laut.de-Biographie
Snap!
"'Damit kannst du alles verkaufen'", zitiert das SZ-Magazin 2009 die Werbebranche über die Hookline "I've got the power" - Jahrzehnte, nachdem das Lied, Snap!s erste Single, in die Charts schoss. Batterien, Bier, Insektizide, Kreditkarten, Jeans, Schokoriegel, Spielekonsolen, Staubsauger, Stromtarife, Waschpulver, Windeln, ... Tausende Werbespots und TV-Shows enthalten Ausschnitte aus "The Power" von Snap!, und der Strom der Anfragen reißt nicht ab.
"Wahrscheinlich sind weltweit höchstens zehn Musikstücke so leistungsfähig", bewertet Producer Luca Anzilotti, dessen erste selbst gekaufte Platte "School's Out" von Alice Cooper war, sein eigenes Vermächtnis in der Süddeutschen. Trotz mancher Lizenzverstöße freut sich dort Ko-Produzent Michael Münzing: "Das Stück kann unsere Familien bis ans Lebensende ernähren. (...) Im Jahr kriegen wir hundert Angebote, aber nur bei dreißig kommt es zum Vertragsabschluss, denn das Stück ist teuer."
Obwohl die Formation vor allem durch ihre weibliche Stimme bekannt ist, handelt es sich genau genommen nur um drei Tracks auf dem Debüt "World Power", auf denen Penny Ford singt. Außer ihr sind zudem immer wieder andere Vokalistinnen im Lauf des Projekts zu hören. Einzige Konstante bilden die beiden Produzenten. Sie agieren zeitweise unter dem Autoren-Pseudonym Benito Benites und John Virgo Garrett III. Der Name Benites signalisiert Latin Groove, Münzing hat zu dieser Zeit einen Zweitwohnsitz auf Ibiza.
Er wächst in Frankfurt am Main auf, Beruf: Elektroingenieur. Gerne verschanzt er sich hinter einer Vielzahl von Künstlernamen, ist aber einer der Pioniere von House Music in Europa. Sein Hobby: Videospiele. Diese Vorliebe verbindet ihn mit Luca.
"Eigentlich war es der C64: Der hat uns zusammen gebracht. Der Michael war in Frankfurt einer der wenigen, der damals diesen C64 hatte, und man hat halt so Spiele ausgetauscht", führt Luca Anzilotti im Gespräch mit VIVA die Spuren bis zurück zum Anfang. Münzing schildert im selben Talk die Aufgabenverteilung: "Luca ist mehr im Groove-Bereich und auch mehr im perkussiven Bereich tätig. Einfach, weil er's besser kann, und ich bin halt mehr im harmonischen Bereich tätig. Das ist einfach 'ne Ergänzung. Du kannst das nicht voneinander trennen: Auch harmonische Bereiche können sehr perkussiv sein."
Bewaffnet mit dem Synthesizer, der in King Jammys Dancehall auf Jamaika genauso Einzug hält wie quer durch den japanischen City-Pop und in erfolgreiche Rap-Platten, produziert der Michel vom Main 1985 den Song "Visions And Dreams". Unter dem Namen Curare schwimmt er auf der allgemeinen Synthie-Welle. Es textet und singt Cherie Thomas. "Visions And Dreams" bleibt ihr einziges Lied und sein erstes.
Dominantes Instrument ist der 808, der sowohl für die Wiedergabe blecherner Melodie-Patterns als auch für die Stakkato-Beats prägende Grundlage einer ganzen Welle an Hits und Klassikern bleibt. Es ist unter anderem Münzings fleißigem Treiben an dieser Maschine zu verdanken, dass Frankfurt in der Folge die vormalige deutsche Electro-Hauptstadt Düsseldorf ablöst und oft Herkunftsort für Techno-Produktionen in der Wendezeit wird - mit dem 'Sound Of Frankfurt'.
Auch wenn in Berlin viele Keller-Locations und die Love Parade rasch zu Symbolen der Rave Culture werden, ist die Mainmetropole als Produktions-Standort ab dem Aufploppen von Snap! nicht wegzudenken. Die Story dazu geht so: In der Club-Szene lernt er Luca Anzilotti und Sven Väth kennen, die beide deutlich jünger, Anfang 20 sind. "Und in der Stadt kennen sich immer alle DJs, das ist ganz normal" so Michael Münzing auf VIVA. Er ist damals Anfang 30 und bezieht mit Luca 1984 ein erstes eigenes Studio in einem dunklen Bürokomplex in Offenbach am Main. Väth wächst in Obertshausen im Kreis Offenbach auf. Zusammen nennen sich die Drei die Organisation Of Fun – kurz: Off.
