laut.de-Kritik
Das Grunge-Podium ist komplett.
Review von Kai ButterweckFrühjahr 1994: Nach Ansicht zahlreicher international renommierter Geschmackspäpste erreicht der Jugend-Dresscode seinen vorläufigen Tiefpunkt. Statt Bundfaltenhosen, Polohemden und Fönfrisuren stapeln sich zerschlissene Jeans, versiffte Flanellhemden und fettige Haare vor den Eingängen der Großstadt-Clubs. Der passende Soundtrack für düstere Gedanken und Post-Punk-Rock-Fuck-Off-Attitüden nennt sich Grunge und katapultiert vornehmlich aus Amerika stammende Bands wie Nirvana, Pearl Jam, Alice In Chains und Soundgarden innerhalb kürzester Zeit ins internationale Musik-Rampenlicht.
So richtig froh über diese Entwicklung sind allerdings nur wenige Mitglieder besagter Bands. Vor allem Nirvanas Kurt Cobain kommt mit dem steigenden Interesse an seiner Person nicht klar. Am 5. April 1994 zieht er mit einer Überdosis Heroin im Blut und einer Schrotflinte in der Hand die Reißleine.
Vier Wochen zuvor meldet sich Soundgarden-Sänger Chris Cornell zu Wort. Auch ihm sei der nicht enden wollende Hype eher zuwider. Man sei aber doch selbst schuld, schallt es von den Konsumenten zurück, denn schließlich drehe sich das öffentliche Interesse nicht nur um die fast schon manisch depressive Außendarstellung der Branche, sondern auch um die Musik.
Und die hat spätestens seit der Veröffentlichung der beiden Über-Eckpfeiler "Nevermind" und "Ten" in puncto Energie und Leidenschaft um Längen mehr zu bieten als alles andere, was sich Anfang der Neunziger aus den internationalen High End-Studios quält.
Mit ihrem vierten Album "Superunknown" komplettieren Soundgarden im März 1994 das mittlerweile vergoldete Grunge-Podium. Jahre später lenkt Chris Cornell ein: "Wir wollten nie Stars sein. Als wir allerdings "Superunknown" im Kasten hatten, wusste ich, dass es schwer sein würde, dieses Album irgendwann nochmal zu toppen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge das Studio verließ. Ich hatte bereits eine Ahnung davon, was uns bevorstand."
Bereits eine Woche nach der Veröffentlichung bewahrheitet sich Cornells "Befürchtung". Das Album debütiert nicht nur in den Billboard Charts auf Platz eins, sondern setzt sich auch in unzähligen Hitlisten anderer Länder ganz weit oben fest.
Mit "Superunknown" verabschieden sich Chris Cornell, Ben Shepherd, Kim Thayil und Matt Cameron endgültig von ihren Punkwurzeln. Statt schrammeliger Straßen-Sounds schälen sich experimentelle, teils hochkomplexe Düster-Strukturen aus den Boxen, die eingepackt in eine Oversize-Produktion selbst die dicksten Wände zum Wackeln bringen.
"Break, if you like the Sound if it gets you up if it turns you down", fordert Cornell im Song "The Wave". Die Masse gehorcht, während des Frontmanns Ausnahme-Organ zwischen hohen Snare-Sounds und tiefsten Thayil-Anschlägen die perfekte Nische findet. Apropos Kim Thayil: Spätestens nach dem treibenden Titeltrack und dem psychedelisch angehauchten Monster-Sechsminüter "Limo Wreck" klebt man dem Mariachi auf den Knien robbend den Einzigartig-Button auf die Gitarre.
Doch auch die anderen Beteiligten präsentieren sich im Jahr 1994 auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Allen voran Chris Cornell, der mit durchgehend gottgleichen Gesangspassagen vehement an die Tore des Rock-Olymp hämmert. Ob schreiend, säuselnd oder im Stile eines zeitreisenden Langhaar-Heroen aus den Siebzigern: Der Sänger schafft es spielend leicht, jedem einzelnen Song des Albums einen unvergleichlichen Stempel aufzudrücken.
So entsteht in einem Wust aus herrlich Vertracktem ("Spoonman"), orientalisch Angereichertem ("Half") und doomig Fesselndem ("4th Of July") ein nach allen Seiten offenes Gesamtkunstwerk, dass mit der surrealen Traumlandschafts-Hymne "Black Hole Sun" am Ende sogar noch ein musikalisches Petit Four für die breite Masse abwirft.
Zwei Grammys, ein MTV Video Music Award und eine Schlange von über fünf Millionen Käufern bedeuten für Chris Cornell am Ende des Jahres 1994 Fluch und Segen zugleich: "Natürlich waren wir stolz. Aber irgendwas in uns sträubte sich auch. Wir fühlten uns irgendwie wie Gefangene zwischen Himmel und Hölle."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
24 Kommentare mit 35 Antworten
jawoll!! nahezu perfekte songs, hammer produktion. cameron kommt in der review leider zu kurz! was er allein bei head down raushaut.. bester song zusammen mit limo wreck, dem titelsong und der kombo half/like suicide. diese bildet auf der US version auch den perfekten abschluss fuer das album, ich finde, man haette she likes surprises bei den anderen releases irgendwo mitten rein packen sollen. oder ganz darauf verzichten.
Badmotorfinger find ich aber irgendwie geiler...
Das ist aber nicht von 1994.
Stimmt - ungeschriebenes Gesetz hier in der Meilenstein-Ecke.
Wir könn ja Wetten abschließen ob der nächste Meilenstein Korn s/t oder Smash wird...
Yeah! Das Album öffnete mir die Augen Live gesehen im Soundgarden in Dortmund!!! Leider war es wirklich so, wie Viele sagten. Zu FETT produziert. Live teilweise grenzwertig und Herr Cornell hat zwar eine schöne, jedoch nicht so kraftvolle Stimme. Doch dieses Album bleibt für immer unter meinen TOP 5!
Gute Wahl! Sehr gute Platte, eigentlich sind nur hits drauf. Badmotorfinger hasse ich irgendwie ein Bißchen, ist mir zu anstrengend. Superunknown macht dafür richtig spaß. Auf jeden Fall ein Meilenstein.
Gestern ist nach Jahren mal wieder "Im Auftrag Des Herrn" im Player gelandet. Was hat die Band nicht fuer großartige Songs geschrieben. Wird mal Zeit fuer einen Meilenstein. Nicht fuer Horrorshow sondern fuer Kauf Mich.
ich glaube, du bist hier falsch...
Wieso. Verdienter Meilenstein.
grandioses album. allein der beginn von 4th of july. dieses tonnenschwere düstere dröhnende riff.