entlädt. Teilweise passiert das ja schon.

"Sleaford Mods" zeigt eine Band, die unvermindert unter Spannung steht. Sie machen Musik aus dem Kohleschacht, überraschend massentauglich, und fördern von dort fünf schmutzige Diamanten zu Tage. Unterdessen steuert das nicht ganz so einige Königreich auf einen harten Brexit zu, und die Dreharbeiten zum "Downton Abbey"-Kinofilm laufen schon. Es wäre also sehr wünschenswert, wenn Sleaford Mods weiterhin rumpeln und krakeelen würden, und nach nichts anderem sieht es im Augenblick aus. Oh mate, so marvellous.

Trackliste

  1. 1. Stick In A Five And Go
  2. 2. Bang Someone Out
  3. 3. Gallows Hill
  4. 4. Dregs
  5. 5. Joke Shop

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3 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Alles was sich heutzutage noch Punk nennt sollte sich die Diskografie dieser zwei komplett anhören und danach die Instrumente an den Nagel hängen um umgehend ein BWL Studium oä zu beginnen.
    Für mich die Entdeckung der letzten 10....ach was 20 Jahre!
    Und ich versteh' die nicht mal wirklich! Zwar kann man natürlich die Texte nachlesen (unbedingt zu empfehlen ausser man versteht diesen Dialekt) aber das ist nicht mal nötig denn man fühlt es!
    Kann es kaum erwarten die mal live zu erleben (aber bitte nicht auf einem Festival, finde da passen die nicht hin).
    Harter Fanboi geworden daher selbstverständlich völlig unvoreingenommene 5/5

    • Vor 6 Jahren

      Habe es an einer anderen Stelle schon erwähnt, live lohnen die sehr.

    • Vor 6 Jahren

      Das kam sogar in der Doku rüber als sie das erste Mal einen 2000er Club in Nottingham voll gekriegt haben. Alter Schwede hat da die Luft gebrannt!
      Nächsten Sommer bin ich für ein paar Tage in Dublin wäre natürlich ein Traum die dort zu erwischen

    • Vor 6 Jahren

      "Alles was sich heutzutage noch Punk nennt sollte sich die Diskografie dieser zwei komplett anhören und danach die Instrumente an den Nagel hängen um umgehend ein BWL Studium oä zu beginnen."

      Kompletter Bullshit. Attitüde stimmt. Musik ist endkacke.

    • Vor 6 Jahren

      Word! "Chubbed Up" und "Key Markets" waren eine emotionale Offenbarung und für mich die Motivation meinen Bass nach 20 Jahren wieder auszupacken ...

    • Vor 6 Jahren

      "Attitüde stimmt. Musik ist endkacke."

      Und was soll mehr Punk sein als das? Die Mucke ist übrigens trotzdem geil.

  • Vor 6 Jahren

    Letztes Album war auch für mich das erste, fand es richtig geil, das hier wird demnächst gehört.

  • Vor 6 Jahren

    Edit: Der freie Markt bringt Wohlstand für alle und Christian Lindner mehr Punk als die Sleafords.