Als erstes haben sie schlechte Nachrichten, "Bad News". Ihr "Trend Mix" von dem Lied klirrt im Human League-Sound jener Zeit. Zu Weihnachten '86 folgt mit "Electric Salsa" bereits der erste Hit, gleich ein europaweiter. Die höchste Position erringt der Club-Groover in Österreich, Platz Zwei. Trotzdem währt die Kollabo des Gespann nur zwei LPs lang. Das Aufnehmen verschlingt immer mehr Zeit. Kennen gelernt hatte man sich ja in einem anderen Setting, beim nächtlichen Auflegen. "Sven hat gesagt, 'Ich will eigentlich DJ bleiben. Mir macht es Spaß ins Studio zu gehen, aber ich bin DJ, ich möchte das bleiben.' Und wir haben uns getrennt, ganz einfach weil jeder seine Aufgaben gemacht hat", führt Michael bei der Sendung "Viva Jam" aus.
Dreh- und Angelpunkt für alle drei ist in jenen Jahren das 1978 eröffnete Dorian Gray, eine Flughafen-Disco am Frankfurter Airport für 2.000 Techno-Wütige. Dort genießen Anzilotti und Münzing zwar ihre DJ-Slots, haben aber zum Auflegen nicht viel Passendes zur Verfügung.
Also produzieren sie's selbst. "Zu der Zeit, wo wir angefangen haben, gab's in Deutschland nicht viele Leute. Man hat gesehen, was Westbam macht, fand das auch gut. Wir haben halt unseren eigenen Stil gehabt", meint Münzing in der VIVA-Doku über die mittleren '80er. "Das war die Freude, das war der Spaß. Dass wir einen Musiktitel produziert hatten, der lief da vom Band, und die Leute haben tatsächlich darauf getanzt", so Luca Anzilotti im Format Muso Talk.
Parallel zum Projekt mit Väth machen die beiden späteren Snap!-Heads bereits ohne ihn eine ganze Platte als 16 Bit, "Inaxycvgtgb". Die Gaststimme leiht ein gewisser Edwin Hind von der Synthpop-Gruppe Picnic At The Disco. Ihre Musik einem Label unterzujubeln, fällt den beiden Hessen unglaublich schwer. "Früher bist du in die Büros reingekommen, hast Demos vorgespielt, und die erste Frage war: 'Ja, seid ihr Musiker?' - 'Nein, wir sind DJs.' – Da hat man uns rausgeschmissen. Und heutzutage wenn du in ein Büro einläufst und sagst, du bist DJ: – 'Oh ja, bitte unterschreiben Sie hier!' - Da wird man sofort gesignt, ich glaube schon, dass wir damals für einige den Weg geebnet haben", urteilt Luca Anzilotti im Muso Talk.
"Um aus dieser Situation rauszukommen - hast 'ne Schallplatte, gehst zur Industrie und die gucken dich an, als ob du irgendwie vom Mars kommst", gründen die beiden 1989 ihre eigene Plattenfirma, erinnert sich Münzing an den Wunsch nach mehr künstlerischer Entscheidungsmacht. So entsteht das Indie-Kleinstlabel Logic Records in den eigenen Studios. Münzing zu Viva: "Einer der ersten Künstler, die wir damals eingekauft haben, war Moses P!" Außerdem fördert man mit gutem Riecher Dr. Alban, bis dieser seinen Durchbruch hat.
Diese Kreativ-Zelle in Offenbach ist der Kern einer ganzen großen Bewegung. Sie soll später auf Namen wie 'Eurobeat' oder 'Eurodance' hören, Begriffe, mit denen man 1989 aber noch nichts anfangen kann. Die Vorreiter können es auch später im Rückblick nicht. "Ich war auch sehr erstaunt auf Wikipedia zu lesen, dass wir die Erfinder von Eurodance sind. Für uns war es einfach Club-Musik", ordnet Luca Anzilotti das eigene Lebenswerk gegenüber dem HR ein. Es gibt unüberhörbare Parallelen einerseits zur Italo-Disco, andererseits zum amerikanischen Hip-House: einer Kreuzung aus Electropop, frühem Chicago Acid-House, gesungenen Parts und Rap-Elementen. Wobei dann beim Eurodance stets die Frauen singen und die Männer rappen.
