3. August 2016

"Meditation hat mir das Leben gerettet"

Interview geführt von

Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass sich Steve Vai mit "Passion And Warfare" zum Oberhaupt und Posterboy des Gitarrenolymps machte. Anlässlich des Jubiläums sprach Vai mit uns über seine imposante Karriere als Gitarrist, seine höchst erfolgreiche Signature-Gitarrenlinie sowie Spiritualität und Kreativität.

Wer sich fragte, wie zwischen Steve Vais ersten beiden Soloalben "Flex-Able" und "Passion And Warfare" dermaßen viele Welten liegen konnten, dem gibt die kalifornische Gitarrenlegende mit seinem neuesten Longplayer "Modern Primitive" eine spannende Antwort. Als Bonusmaterial zur 25-Jahre-Jubiläumsedition von "Passion And Warfare" veröffentlicht, basiert "Modern Primitive" auf Aufnahmen, die zwischen den beiden Longplayern (1984 und 1990) entstanden sind, fertig gestellt oder teils neu eingespielt wurden, vom Meister samt den damaligen Bandkollegen und Gastvokalist Devin Townsend. "Modern Primitive" ist das fehlende Stück Vai-DNA, das den Werdegang des Gitarristen vom Sideman bei Frank Zappa, David Lee Roth und Whitesnake hin zum Posterboy der 80er-Jahre-Sologitarristenfraktion erklärt.

Vor seinem Wien-Konzert empfängt mich ein entspannter und redefreudiger Vai in der Garderobe.

Steve, "Modern Primitive" ist nicht nur musikalisch, sondern auch biographisch sehr interessant. Es ist wie ein verschollenes Stück Evolution zwischen deinen ersten beiden Alben "Flex-Able" und "Passion And Warfare", die musikalisch ja höchst unterschiedlich sind. Erzähl doch ein wenig darüber.

Als ich Zwanzig war, habe ich gelernt, wie man im Studio arbeitet. Ich habe damals Sachen aufgenommen, die ziemlich bizarr waren, einfach, weil ich noch am Lernen war. Irgendwann hatte ich genügend Aufnahmen beisammen, um eine Platte namens "Flex-Able" zu machen, mein erstes Album, eine ziemlich exzentrische Platte. Danach habe ich eine Band zusammengestellt, mehr Musik geschrieben und bin ein wenig gereift. Meine musikalischen Visionen haben sich verändert, auch meine Fähigkeiten im Studio sind andere geworden. Ich habe eine Menge tolles Zeugs aufgenommen damals. Ich hatte diese wundervolle Band, The Classified mit Stu Hamm, Tommy Mars, Sue Mathis und Chris Frazier. Dann ergab sich plötzlich die Möglichkeit, zu Alcatrazz zu stoßen, und diese Möglichkeit habe ich genutzt. Ich habe die Aufnahmen somit erst mal beiseite gelegt.

Danach hatte ich die Möglichkeit, mit David Lee Roth zu spielen, und die Aufnahmen wurden erneut verschoben. Zu der Zeit hatte ich mich aber bereits wieder musikalisch ein ganzes Stück verändert, und so begann ich an neuem Material zu arbeiten, aus dem schließlich "Passion And Warfare" wurde. Ich habe es nach meiner Zeit mit David Lee Roth veröffentlicht. Wenn du dir beide Alben anhörst, merkst du, dass sie grundverschieden sind. Da gibt es diesen riesengroßen Sprung. Ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann dazu zurückkehren werde, und die Musik, die ich mit The Classified aufgenommen habe, fertigstellen und veröffentlichen will.

Beim 25-Year-Anniversary-Release von "Passion And Warfare" dachte ich, dass das jetzt eine gute Möglichkeit ist. Es war ein großartiges Erlebnis, zurückzugehen und die Sachen anzuhören. Ich hatte zehn Songs getrackt, Bassdrums, Rhythmusgitarren und ein paar Keyboards, aber ich bin nie fertig geworden mit den Vocals, den Soli etc. Als ich dann beim Remastering von der Jubiläumsedition von "Passion And Warfare" war, sagte ich mir, jetzt es ist Zeit zurückzugehen und an den alten Aufnahmen zu arbeiten. Daraus wurde "Modern Primitive". Wenn du dich für meine Musik interessierst und "Flex-Able" und "Passion And Warfare" kennst, ist "Modern Primitive" das fehlende Bindeglied.

