28. Oktober 2004

"Wir stehen vor Unruhen!"

Interview geführt von

Wen hatte ich eigentlich erwartet? Einen steifen Linken, der nur über Politik reden kann und zum Lachen in den Keller geht? Wohl so etwas in der Richtung. Jim Ward allerdings erweist sich als völlig locker und politisch hellwach, aber ohne den von anderen Musikerkollegen bekannten Tunnelblick auf den "Heilsbringer" Kerry. Als er dann noch über Handys fachsimpelt und über Playstation-Spiele schwärmt, weiß ich: auch Politrocker sind nur Menschen. Ach ja, und während des ganzen Gesprächs sind weder die Worte At The Drive-In noch The Mars Volta gefallen. Es gibt ein Leben danach!

Würdet ihr euch als eine Live-Band bezeichnen? Wenn man sich ansieht, mit wem ihr schon unterwegs wart, Ash und Incubus zum Beispiel, liest sich das ja wie ein Who Is Who der aktuellen Rockszene! Macht ihr eigentlich auch noch was anderes außer zu touren?

Nicht wirklich. Im letzten Jahr waren wir mit den Queens Of The Stone Age unterwegs, dann haben wir einen Monat Pause gemacht, so dass Tony heiraten konnte, dann kamen wir hier rüber für ein paar Shows. Danach wieder eine Woche Pause, und dann sind wir direkt nach Joshua Tree gefahren, um mit dem Album anzufangen. Wenn wir nicht touren, sind wir im Studio. Aber wir sind schon eine Live-Band, eine Arbeiter-Band, das ist unser Leben.

Erinnerst du dich überhaupt noch an alle Bands, mit denen Sparta schon einmal unterwegs war?

Oh, da müsste ich nachdenken. Also an Pearl Jam erinnere ich mich, Bad Religion, in Australien mit Blink 182, mit Hundred Reasons in England. Alle möglichen halt, aber ich kann mich erinnern.

Und wer fehlt noch?

Ich würde gerne mal mit U2 auf Tour gehen. Ich denke nicht, dass das passieren wird, aber wer weiß?

Seht ihr manchmal nicht eine Diskrepanz zwischen eurem Perfektionismus im Studio und eurem Charakter als Liveband? Kommt es vor, dass ihr im Studio seid und denkt: "Wie können wir das nur live spielen?"

Bei dem ersten Album haben wir uns tatsächlich solche Gedanken gemacht. Darum haben wir noch einen Tour-Musiker engagiert, der uns an der Gitarre oder am Keyboard unterstützt hat. Das jetzige Album hingegen ist größtenteils "live" aufgenommen worden. Bis auf die Orchestration auf manchen Songs. Die holen wir live dann aus einer Maschine. Wir haben uns von dem Gedanken verabschiedet, alles live so spielen zu wollen, wie es auf dem Album klingt. Manchmal ersetzen wir ein Klavier durch eine Gitarre. Das macht es auch für uns interessant.

Ihr habt also das Album "live" eingespielt, um es euch einfacher zu machen?

Zu diesem Zeitpunkt wollten wir so klingen. Wie eine Live-Rock'n'Roll-Band. Wir wollten die Energie und den Swing des Live-Recordings haben. Nichts war starr im Voraus geplant. Wir haben im Studio zusammen gespielt, und ich finde, das kann man hören.

Wie seht ihr eure Entwicklung als Band?

Wir kommen immer besser miteinander klar, wir wissen was die Anderen denken. Es ist noch ein weiter Weg, aber wir sind immerhin unterwegs. Für uns werden die Songs immer natürlicher zu spielen, und das kommt dann wohl als Spannung rüber. Es ist ja nicht so, dass wir von unseren Verstärkern springen, und dann gibt es Pyroeffekte. It's different than fancy shit like that.

Und deine persönliche Entwicklung als Frontmann? Das war ja am Anfang sicher auch ungewohnt.

Ja, ich lerne, ich lerne. Es wird immer angenehmer. Viele Sänger haben ja jahrelang Zeit, sich auf eine solche Rolle vorzubereiten, bei mir ging es quasi sofort los.