Beim Herumprobieren an einer neuen Vinyl für die Flughafen-Disse entsteht spielerisch "The Power". Münzing erinnert sich bei Viva, sie "hatten aber damals keinen Rapper, sondern wir haben halt von irgendeiner Platte den Rap-Part genommen, haben das Ding natürlich auch noch frech veröffentlicht, mit diesem Rap-Part drauf. Und haben ziemlich entsetzt gesehen, dass das jetzt auf einmal abgeht. Wir wollten's eigentlich nur auf Schallplatte haben, dass man's im Club spielen kann."
Nicht nur die Kombi aus Rap und Dance dürfte die Masse bei "The Power" überzeugt und mitgerissen haben. "Den ersten Live-Auftritt mit Snap! hatten wir dann am 7. November 1989, zwei Tage vor der Wende, in Ostberlin", berichtet Michael Münzing dem SZ-Magazin. "Als wir zurückkamen, war die Mauer offen: Alles rund um dieses Stück ist einfach magisch."
Flugs versucht man von der in Umlauf gebrachten Scheibe abzulenken, auf der sich also das ungefragt verwendete Sample von Chill Rob G befindet. Zudem fällt auf, dass noch weitere Stücke ohne Lizenz verwurstet sind. Rasch muss eine 'cleane' Version des Hits her. Und ein Video, sowieso. Dabei überschlagen sich die Ereignisse. Jocelyn Browns Stimme im unerlaubten Gesangs-Sample wäre Chaka Khan am nächsten gekommen, die man mutig anfragt, zumal sie sowieso zu dieser Zeit oft in House-Remixes auftaucht.
Das Ansinnen kollidiert jedoch mit ihrem Tour-Terminplan. Aber eine befreundete Background-Sängerin, die bei ihr im Schlepptau ist, bekommt den Zuschlag: Penny Ford, geboren am 11. Juni 1964 in Cincinnati (Ohio), Songschreiberin im Funk-Milieu. Und dann braucht man noch einen Rapper. In Hessen befinden sich damals viele G.I.s stationiert, Soldaten der US-Armee. Einer von denen ist Human-Beatboxer und springt auf das Angebot an, bei einem Stück House Music zu rappen, und "The Power" on stage und vor der Kamera zu performen: Turbo B, geboren am 30. April 1964 in Pittsburgh, Pennsylvania. "Ich sagte 'ja', denn ich war pleite und brauchte Bares", erläutert er im Musikfernsehen seine Beweggründe.
Doch dann saust "The Power" raketenmäßig durch alle europäischen Hitlisten. "Ich war gerade am Bügeln, im Fernsehen lief 'Top Of The Pops', und auf einmal sagten die: 'Die neue Nummer Eins ist 'The Power' von Snap!" erinnert sich Sängerin Penny Ford im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk. Penny hat viel Bügelwäsche und keine Zeit für einen Video-Dreh. Für den bequatscht Rapper Turbo B aus seinem Umfeld Jackie Harris, Airforce-Soldatin (die gerade nach vielen Stationen in Hessen eingesetzt ist und eine vierjährige Tochter namens Ciara hat, die wiederum später ein Album über "Jackie" aufnimmt).
Jackie ist 'nur' das Gesicht, einfach die Frau in dem unheimlich berühmten Video, wo sie aber lediglich die Lippen bewegt. Der Fall Milli Vanilli lässt grüßen. Wobei für "The Power" also sogar mehrfach Stimmen, Namen und Videobilder nicht übereinstimmen.
Gelegenheitsstimme Penny Ford bleibt erst mal erhalten. Ford schreibt auch selbst Songs. Nachdem sie an zwei Alben der amerikanischen Gap Band mit gewerkelt hat, kennt sie deren Repertoire bestens und verleitet Snap! zum nächsten berühmten Sample: "Ooops up, side your head" von der Gap Band. Neben "Ooops Up" sorgt Penny Ford auch für die Weihnachts-Single "Mary Had A Little Boy" über die Geschichte von Josef und Maria im Stalle zu Bethlehem.
Diese ganzen Hit-Singles finden sich auch auf dem Album "The Power". Die anderen Tracks enthalten nur Auftritte des Rappers, keinen Gesang. Auf Pennys Konto gehen auch die Texte für "Colour Of Love" und "See The Light" auf der Folge-LP "The Madman's Return". Doch mit Dance und Techno kann sie wenig anfangen. "Selbst als Snap! rauskamen, hab ich nur Jazz gehört. Ich bin eine Jazzerin", gesteht sie im Interview mit TrancEnergy. Die Amerikanerin verabschiedet sich zugunsten einer Solo-Karriere. Erst der bahnbrechende Erfolg von "The Power" hatte sie dazu ermutigt. In Frankfurt wohnhaft bleibt sie trotzdem.