Hattest du die ganze Musik zur Hand? Bist du ein guter Archivar?

Oh, ich bin ein absoluter Audio-Sammelwütiger. Ich habe alles genauestens archiviert, jedes kleinste Schnipsel - vom Moment an, als ich 13 war und gerade begann, Gitarre zu spielen. Ich behalte alles, und wenn sich die Technologie ändert, update ich alles.

Gehst du oft zu diesen Sachen zurück?

Oh ja, die ganze Zeit. Ich muss Inspiration festhalten, wenn sie auftaucht. Ich kann über Inspiration ja nicht verfügen wie ich will, wie das Genies können. Ich habe ja mit Frank Zappa gearbeitet, und der war dauernd inspiriert. Was ich versuche: Wenn ich fühle, dass etwas Substanz hat, mache ich einen Snapshot davon. In den letzten Jahren benutzte ich dafür größtenteils mein iPhone, aber ich habe stets alle nötigen Mittel dafür verwendet. Ich schreibe es nieder, ich habe Stapel über Stapel von Papier, tausende Ideenschnipsel. Auf die greife ich immer zurück. Ich vergesse ja, was ich gemacht habe und so finde ich immer kleine Juwelen.

Wenn du irgendetwas aufgenommen hast, das viel Energie hatte, kannst du so zurückgehen und diese Inspiration wiedererwecken. Die meisten meiner Stücke wurden von diesem 'Infinity Shelf', wie ich das nenne, geformt. Heutzutage ist es wohl ein digitales 'Infinity Shelf', schließlich ist alles digital. Gib mir mal mein Handy. (Ich gebe ihm sein iPhone vom Schreibtisch). Sogar gestern habe ich etwas aufgenommen, in Prag. (Spielt Handyaufnahme von Akustikgitarre vor). Da gibts so viele davon, in so vielen verschiedenen Formen. Manchmal wache ich in der Nacht auf, und denke mir, mach das und das. Oder es sind Lyrics oder Geschichten. Wenn ich es nicht dokumentiere, ist es weg.

Und du hast wirklich dein ganzes analoges Archiv digitalisiert?

Ja, das habe ich.

Das muss doch eine Riesenarbeit gewesen sein.

Eine Riesenarbeit, oh ja.

War es ein guter Prozess?

Es war wunderschön. Du durchlebst diese ganzen Momente ein zweites Mal. Manches ist Müll, bei dem ich nicht weiß, was zur Hölle ich mir dabei gedacht habe. Aber immer wieder stolperst du auch über Kleinode.

Schreibst du viel, wenn du auf Tour bist?

Die ganze Zeit. Bei jedem Soundcheck haben wir folgende Policy: Ich komme auf die Bühne, checke meine Gitarre, die Band ist damit bereits fertig. Ich habe 48 Spuren Digital Recording und beginne einfach zu spielen, ohne zu wissen, was. Die Band tut das Gleiche. Viele meiner Stücke sind so entstanden, bei Soundcheck-Jams. Auf "Modern Primitive" beispielsweise "Never Forever": Ich hatte das Riff bereits ewig rumliegen, aber ich habe es in einem Soundcheck ausgepackt, der Band beigebracht - und da war es. Auf meiner letzten Platte sind überhaupt rund 80 Prozent so entstanden.

"Es gab eine Zeit, in der sogar Mozart als 'vorbei' galt."

Ich erinnere mich auch an "Alive In An Ultra World" aus dem Jahre 2000, das Livealbum, das du nach "The Ultra Zone" veröffentlicht hast.

Das war ein wenig anders. Die Stücke waren zwischen Soundcheck und Show geprobt und aufgenommen, aber da war ein anderes Konzept dahinter. Ich wollte Musik schreiben, die die Klangfarbe der jeweiligen Länder wiederspiegelte. Aber ein paar der Songs sind damals auch so entstanden, "Giant Balls Of Gold".

