29. Januar 2021
"Corona hat uns Türen geöffnet"
Interview geführt von Kai ButterweckDie Prog-Metal-Welt ist entzückt: Zwei Jahre nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums "Lotus" bringen Soen ihr neues Studio-Meisterwerk "Imperial" an den Start.
Seit gut einem Jahr steht die Unterhaltungsbranche weitestgehend still. Statt Konzerte zu spielen und in der Welt herum zu reisen, hocken Bands und Künstler in den eigenen vier Wänden fest und versuchen sich als Online-Entertainer. Auch die schwedische Prog-Metal-Supergroup Soen ist gezwungen, sämtliche Reise- und Konzertpläne bis auf weiteres auf Eis zu legen. Statt sich jedoch allwöchentlich aus dem Proberaum zu melden und die Fans mit nicht enden wollenden Q&A-Sessions und Couchgigs bei Laune zu halten, entscheiden sich Martin Lopez, Joel Ekelöf und Co. für die Produktion eines neuen Albums. Im Januar 2021 präsentieren sie den "Lotus"-Nachfolger "Imperial". Kurz vor der Veröffentlichung des fünften Studioalbums trafen wir uns mit Sänger Joel Ekelöf zum Interview und sprachen über die Ruhe im Sturm, metallische Wurzeln und den Willowtree-Killer.
Joel, zwei Jahre nach der Veröffentlichung eures letzten Albums "Lotus" erscheint dieser Tage euer fünftes Studiowerk "Imperial". Wann genau habt ihr mit der Produktion begonnen?
Joel Ekelöf: Wir haben nach "Lotus" nicht viel Zeit verstreichen lassen. Bereits ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung haben wir uns wieder hingesetzt und Ideen ausgetauscht. Das ging diesmal ziemlich schnell.
Was war der Grund dafür?
Nun, um ehrlich zu sein: "Lotus" war unsere erste Produktion, mit der wir allesamt am Ende von vorne bis hinten zufrieden und glücklich waren. Zum ersten Mal hatten wird das Gefühl, unseren wahren Band-Sound gefunden zu haben. Das war eine unglaubliche Erkenntnis. Diesen Augenblick wollten wir natürlich festhalten und nach Möglichkeit so schnell es geht fortführen. Wir waren uns alle einig, dass wir auf diesem Fundament weiter bauen wollen. Ein halbes Jahr später ging es dann auch schon los.
Irgendwann fuhr der Welt dann Corona durch die Parade. Ihr habt den Spieß dann aber umgedreht. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, habt ihr während der Zeit ohne Reisen und Konzerte intensiv am neuen Album getüftelt.
Ja, das stimmt. Ich denke, dass wir uns alle noch nie so detailliert mit einem Projekt beschäftigt haben, wie im Fall von "Imperial". Corona ist und bleibt ein großer Schrecken für alle, keine Frage. Ich weiß nicht, wie oft wir im letzten Jahr geflucht haben. Aber so hatten wir die Möglichkeit, uns voll und ganz auf das Album zu konzentrieren. Wir hatten mehr Zeit und Ruhe als je zuvor. Da war kein Druck und es gab auch keine festgelegten Zeiten, auf die wir achten mussten. In Schweden waren nahezu alle Studios frei, weil alle internationalen Künstler ihre Reservierungen canceln mussten. Wie gesagt, das ganze Corona-Drama ist furchtbar und erschreckend. Aber für die Produktion des Albums hat uns diese Zeit unheimlich viele Fenster und Türen geöffnet.
Die harten Gitarren und der teils sehr harmonische Gesang passen unheimlich gut zusammen. Das hat auch schon auf "Lotus" super funktioniert. Ist das die perfektionierte Vereinigung, die im "neuen" Soen-Sound den Unterschied macht?