Auf "The Madman's Return" nimmt die nächste Sängerin das Mikro in die Hand, Thea Austin, vermittelt durch eine gemeinsame Bekannte von ihr und Penny. Die US-Eastcoastlerin, geboren am 10. Juni 1960, ist zu dieser Zeit Anfang 30 und sonst in anderen Musiksparten unterwegs. Auch sie ist nur auf manchen Tracks zu hören, drum herum gibt's Beats und Raps. Die CD-Pressung enthält als Bonus-Cut noch das Instrumental "Rhythm Is A Dancer".
Noch ohne die berüchtigte Zeile "Serious like cancer / Rhythm is a dancer", die, obwohl sie flach ist, zur Schlüsselzeile eines Genres wird. Das Projekt Snap! ist inzwischen so groß, dass die Bertelsmann Music Group mit ihrem Label Ariola und ihren Partner-Labels im Ausland in die Vermarktung eingestiegen ist. Die deutsche Dépendance wünscht sich eine Gesangs-Fassung. Thea textet eine und nimmt sie auf: "Rhythm is a dancer, it's a soul's companion / lift your hands and voices, you can feel it in the air!" Die englischen Manager der BMG lehnen das Lied aber ab. Ohne zu wissen, dass es einer der größten Europa-Hits 1992 werden würde.
Um das Lied wird ewig herum gefeilscht. BMG vergibt einen Remix-Auftrag an Todd Terry. Er gilt zu dieser Zeit als das Non-Plus-Ultra, Tanzflächen-Magnet, der die Clubs füllt. Todd versteht das mit dem Remix so, dass er ein Dutzend Versionen aufnimmt und auf einer DAT-Kassette nach Deutschland schickt. Anzilotti quält sich beim Anhören durch 14 Remix-Varianten und merkt dabei, dass sie sich im Wesentlichen nur durch manche Takte unterscheiden. Zum durchschlagenden Erfolg wird keine einzige davon, sondern Snap!s eigene, gleichmäßige Fassung. "Es war immer das Gleiche. Und letztendlich wurde dann die Original-Version als erfolgreichste Single des Jahres damals, glaub ich fast 700.000 Mal auf Twelve Inch verkauft."
Für eine weitere Single, "Exterminate", arbeiten die Hessen mit einer Soul-Sängerin aus Michigan, Niki Haris, geboren am 17. April 1962. Die Zusammenarbeit währt, wie gehabt, kurz. Aber auch diese Session-Sängerin wird am Songwriting beteiligt. Niki sorgt für den amerikanischsten Moment im Katalog. Die beiden Producer rücken von ihren Pseudonymen Benites/Garrett ab, die verwischen sollten, dass der Sound made in Germany ist - sie befürchteten, in den Nachbarländern ignoriert zu werden.
Künstlerische Freiheit lassen sie ebenso der vierten 'importierten' Sängerin des Projekts, Paula Brown. Unter dem Pseudonym Summer philosophiert sie in betörend klarem Gesang über "The First, The Last, Eternity (Till The End)". Sie bevorzugt Spirituelles ("Hocus pocus, turn around"), und lange Songtitel, so auch in "Welcome To Tomorrow (Are You Ready?)" Diese Nummer wird der Titel-Track des dritten Albums, das im Herbst '94 erscheint.
Mittlerweile bewegt man sich schon wieder weg vom Eurodance, hin zu Trance und baut seltsame Video-Grafiken in die MTV-Clips. Anzilotti und Münzing hegen mehr und mehr Interesse fürs Visuelle. Sie verblüffen das Publikum angesichts des damaligen Stands der Technik. Paula Brown bewegt sich vor einem neutralen, einfarbigen Bluescreen, auf dem sie überhaupt keine Requisiten hat. Die gesamte Umgebung, ob Weltall-Raumschiffe oder Straßenschluchten, werden grafisch um sie herum nachträglich eingefügt.
Hier tritt die Lust an den PC-Games zutage. "Wir spielen nach wie vor Computerspiele, und es gibt jüngere Leute, die, wenn sie hier halt mal reinkommen, sich fragen, ob wir wirklich erwachsen sind", kommentiert Luca Anzilotti 1994 in den "logo"-Kindernachrichten den Studiobesuch eines ZDF-Kamerateams.
Im Kommerz-Trubel siegt das Kind im Mann und sagt: 'Verkaufen!' Die beiden Jungs veräußern Logic Records an BMG, gründen aber gleich ein neues eigenes Label für den Spieltrieb, Eye Of The Storm. Gleich einer der ersten Songs geht abermals in die Charts, die Underground-Produktion "Magic Carpet Ride" von Norman Cook und seinem Projekt Mighty Dub Katz. Es folgen einzelne Zusammenarbeiten mit Heaven 17 und mit Klaus Schulze.