Ich mochte immer den Song für Australien gerne, "Light Of The Moon".

Danke, das mag ich auch noch immer sehr gerne. Das war eine witzige Idee. Ich habe es ja für Australien geschrieben, aber was ist die australische traditionelle Musik? Dann habe ich herausgefunden, dass "Waltzing Matilda" fast so etwas wie eine Nationalhymne dort ist. Es gibt Elemente der Ureinwohnermusik - Horns, Didigeridoos - im Stück. Aber der Chorus ist "Waltzing Matilda", nur mit anderen Lyrics über Australien. So nahe war ich noch nie dran, etwas zu schreiben, dass inspiriert von meinem Lieblingskünstler klingt: Tom Waits.

Ach, echt? Was ist dein Lieblings-Waits-Album?

Das ist unmöglich zu beantworten, das wechselt ständig. Jeder Song - natürlich habe ich ein paar, die ich noch ein wenig mehr mag als andere - ist wie ein kleines Reinspähen in seinen Gebäudeblock. Wenn ich mich festnageln müsste: Ich mag die "Bone Machine"-Ära sehr gerne, auch "Alice" und "Blood Money". Einfach fantastisch - ich kann mich gar nicht festlegen.

Lass uns über den Track "Mighty Messengers" reden - da singst du ja. Sind die Gesangsspuren neu - damals fühltest du dich als Sänger ja nicht so wohl in deiner Haut, oder?

Nein, damals habe ich sogar noch viel mehr gesungen! Ich habe beinahe die Hälfte der Songs gesungen, der Rest waren Instrumentals. Ein bisschen was haben auch die anderen gesungen. "Mighty Messengers" war eines jener Stücke, die ich angefangen habe, aber nie weit damit gekommen bin. Der zweite Teil hieß "Midway Creatures", aber den Titel verwendete ich für einen anderen Song auf einer anderen Platte, also habe ich es "The Lost Chord" genannt. Devin Townsend hat es eingesungen, und er hat einen atemberaubenden Job gemacht.

Ich habe es früher mal gesungen, habe aber meine Stimme auf diesem Stück nie gemocht. Ich mag meine Stimme ja für einige Sachen, aber nicht für das. Devin ist einer meiner Lieblingssänger, deshalb habe ich ihn gefragt. Er hat ja gesagt und mir dieses Meisterwerk zurückgeschickt, das er aus "The Lost Chord" gemacht hat. Diese ganzen Gesangsschichtungen, die Art, wie er Gesangslinien inmitten all dieser dichten Akkorde fand. Großartig.

Du hast mit Devin ja schon 1993 auf "Sex & Religion" gearbeitet. Wie findest du das Album heute?

Ich mag es. Die Leute denken aus irgendeinem Grund, ich würde es nicht mögen. Das einzige, was nicht funktionierte, war mein Konzept, eine Band zusammenzustellen, die auch wirklich eine Band ist. Im Rückblick war der Grund dafür, dass ich einfach ein zu großer Kontrollfreak war. In Wirklichkeit wollte ich gar keine Band. Bevor ich Sachen wie "Passion & Warfare" gemacht habe, war ich in den 1970ern einfach ein Teenager und mochte Bands wie Led Zeppelin und Deep Purple.

Ich liebte den Gedanken, einfach ein Gitarrist zu sein, der einen Frontman vor sich hat - und ich hatte wirklich ein paar der größten Frontmänner. Ich meine, mit David Lee Roth oder David Coverdale zu arbeiten, die Typen sind grandiose Frontmänner. Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Als ich "Passion And Warfare" machte, wusste ich nicht, wie ich hinausgehen und Frontmann dieser Musik sein sollte. Also bin ich (bei "Sex & Religion" - Anm.) zu meinen Wurzeln zurückgegangen, und habe eine Band zusammengestellt. Ich bin glücklich darüber, wie die Platte geworden ist. Sie war ganz anders, als das, was zu der Zeit so passierte. Sie hatte eine intrinsische Heaviness - und wenn man sich damals umgehört hat, was sonst so vor sich ging, gab es diese Art Heaviness nirgendwo. Devin steckte ja tief in der Heavy-Szene. Es war einfach ein Versuch, eine Band zu sein - weit weg von "Passion And Warfare". Die Leute, denen "Passion And Warfare" gut gefiel, waren wohl etwas enttäuscht, dass ich mich davon soweit wegbewegte.