Gab es denn keine Streitigkeiten, wer singen sollte, als Sparta angefangen hat?

Nein, die Anderen kamen zu mir. Paul und Tony haben das mit der Band angefangen, ich war der erste potenzielle Sänger auf ihrer Liste. Also kamen sie bei mir vorbei, und ich erbat mir einen Tag Bedenkzeit. Ich wollte es eigentlich gar nicht machen, weil ich Angst hatte, zu versagen. Aber dann sagte ich: "Fuck it, ich werd's versuchen!" Bei der ersten Platte ging sowieso alles so schnell. Bei diesem Album habe ich die Lyrics alle alleine geschrieben, mich mehr mit Melodien und so beschäftigt. Ich versuche jetzt mich von einem reinen Sänger zu einem Frontmann zu entwickeln. Die richtigen Dinge sagen. Naja, zumindest nicht die Falschen. Lieber lasse ich die Musik sprechen, als selber eine Ansprache zu halten. Manchmal sage ich sogar gar nichts.

Das ist ungewöhnlich. Gerade ihr als politisch bewußte Band solltet euch doch grade jetzt den Mund fusselig reden. Besonders in den Staaten.

Ja, das machen wir ja auch. Aber wir haben auch einen Stand dabei, an dem man sich als Wähler registrieren lassen und sich auch über unsere Anliegen informieren kann. Wir sprechen solche Themen schon an. Man will ja auch nicht zu sehr predigen, aber unsere Stimme soll gehört werden.

Hast du manchmal die Nase voll davon, andauernd darüber reden zu müssen?

Nein, gar nicht. Ich habe das Glück, dass ich super geduldig bin. Ich kann die selbe Sache eine Millionen Mal machen, das macht mir nichts aus. Für so Sachen wir Interviews und Reden auf der Bühne bin ich der perfekte Mann. (lacht)

In Texas habt ihr ja was ganz besonderes vor.

Wir verlosen Meet And Greets und solche Preise unter Leuten, die gewählt haben und ihre Wahlbestätigung zu unseren Konzerten mitbringen. Michael Moore propagiert das in seinem Buch "Dude, Where's My Country?". Am Ende des Buches zählt er ein paar Dinge auf, die man machen kann. Eins davon ist, eine Party oder ein Konzert zu veranstalten und die Leute, die gewählt haben, zu belohnen. Wir haben schon vor einem Jahr gesagt, dass wir am 02. November (dem Wahltag in den USA, d. Red.) eine Show spielen wollen. Und es klappt!

Wie erklärst du dir die Tatsache, dass im Moment so viele Künstler gegen den Präsidenten aktiv gworden sind? Jemand wie zum Beispiel Reagan waren ja auch nicht viel besser.

Ich denke, es liegt daran, dass zur Zeit unsere Bürgerrechte massiv in Frage gestellt werden. Davor war man einfach nur unzufrieden mit Reagan oder dem ersten Bush und mit deren Politik. Im Moment stehen wir vor zivilen Unruhen. Sie nehmen uns unsere Bürgerrechte weg, dazu haben sie kein Recht. Wir als Künstler fühlen uns bedroht, zum Beispiel von den sogenannten "Clear Channel-Radios", die alle diejenigen aus dem Programm nehmen, die etwas gegen die Regierung sagen. Sie können das tun, es ist ihre Betrieb, aber die Künstler werden sagen: Fuck You! und Konzerte für lau spielen und ihre Themen trotzdem ansprechen. Manchmal muss man dagegen halten.

Aber es handelt sich ja um komplexe Zusammenhänge. Da reicht es nicht, sich auf die Bühne zu stellen, und "Fuck Bush!" zu rufen.

Sicher, aber so lange jemand "Fuck Bush!" ruft, und die Leute dann gegen ihn wählen, heiligt der Zweck die Mittel. Klar ist es komplex, und es wird einige Leute geben, die sagen: "Es ist wohl gerade hip, gegen Bush zu sein ..."

