laut.de-Kritik

Dieses einzigartige Werk verbirgt sich hinter einer schrägen Maske.

Review von

Crazy. Besser kann man Sofi Tukker mit einem Wort nicht beschreiben. Cover-Artworks die nach einem LSD-Trip auf den Bahamas aussehen, musikalisch ein Dance-Tech-House-Pop-Whatever-Mix und häufig portugiesische Texte: das ist doch echt nicht normal – Gott sei Dank! "That's It: I'm Crazy!" sang Sophie Hawley-Weld schon 2018. Zu dem Zeitpunkt machte die in Deutschland geborene Sängerin bereits vier Jahre gemeinsame Sache mit dem amerikanischen DJ Tucker Halpern.

Die neue Platte des Duos knüpft nahtlos an den Vorgänger "Treehouse" an. Angefangen beim Intro-Track "Kakee". Eine Western-Style Gitarre und ein simpler Electro-House-Beat begleiten den völlig absurden Text, eine Ode an die Tropenfrucht Kaki. Weil: warum nicht? "Ich will keine Birnen, Trauben, Äpfel, Ananas. Ich möchte Kaki./ Ich bin nicht Sofi, nur eine Kaki./ Ich werde nicht gehen, ich fahre nicht mit dem Zug, nicht einmal mit dem Taxi – ich nehme die Kaki." Nennt mir eine Band, die schon mal so wirr, aber leidenschaftlich eine Frucht angepriesen hat.

"Summer In New York" sampelt Suzanne Vegas "Tom's Diner" – vielleicht nicht ganz so gut wie AnnenMayKantereit, aber auch schon ziemlich beachtlich. Deutlich wird, dass Sophie auf ihre eigene Art und Weise nicht nur singen kann, sondern auch ein Händchen fürs Songwriting hat. Es geht um einen Tag in New York, besondere Begegnungen und die schönen Zufälle, die das Leben manchmal so mit sich bringt.

Tracks wie "Original Sin", "Forgive Me" oder "Hold" klingen beim ersten Hören vielleicht wie jeder andere x-beliebige Dance-Track, aber erstens macht sie das wahnsinnig tanzbar und zweitens entdeckt man bei genauerer Inspektion immer kluge Details oder Besonderheiten, die das Ganze von der Masse abheben, etwa die orientalischen Streicher in "Forgive Me".

Auch die funkigen Bläser im Titeltrack "Wet Tennis" zählen dazu. Sie werden von einem fetzigen Disco-Beat begleitet, unterstützen in der Bridge die warme Gitarre und machen aus dem Song gemeinsam mit den Latin-Percussions ein einzigartig grooviges Stück. Allgemein merkt man einigen Songs an, dass Sophie früher in Brasilien wohnte und in ihrer Uni-Zeit westafrikanisches Trommeln unterrichtete.

Auch in "Larry Bird" kommen exotische Sounds wie eine Steel Drum oder verschiedene Flöten zur Geltung. In Kombination mit dem Tech-House-Beat ergibt das einen Klang, den man sonst nur sehr selten hört, aber gerne viel häufiger hören würde. Viel davon bringt Sophie mit, aber auch Tucker ist auf der Platte gleichermaßen einflussreich involviert. Wie zum Beispiel der Titel "Larry Bird" verrät, der sich auf den legendären Ex-NBA-Basketballer der Boston Celtics bezieht. Tucker selbst war früher Basketballer und arbeitete auf eine Profikarriere hin, ehe eine Krankheit ihn zur Auszeit zwang und der Musikproduktion näher brachte.

Insgesamt ist die Platte weitaus persönlicher, als man zunächst denken würde. Zwischen zugegeben nicht immer ganz ernst zu nehmenden Texten über Kakis und dergleichen verstecken sich häufig auch starke Botschaften. Etwa im Albentitel, der sich gar nicht nur um Feuchttennis dreht (als wäre das nicht schon verrückt genug). Es ist auch ein Akronym: "When Everyone Tries to Evolve, Nothing Negative Is Safe."

Genau darum geht es: Entwicklung, Fortschritt, Hoffnung. Das Album verbreitet einfach Freude und Optimismus, das können wir alle gerade vertragen. Es sind kurze, oft unkonventionelle Songs, aber wen kümmert das? "Wet Tennis" ist abwechslungsreich, auch ruhigere Musik können Sofi Tukker, wie "Interlude" und "Sun Came Up" beweisen.

Die Platte bringt zusammen, was ungewohnt ist, aber zusammen gehört. Statt den typischen EDM-Größen oder bekannten Sänger*innen wird Künstler*innen eine Plattform geboten, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hat, aber haben sollte, wie beispielsweise das afrikanische Ehepaar Amadou & Mariam auf dem absoluten Highlight des Albums "Mon Cheri". Und "What A Wonderful World" bietet als elegantes Gegenstück zum Electro-Sound den perfekten Abschluss.

"Wet Tennis" ist weit mehr als der scheinbare 0815-Dance-Pop. Es ist ein einzigartiges Werk, das sich hinter der schrägen Maske verbirgt. Und es ist ganz bestimmt crazy. Aber wie sagt man so schön: ein bisschen crazy muss man eben sein, um in dieser Welt normal zu bleiben. Ich jedenfalls bin verrückt – verrückt nach Sofi Tukker.

Trackliste

  1. 1. Kakee
  2. 2. Original Sin
  3. 3. Summer In New York
  4. 4. Forgive Me
  5. 5. Wet Tennis
  6. 6. Interlude
  7. 7. Sun Came Up
  8. 8. Larry Bird
  9. 9. Hold
  10. 10. Mon Cheri
  11. 11. Freak
  12. 12. What A Wonderful World

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Ist halt als House-Pop dann doch irgendwie zwangsläufig normal.

    • Vor einem Jahr

      Kann mich erinnern, dass die zum Debut massivst Support von Radio1 bekommen haben.

      Erster Song Best Friend ging ok, danach der Track dann aber iwas mit Batshitcrazy und das war dann schon cringe af. Händehochhouse für Berlinkids und die, die es noch werden wollen.

      Gehört also tatsächlich eher in das Vorprogramm von Deichkind als hier in die 4 Punkte Schublade.

    • Vor einem Jahr

      Hab die erste nicht gehört. Immer wenn hier was von "verrückt" o.Ä. geschrieben wird, muß ich dringend reinhören. Auch wenn ich zum tausendsten Mal enttäuscht werde... :'(

      Berlin-Kids... Ja, kommt hin. So flaumbärtige Gymnasiasten, die voll einen auf Elektro machen und dann mit so Retortenhouse um die Ecke kommen.