Wir hatten auch eine tolle Tour - und komischerweise ist "Sex & Religion" in meinem Backkatalog eines der bestverkauften Alben. Die Leute, die es heute für sich entdecken, sind losgelöst von den Trends jener Zeit. Damals, als die Platte herauskam, wurde Grunge populär - ein Riesenkontrast zu "Sex & Religion". "Sex & Religion" war heavy und sehr kompositionslastig, in der populären Musik ja fast ein Tabu. Die Art, wie Devin es sang, war intensiv - es war eine Anomalie. Irgendwann ändern sich Trends aber. Wenn alle Magazine und alle anderen beschließen, dass jetzt dieses und jenes cool ist, kann alles, was da nicht reinfällt, schnell als unwürdig durchgehen, als nicht gut genug.

Das Interessante an der Geschichte ist aber, dass sie sich nicht daran erinnert, wie passé oder untrendy etwas war, wenn die Trends sich ändern. Zum Beispiel, ich bin ja kein klassischer Musikhistoriker, aber: Es gab eine Zeit, in der sogar Mozart als 'vorbei' galt. Oder Elvis, sogar die Beatles, als alle ihre Platten verbrannten, oder Michael Jackson. Quer durch die Geschichte gibt es immer Trends, und wenn dann ein Wechsel kommt, wollen die Leute mit den alten Trends nicht mehr assoziiert werden. Die Leute ändern ihre Kleidung, tragen anderes Make-up, was auch immer. Aber die Geschichte erinnert sich nicht daran, dass Elvis unten durch war. Sie preist nur seinen Beitrag, genau wie bei Mozart oder allen anderen Künstlern.

Mit dem wiederaufgelebten Interesse an "Sex & Religion", das wohl zur absolut falschen Zeit veröffentlicht wurde, erinnern sich die Leute nicht mehr daran, dass die Platte damals rauskam, als es uncool war, sie zu spielen. Wenn die Leute heute die Platte mögen, mögen sie die Platte eben und keiner sagt ihnen, ob sie das tun sollen oder nicht.

Lass uns zu "Passion And Warfare" zurückgehen. Du warst ja an der Grenze zwischen dem Gitarren-Hotshot der Stunde und dem Gitarrengott-Status. Was waren deine Erwartungen damals?

Das Wunderbare an der Entstehungsphase von "Passion And Warfare" war, dass ich gar keine Erwartungen hatte. Ich kam gerade von diesen großen Rockbands, in den Augen vieler war ich über Nacht zum Rockstar geworden. Auf einmal war ich bei Dave Roth, es gab einfach ein großes Momentum. Die Mystik, ein Zappa-Musiker zu sein, dann "Flex-Able", dieses osbkur exzentrische Album mit "The Attitude Song". Als dieser beim "Guitar Magazine" veröffentlicht wurde, gab es diese verrückte Explosion. Dann kam der "Crossroads"-Film, der trug zum Mythos bei.

Dann Dave Roth, der Typ, der die Stimme von Eddie Van Halen war. Und dann sogar Alcatrazz, mit dem Schwung von Yngwie. Dann Whitesnake, die damals größte Band, die am meisten Platten verkaufte. Ich habe all das kommen sehen, und ich habe es genossen. Es hätte nicht funktioniert, wäre ich nicht authentisch gewesen, und meine Authentizität zeigte sich - das ist alles rückblickend gesprochen - in meinem Unwillen, mich mit meinen Vorgängern zu messen oder sie übertrumpfen zu wollen. Ich konnte das gar nicht. Wenn du versuchst wie Yngwie zu klingen, bist du ein Idiot. Das funktioniert einfach nicht, ebenso wenig bei Edward (Van Halen, Anm.).