Die harten Gitarren und die melodischen Parts bildeten schon immer das Fundament unseres Schaffens. Während der letzten Albumproduktion haben wir endlich die optimale Balance hinbekommen. Diesen Sound wollten wir diesmal noch intensiver festigen, und dabei auch die einzelnen Details noch mehr in den Vordergrund stellen. Wir wollten noch mehr Aggressivität, gepaart mit noch mehr Harmonie. Im Endeffekt haben wir alles noch eine Stufe höher gehievt.
"Wir stehen zu unseren Wurzeln"
Aggressivität ist ein gutes Stichwort. Woher kommt die "neue Härte"?
Wir waren schon immer eng mit unserer Quelle verbunden. Diesmal wollten wir aber noch eine Schippe drauflegen. Ganz egal wie viele Prog-Elemente und eingängige Melodien wir verarbeiten: Wir sind und bleiben eine Metal-Band. Wir waren schon immer eine Metal-Band. Ich finde, dass sich insbesondere im Progressive-Metal-Bereich gerade viele Bands von ihren Wurzeln entfernen. Da wird dann mit Jazz und Elektronik experimentiert. Versteh mich nicht falsch, wir sind auch für alles offen, und probieren ebenfalls viel aus. Aber bei manchen Bands hört man gar nicht mehr, dass sie aus dem Metal-Bereich kommen. Wir hingegen stehen zu unseren Wurzeln. Mit den harten Riffs und der erhöhten Aggressivität zollen wir dem Genre unseren Tribut. Das war uns wichtig.
Was war euch inhaltlich wichtig? Welche Verbindung besteht zwischen der Schlange auf dem Cover, dem Albumtitel und den Texten?
Im Grunde gehört alles irgendwie zusammen. Die Schlange dient als höheres Symbol. Es geht dabei um etwas Mächtiges und Kraftvolles. Diese Ebene betreten wir auch mit dem Titel. Die Texte unterstützen das alles noch zusätzlich. Es geht in den Songs um Machtstrukturen, Unterdrückung und die Art und Weise, wie das alles mit in den normalen Alltag einfließt.
Geht es eher um fiktive Gedanken oder stehen persönliche Erfahrungen und Geschichten im Vordergrund?
Es geht um echte Gefühle und echte Emotionen. Die Texte sind diesmal sehr persönlich. Es geht darum, den vielen dunklen Dingen im Leben entgegenzuwirken. Wenn man hinfällt, muss man wieder aufstehen. Wenn einem die Kraft fehlt, ist es wichtig, dass man das auch kommuniziert. Man muss lernen zu reden. Kommunikation ist die Basis. Das ist nicht nur im privaten Leben so. Das wird die Welt auch beschäftigen, wenn dieses ganze Corona-Drama vorbei ist.
Ok, kurzer Schritt zurück: Was wird die Welt nach Corona noch beschäftigen?
Da hat, denke ich, jedes Land erst einmal mit sich selbst zu tun. Hier in Schweden sollte man nun gelernt haben, dass man sich grundsätzlich besser vorbereiten und aufstellen muss. Wir hatten in den letzten Jahren und Jahrzehnten nie mit irgendeiner drastischen Krise zu kämpfen. Diese Unbekümmertheit fällt uns jetzt gerade auf die Füße. Wir wurden extrem unvorbereitet mit dieser Situation konfrontiert. Da sollte man beim nächsten Mal hoffentlich schneller die richtigen Entscheidungen treffen.
Welche Entscheidungen werdet ihr in den nächsten Wochen und Monaten treffen? Gibt es schon Pläne neben der momentanen Album-Promotion?
Nun, um ehrlich zu sein: Momentan sind wir nicht in der Lage, um irgendwelche weitreichenden Entscheidungen zu treffen. Natürlich würden wir die anberaumte Tour im April gerne spielen. Da sind wir alle extrem heiß drauf. Aber wenn man sich die Entwicklung gerade anschaut, sieht es doch eher schlecht aus. Wir müssen und werden uns den Gegebenheiten anpassen. Was anderes bleibt uns ja auch nicht übrig. Sollte es so kommen, dass wir alle Touraktivitäten nach hinten schieben müssen, dann wird uns schon irgendetwas anderes einfallen. Wir sind kreative Musiker, die viele Ideen haben. Wir sind keine Menschen, die traurig den Kopf in den Sand stecken und deprimiert darauf warten, dass sich etwas ändert.