Während man für eigene Snap!-Songs Remixes in Auftrag gibt, remixt man auch selbst etliches, insbesondere den ewigen House Classic "Don't You Want Me" und Whitney Houstons "My Name Is Not Susan". Neue Pseudonyme, Fernando Jose Gomez und James Buster Douglas, dienen 1997 zu einem Ausflug ins Ambient-Lager, wo man mit Klaus Schulze den Track "Be Quiet" und außerdem ein ganzes Album unter dem Projektnamen Challenge mixt. Warner Music bringt die nerdigen Downtempo-Sounds sogar auf CD in die Läden. Darkwave'ig wird's 1998 bei Machineries Of Joy, einem weiteren Side Project, mit ebenfalls einem einzigen Album.
Die beiden DJs wollen nicht dem Druck erliegen, schnell einen Nachfolger zu präsentieren, und unterbrechen die Geschichte von Snap! erst mal mit einer Greatest Hits-Sammlung. Hits hatten sie ja so viele, dass alleine die Top Ten-Platzierten für eine ganze LP reichen.
Sie wagen sich an ein gänzlich anderes Projekt: Casting-Shows. 1998 sind sie damit ihrer Zeit voraus und verpulvern viele Ressourcen mit der Boygroup-Story 5NY. "Wir haben versucht, den Prototyp dieser ganzen Casting-Bands selbst auf die Beine zu stellen", beschreibt Anzilotti auf YouTube im Muso Talk: "Nur zu dieser Zeit hat uns auch niemand verstanden. BMG hat das Konzept nicht verstanden. Die Fernsehsender haben's auch nicht verstanden, und wir haben damals auf eigene Kosten eine LP produziert, eine Band gecastet. Das waren Schauspieler, die singen konnten. Da haben wir auch einen Film mit denen gedreht, das hat Unmengen an Geld verschlungen. Letztendlich ist das dann gescheitert. Wir hatten damals auch BMW als Sponsor. Marketing ist eine große Hilfe, aber es ist nicht unbedingt alles. (...) Vielleicht war die Musik nicht gut genug."
Die beiden Protagonisten von Snap! sehen vieles mehr durch die technische, Groove-emotionale, kreative Brille, mehr unter dem Motto "Why not?!" als sich mit der Frage "Why?" aufzuhalten, mit Abteilungsdenken oder Hierarchien. Ein geplantes viertes Studioalbum wird im Jahr 2000 von BMG an die Presse rausgeschickt, dann aber kurzerhand gecancelt und nie veröffentlicht.
Die Absorptionskraft der neuen Hauptstadt Berlin und zeitversetzt von Leipzig machen dem Rhein-Main-Gebiet einen Großteil der DJs streitig und dampfen die Techno-Szene Frankfurts deutlich ein. Anzilotti und Münzing verkehren nicht mehr in einer starken Home-Base und büßen ihr Händchen für Hits ein.
Im neuen Jahrtausend finden zahlreiche Episoden von Recycling und Retro statt, von denen die prominentesten ein Remix von Tom Novy ("Rhythm Is A Dancer '08"), ein neues Live-Duo namens Snap! (Penny Ford mit einem Ersatz-Rapper, Stoli Michaels) und eine Leihgabe aus Anzilottis Fundus fürs Museum Of Modern Electronic Music (Momem) am Main sind. Niki Haris, die Stimme von "Exterminate", bleibt dem Gesang treu und tourt lange weiterhin mit neuem, eigenen Material. Bei einigen anderen aus dem Snap!-Kosmos verwischen sich die Fährten, das Studio in Offenbach ist inzwischen verkauft.
Die Musik von Snap! bleibt interessanter Weise zeitlos, obwohl sie Trendsetter-Sound ohne großen Anspruch war. Für Penny Ford fühlt sich das so an, wie sie es in einem Gespräch 2015 gegenüber TrancEnergy darlegt. "Ich fühle mich als Erinnerungsbewahrerin. Denn alle kommen deswegen zu meinen Shows, um diese Momente zu erleben: Die Augen zu schließen, und sich zu fragen, 'Wo war ich damals?' - Also die Gefühle zu fühlen, die Gerüche zu riechen, und zu sehen, wo sie waren, als mein Zeug rauskam. Das ist gut." - Wo man war? Wahrscheinlich hat man gerade einen Werbespot geschaut, als ein Ausschnitt aus "The Power" lief. Wer dem Song lieber komplett lauscht, wird 2023 in einer neuen Picture Book-Edition des Debütalbums fündig.
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