Aber da gab es immer diese Musik in mir, die ganz anders war, als all das. Viel persönlicher. Das ist ja nicht unüblich bei kreativen Menschen. Jeder hat einen einzigartigen künstlerischen Ausdruck, und wenn man Glück hat, tappt man rein und kann ihn auf die Welt loslassen. Ich wusste einfach, dass ich diese Platte machen muss. Ich dachte, okay, ich habe all dieses Geld gemacht, ich wurde so bekannt, wie das eben in der Rock-Gitarrencommunity möglich war - im Grunde ist ja auch eine recht kleine Community, wenn du an die gesamte Welt denkst. Aber ich fühlte einfach, dass ich das machen musste und war überzeugt, dass das Ende meiner Karriere sei. Ich musste das hier machen und habe mich der Idee ergeben, dass das niemandem mehr gefallen muss. Das war unglaublich befreiend und kraftvoll. Wenn du nicht ständig das Gefühl hast, jemandem gefallen oder glücklich machen zu müssen, dann bist du frei. Was ich gefühlt habe, als ich "Passion And Warfare" gemacht habe? Freiheit. Freiheit von Erwartungen. Ich habe die Platte gemacht, die ich machen wollte.

Anfangs war es eine wirkliche Überraschung für mich, dass sie so gut aufgenommen wurde. Nun, ich kann nur annehmen, dass es Leute gibt, die für die Platte dasselbe empfinden wie ich. Ich liebe sie. Sie ist ein warmer Ort für mich, eben wegen der Freiheit, mit der ich verbunden war. Das gibt mir ein Gefühl von Zufriedenheit und Erfolg - und damit meine ich nicht weltlichen, sondern wirklichen Erfolg. Ich hatte Glück, dass dieser weltliche Erfolg damit einher ging, aber er ist letztendlich nur eine Konsequenz davon, dass ich mir erlaubt habe, die Freiheit herauszunehmen, meine musikalischen Intentionen in die Musik zu bringen.

"Macht mir eine Gitarre mit einer Extra-Saite!"

Du sprichst oft über diesen Geisteszustand beim Musikmachen: Frei sein von Erwartungen, frei sein von Urteilen. Erreichst du diesen Zustand immer mit Leichtigkeit oder hast du auch Phasen, wo du mit deinen eigenen Erwartungen kämpfst?

Nun, das ist eine rutschige Straße. Einerseits musst du ja Erwartungen haben, du musst beispielsweise erwarten, dass du es fertig stellst, dieses und jenes. Das ist eben das Protokoll. Aber die Erwartung zu haben, dass sich das beispielsweise verkaufen muss, das ist eine Illusion. Man weiß in Wirklichkeit nichts. Gar nichts. Meistens ist die Realität auch sehr verschieden von dem, was du dir erwartet hast. Du bleibst einfach im Moment - und wenn du im Moment bist, fließt das Beste durch dich durch. Es ist schwer, das zu erklären, aber es hat mit dem Unterschied zwischen dem Intellektualisieren eines kreativen Projektes und dem Erlauben deiner eigenen, einzigartigen Kreativität zu tun.

Wenn ich ein Projekt intellektualisieren würde, klänge das zum Beispiel so: Okay, ich mag Led Zeppelin. Also höre ich mir Led Zeppelin an, nehme eine Led-Zeppelin-Song her, lerne ihn und verändere ihn ein wenig. Das machen viele Leute so, und da ist auch nichts Verwerfliches dran. Weil an einem Punkt auch deine Einzigartigkeit reinkommt, die da durchfließt. Man ist inspiriert von etwas, und das ist okay. Deswegen gibt es ja auch alles, was davor kam. Wir stehen alle nur auf den Schultern dessen, was vor uns kam. Ich kann mir Led Zeppelin also genau anhören und analysieren, was sie an gewissen Stellen machen, welche Tonart sie nehmen und es eben intellektualisieren. Man kriegt so auch schon ein gewisses Produkt raus, und kann sogar sehr erfolgreich sein, oder auch nicht.