Aber das ist es doch im Moment!

In einem gewissen Sinne ja. Aber mir ist das egal, so lange wir Bush weg bekommen. Ich habe sicher nicht so viel Einfluss, aber wenn ich zehn Leute dazu bringen kann, den Anderen zu wählen, dann werd ich das tun. Ich glaube man muss in Amerika sein, um das zu verstehen. Das Land ist in einer Depression. Die Leute sind depressiv. Sie sind sauer, klar, aber wenn man genau hinsieht, bemerkt man eher so etwas wie eine Traurigkeit. Die Tatsache, dass wir von der ganzen Welt als Mörder, als geld-, macht- und ölgierige verrückte Leute angesehen werden, nur wegen dieser Regierung, bricht mir das Herz. Denn Amerika ist ein großartiges Land, wir haben so viele großartige Dinge erreicht, als eine Nation, und jetzt ruiniert diese einzelne Regierung alles. Wenn er gewinnt, dann müssen wir das Ganze auf das nächste Level heben.

Was wirst du am 03. November machen?

Ich hoffe, dass wir eine große Party feiern können, weil Bush endlich weg ist. Und dann hoffe ich, dass die Leute anfangen, sich zu fragen: "Wer ist unser Bürgermeister? Wer ist unser Abgeordneter? Lasst uns mehr über das politische System unseres Landes lernen. Lasst uns herausfinden, wie man die Wahlen von unserer Nachbarschaft aus bis hin zum Weißen Haus beeinflussen kann." Jeder kann etwas von seiner Nachbarschaft aus erreichen. Ich persönlich möchte mich selbst mehr um solche Sachen kümmern: Warum gibt es bei uns keinen Skate-Park für die Kids? Warum haben wir keinen sicheren Club für unsere Kids? Warum gibt es hier so viele Drogendealer? Wen können wir wählen, damit sich was ändert? Was gerade passiert, ist ein Weckruf für Amerika. Wenn Bush gewinnt, weiß ich nicht, ob ich in Amerika bleiben möchte. Das ist ein sehr trauriger Gedanke.

Denkst du wirklich darüber nach?

Ja, absolut. Ich könnte mir vorstellen, nach Kanada zu gehen. Vor allem, wenn die Sache mit der Wehrpflicht kommt. (In den USA wird seit einigen Wochen verstärkt über die Einführung einer Wehrpflicht wie z.B. in Deutschland diskutiert, um der Armee Rekruten zur sichern, d. Red.) Ich weiß nicht, was das soll. It's fucked, man! Ich bin zu alt, aber mein Neffe nicht, meine zukünftigen Kinder nicht. Und wenn das Amerika der Zukunft so aussieht, will ich das nicht unterstützen. Ich hoffe, ich kann bleiben und etwas bewirken.

Das wäre ein radikaler Schritt.

Es sind radikale Zeiten. Kein Scheiß. Ich habe so etwas noch nie gesehen, und es macht mir Angst. Die Leute werden verrückt.

Wie viel besser ist Kerry denn als Bush in deinen Augen?

Wie viel ist egal. Er ist besser als Bush. Wir haben ja keine andere Wahl.

Wenn Kerry gewählt wird, müsst ihr euch auch mit ihm auseinandersetzen.

Ich kämpf mir den Arsch ab, um Bush wegzubekommen, aber Kerry soll bloß aufpassen, was er macht! Wenn Kerry es vermasselt, dann werden wir auch ihn loswerden!

Bekommen die Kids denn mit, wie wichtig diese Sache ist?

Ja, sie werden immer mehr darauf aufmerksam. Leute wie Fat Mike oder P. Diddy haben echt was verändert. Sie haben viel politische Arbeit geleistet, und dafür bin ich dankbar. Das ist ja das irre, dass so viele Leute gegen Bush sind. Das ist radikal! Es sind nicht nur die Leute, von denen man es sowieso erwarten würde, es sind eine ganze Menge mehr Leute. Und sie sagen es nicht nur, sie meinen es auch. Sie sorgen dafür, dass sich ihre Freunde registrieren lassen, und wenn sie ihnen dafür einen Drink kaufen müssen. Die Leute machen was, und das ist die große Veränderung.