"Lane Staley war mein erstes Vorbild"
Wer oder was hat dir denn vor vielen, vielen Jahren zum ersten Mal vor Augen geführt, dass aus dir vielleicht mal ein "kreativer Musiker" werden könnte?
Das war eher ein Prozess bei mir. Ich erinnere mich noch an den Sommer, als mein Vater mir meinen ersten Walk-Man geschenkt hat. Wir lebten damals draußen auf dem Land. Da gab es nicht viel Spannendes zu entdecken. Plötzlich war da aber dieses Gerät. Und da war diese eine Kassette, die ich hatte. Den ganzen Sommer lang hörte ich das "Look Sharp"-Album von Roxette. Das war mein allererster Kontakt mit Musik.
Von "Look Sharp" bis "Imperial" ist es ein langer Weg.
In der Tat (lacht) Ein oder zwei Jahre später trat dann Alice Cooper mit "Trash" in mein Leben. Da müsste ich so zwölf oder dreizehn gewesen sein. Das war dann auch mein Eintritt in die Rock- und Metal-Welt. Von da an habe ich mich nur noch mit härterer Musik beschäftigt. Zuerst habe ich mir den kompletten Alice-Cooper-Werdegang reingezogen. Dann ging es irgendwann los mit düsteren Sachen. Alice in Chains war dann die erste Band, die mich musikalisch wirklich beeinflusst und inspiriert hat.
Wolltest du zu der Zeit schon Musiker werden?
Ich hatte schon große Lust und auch Ambitionen. Aber bis ich dann auch den Mut hatte, mich dahingehend zu positionieren und zu öffnen, dauerte es noch ein paar Jahre. Mit 16 gab es dann aber kein Halten mehr. Ich hab dann angefangen, in Rockbands zu spielen und mich und meine musikalischen Vorstellungen auszuprobieren.
War die Position des Sängers von Beginn an klar?
Irgendwie schon. Mit Alice In Chains trat natürlich auch Lane Staley in mein Leben. Als ich Lane das erste Mal hörte, war es um mich geschehen. Er war definitiv mein erstes großes Vorbild. Alice Cooper hat das große Ganze für mich interessant gemacht. Lane Staley hat mich später berührt und in die richtige Richtung gelenkt. Später haben mir dann Jeff Buckley und Thom Yorke dabei geholfen, mein gesangliches Spektrum zu erweitern.
Inspiration ist ein wichtiger Eckpfeiler. Du hast mit deiner ehemaligen Band Willowtree mal ein ganzes Jahr lang in Berlin gelebt. Nach dem Jahr ging die Gemeinschaft allerdings in die Brüche. Was war da los?
Ja, das war eine komische Zeit. Wir waren damals wegen einer Albumproduktion in der Stadt. Aber irgendwie lief alles aus dem Ruder. Die Stadt hat uns quasi aufgefressen (lacht). Wir waren total verloren. Ich meine, wir hatten eine geile Zeit, keine Frage. Die ganzen Locations, Clubs und Bars: Das kannten wir alles nicht. Aber für die Band und die Musik war das Jahr pures Gift.
Du hast neben all den tollen Erfolgen und Erfahrungen im Business also auch schon die eine oder andere Schattenseite kennengelernt.
Absolut. Das gehört einfach dazu. Nur so wächst man. Nach dem Jahr in Berlin kam ich zurück nach Schweden. Ich weiß noch, das war eine furchtbare Zeit, in der ich alles hinterfragt habe. Ich war echt am Boden und wollte schon alles hinschmeißen. Glücklicherweise traf ich dann aber auf Martin.
Die Geburtsstunde von Soen.
Genau. Das war der Beginn eines neuen Kapitels, das bis heute andauert.
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