laut.de-Kritik

Teenage Angst im 90er Kleid.

Review von

Das Ende der Teenager-Jahre ist mindestens genau so verwirrend wie die Teenager Jahre selbst. Auf einmal muss man sich zwischen der ehemaligen Rolle der Adoleszenz und der kommenden Rolle des Erwachsenen zurechtfinden. Dazu kommt noch der erste große Herzschmerz und der Aufbruch in eine selbstbestimmtere Zeit.

Das Gefühl dieser Jahre fängt nun Lindsey Jordan, alias Snail Mail, auf ihrem Debütalbum "Lush" meisterhaft ein. Auf zehn spielfreudigen Indie-Rock-Nummern singt sie über die große Liebe, die nichts von einem wissen will. Die Agonie heißer Sommertage. Die Lüge, dass man alles unter Kontrolle hat.

Ihre Perspektive darauf ist maximal unverbraucht, ist sie selbst doch gerade erst 19 Jahre geworden. Genau wie Lorde auf Pure Heroine schickt sich Lindsey auf ihrem Label-Debüt an, der Welt mitzuteilen, was junge Menschen fühlen.

Musikalisch stecken ihre Stücke knietief im Slacker-Rock der 90er. Pavement, Guided By Voices oder Helium. Mit diesen teilt sie ihr Händchen für scheinbar mühelos hingeworfene aber dennoch eingängige Gitarrenmelodien. Diese sind auch die instrumentelle Sensation des Albums. Bereits im Alter von fünf Jahren begann die junge Amerikanerin Gitarrenunterricht zu nehmen und lernte unter der Fittiche von Szenegrößen wie G.L. Jaguar von den Post-Punkern Priests. Dieser veröffentlichte auch ihre Debüt-EP Habit als erster auf dem bandeigenen Label Sister Polygon Records.

Spätestens mit dem Release von "Habit" begann der Stern Snail Mails zu steigen. Die Indie-Institution Matador nahm die aufstrebende Band unter Vertrag und sorgte für ein Rerelease der Habit EP für ein größeres Publikum. Von diesem ersten Release hat es nur "Stick" auf das Debütalbum geschafft. Poliert und mit mehr Fokus auf Lindseys Vocals wurde aus dem verwaschenen Homerecording eine strahlend-verlassene Popnummer. Lindsey singt einer verflossenen Liebe nach und will nur wissen, wie es weitergegangen ist. "And did things work out for you? / Or are you still not sure what that means?/ And it's a hard trip to the kitchen sink / 'Cause I can't wash this one clean". Wer sich selbst noch nicht wirklich kennt, kann der einen anderen Menschen kennenlernen?

Auch Lindsey erkundigt auf "Lush" vor allem sich selbst, insbesondere in emotionalen Extremsituationen. Dabei changiert sie innerhalb weniger Sekunden zwischen emotionaler Abgebrühtheit ("If it's not supposed to be / Then I'll just let it be ") und pubertärem Weltschmerz ("And I know myself / And I'll never love anyone else")

Diese Momente plötzlich aufkeimender Schroffheit geben dem Album einen ganz besonderen Zauber. Das anfangs unscheinbare "Golden Dream" baut sich langsam auf, sowohl textlich als auch musikalisch. Auf eine sachte Offbeat-Gitarre singt Lindsey scheinbar gedankenverloren "Head below the surface of a / Frozen lake/ Head in the black water / Let it seep into my brain". Kurz vor Schluss aber, wenn der Song schon vorbei scheint, brechen sowohl Gitarre als auch Gesang aus. Ein Riff zerstört die träumerische Stimmung und Lindsey jault "Stupid/ Stupid/ Stupid/ Me, me/Me, me".

An diese angekratzte Grundstimmung schließt "Full Control" direkt an. Die Gitarre zieht das Tempo an, während das Schlagzeug deutlich stärker in das Gesamtbild rückt. Textlich ist viel mehr Klarheit geboten, schon zu Beginn wird nichts verschleiert. "Don't even wanna fix it now" liefert die perfekte Grundlage für den grandiosen Refrain "And in full control / I'm not lost / Even when it's love / Even when it's not".

Definitiv "love" sind "Pristine" und "Heat Wave". Klar, auch hier geht es nicht um glückliche Pärchen, sondern Lindsey, die allein in ihrem Zimmer mit ihrer Gitarre trauert. Aber beide Songs sind Slacker-Rock in seiner besten Verfassung. Die Gitarre schlingert zwischen den Tempi hin und her, mal im Midtempo (was im Snail Mail Kontext Höchstgeschwindigkeit bedeutet), mal gedankenverloren im Downtempo. Dazu fährt Lindsey all ihre Fähigkeiten als Texterin auf.

"Pristine" befindet sich noch in einer Beziehung, merkt aber ganz deutlich, dass es zu Ende geht. "And if you do find someone better / I'll still see you in everything/ Tomorrow and all the time gipfelt in "And I know myself and I'll never love anyone else". Die wichtige Frage an die Partnerin ist aber "Don't you like me for me?"

"Heat Wave" hingegen weint eben dieser Person hinterher. Die Partnerin hat schon längst eine Neue gefunden, Lindsey hingegen sitzt immer noch in der titelgebenden Hitzewelle und will sich gar nicht aus ihrem Zimmer rausbewegen. "And I hope the love that you find / Swallows you wholly / Like you said it might".

"Lush" kann aber noch mehr als Teenage-Slacker-Rock. "Let's Find An Out" ist eine behutsame Neo-Folk-Ballade, die beinahe ganz auf ein Schlagzeug verzichtet. Stattdessen trägt nur die Gitarre einen erstaunlich klaren Gesang, der selbstbewusst im Mittelpunkt steht.

Die Zukunft sieht für Snail Mail und seine Protagonistin Lindsey Jordan rosig aus. Ihr Debütalbum hat sie sofort in die Riege der kommenden Indie-Superstars wie Soccer Mommy, Car Seat Headrest, (Sandy) Alex G oder Mitski katapultiert. Anzeichen, dass sie dem Trubel nicht standhalten könnte, zeigt sie bisher nicht. Viel mehr möchte sie für ihre nächste Platte nach Italien ziehen und dort ihr "Call Me By Your Name"- Album aufnehmen. Ganz egal ob sie das auch wirklich machen wird, Snail Mail ist mehr als nur ein kurzer Hype.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Pristine
  3. 3. Speaking Terms
  4. 4. Heat Wave
  5. 5. Stick
  6. 6. Let's Find An Out
  7. 7. Golden Dream
  8. 8. Full Control
  9. 9. Deep Sea
  10. 10. Anytime

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