Lass uns ein wenig übers Touren reden. Was sind die wichtigsten Dinge, wenn man unterwegs ist?

Das ist schwer. Naja, Gepäck halt. Früher hab ich immer so billige Scheißtaschen gehabt. Irgendwann hab ich mir dann Taschen von der Schweizer Armee gekauft. Es ist scheißteuer, aber es hält ewig. Aber jetzt ist es langweilig, also warte ich darauf, dass es kaputt geht und ich was neues kaufen kann. Das und ein Mobiltelefon. Elektronische Bindungen.

Was hörst du zur Zeit so an Musik?

Love Drug. Sie sind aus St. Louis, glaube ich, oder Cincinnati. Guter Alternative Rock, der Sänger klingt sehr britisch. Ich mag Britpop. Coldplay und Radiohead und U2. Kennst du Engine Down? Die sind unglaublich.

Was hältst du von den Killers?

Ich mag sie. Die Platte wird zum Schluss hin ein wenig langweilig, aber sie sind cool. Der Anfang ist großartig! Das ist ein bisschen doof, aber mit Sachen, die gerade angesagt sind, bin ich immer sehr zögerlich. Ich denke dann immer, dass ich es nicht mögen werde. Aber die Killers mag ich. Wenn das Hip-Ding anfängt, bin ich meistens draußen. Obwohl das eine doofe Einstellung ist. Ich hab das ja auch schon durchlebt.

Irgendwelche Postcore-Bands?

Thursday natürlich. Engine Down sind auch Postcore, im traditionellen Sinn. Wie ich auch wachsen sie auf, indem sie Punkrock und Hardcore spielen und zuhause dann U2 hören. Das ist meine Definition für unsere Generation von Bands.

Was war die verrückteste Sache, die euch je auf Tour passiert ist?

Das werde ich immer gefragt. Wenn alles so verrückt wäre, könnte ich gar nicht touren. (überlegt) Wenn man einen neuen Tourbus bekommt, dann guckt man in der Regel erst mal rum, was es so gibt, und was andere Bands hinterlassen haben. In einem Bus gab es dieses Spiel mit vier silbernen Stiften, die per Kabel mit einer Basis verbunden waren. Auf der Basis war ein Buzzer, der zuerst rot leuchtet, wenn man ihn drückt, und dann auf grün umspringt. Wir haben also versucht herauszufinden, worum es geht. Meine Frau hielt noch den einem Stab und ich drücke auf den Buzzer ... Es geht wohl darum, nach dem Umspringen des Lichts so schnell wie möglich auf den Buzzer zu hauen. Der Letzte bekommt dann einen Stromschlag. Wir haben das viel gespielt, wenn man besoffen ist, macht es besonders Spaß, weil alle langsamer werden. Aber ich denke, dass I-Pods so langsam unersetzlich werden, wenn du auf Tour bist. Früher hast du immer CDs mit dir rumgeschleppt, und am Ende hast du sie alle verloren. Eine Playstation ist normalerweise auch ganz wichtig, aber auf dieser Tour hatten wir sie noch kein einziges Mal an. Wenn wir in den USA unterwegs sein werden, kommen ein paar coole Spiele heraus. Tony Hawks, Grand Theft Auto und so was. Das wird so geil sein. Als Kind durfte ich so was nie spielen.

Nach dem Interview habe ich mir noch Jims I-Pod zur Geschmackskontrolle unter den Nagel gerissen. Er besitzt die erste Generation in der Ausführung mit noch mäßigem Speicherplatz, den er u. a. für folgende Interpreten aufwendet (urteilt selbst):

Ashlee Simpson
Blondie
Guns'n'Roses
Justin Timberlake
Johnny Cash
Oasis
PJ Harvey
Refused

Das Interview führten Won Sin und Mathias Möller

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