Oder du fragst dich: Was kann ich tun, das so einzigartig ist, wie nur ich es sein kann? Etwas, das ich noch nie getan oder irgendwo gehört habe. Du kannst nicht darüber nachdenken, was das sein könnte - du kannst nur erlauben, dass die Inspiration hochkommt und in deinen denkenden Geist fährt. Ein Beispiel dafür ist diese Gitarre hier (Vai nimmt seine Signature Ibanez JEM 7V WH, die neben ihm auf der Couch steht). Es war eine simple Kreation in dem Moment. Damals - vor 30 Jahren - gab es Strats und Les Pauls - aber ich wollte etwas anderes. Ich fragte mich selbst, was ich wollte, dass für mich einzigartig ist. Alleine diese Frage zu stellen ist extrem kraftvoll.

Du öffnest dich damit - für was, weiß ich nicht, aber die Antwort kommt von alleine. Ich wusste, ich möchte 24 Bünde, wenige Gitarren hatten das damals. Ich wollte auch, dass man in hohen Lagen spielen konnte - außer bei den Flying Vs war da immer etwas im Weg. Strats, Les Paul, bei denen konntest du nicht auf den obersten Bünden spielen, das machte für mich keinen Sinn. Ich sagte: 'Schneidet es in der Größe meiner Hand raus'. Unglaublich simpel, aber auch damals sehr innovativ. Und es ging weiter: Was möchte ich für Pick-ups? Ich mochte den Klang von Les Pauls mit ihren Double-Coil-Pick-ups, Strats klangen mir zu dünn für Rock'n'Roll. Man konnte - bis Edward (Van Halen, Anm.) das änderte - keine Strat-Style-Guitar mit Whammy Bar und Double Coil Pick-up finden. Er hatte aber nur einen, aber ich wollte zwei.

Ich wollte aber auch den Single-Coil-Sound. Siehst du, wie ich danach gefischt habe, was ich wollte? Ich ließ also einen Schalter einbauen, der die Phasen ändert, und da war mein Strat-Sound. Und dann erst das Whammy Bar. Als ich das zum ersten Mal sah, wusste ich: Das bin ich! Aber niemand machte Whammy Bars, die man so gebrauchen konnte, wie ich das wollte. Als das Floyd Rose rauskam, war schon der halbe Weg getan. Es hielt die Stimmung, man konnte es runterdrücken - aber nicht rauf! Ich wollte aber ein Whammy Bar, das man ordentlich nach oben bewegen konnte, also nahm ich mir einen Hammer und einen Schraubenzieher her und höhlte mir diese Form hier aus. Das war es: das erste wirkliche Floating Tremolo System, von dem ich weiß. Ich habe auch noch ein paar andere kleine praktische Dinge machen lassen. All das passierte, weil ich ein wenig außerhalb der Box dachte und die Inspiration reinließ.

Nicht zu vergessen den Monkey Grip (Vai's Gitarre hat am Korpus einen unverkennbaren Griff, Anm.).

Ja, den habe ich reinmachen lassen, weil ixc wusste, dass diese - darf ich sagen Innovationen - andere Gitarrenhersteller dazu inspirieren würde, einiges zu übernehmen. Das ist auch passiert, und das ist wundervoll. Aber ich wollte diese Gitarre mit etwas branden, das sonst keiner hatte.

Du hast mit der Ibanez Universe auch die siebensaitige Gitarre in die Rockmusik gebracht.

Ja, und so schlug der Blitz ein zweites Mal ein! Das war eine sehr simple Sache. Wieso hatte das keiner zuvor gemacht? Gut, einige haben es ja gemacht. Uli Jon Roth spielte eine siebensaitige Gitarre, und ich denke, die siebensaitige Gitarre war die erste Gitarre, die je erfunden wurde, irgendwann um 1600 oder so. Als ich eine wollte, wollte ich sie nicht deswegen, weil keiner eine hatte, sondern weil ich wusste: Wenn ich noch eine weitere Saite habe, kann ich sie richtig runterstimmen und ordentlich Ärger machen. Die Konversation dauerte genau eine Minute, ich sagte zu Ibanez: 'Macht mir eine JEM-Style-Gitarre mit einer Extrasaite!'. Und das wars! Es hat eine Subkultur begründet.

Korn haben die siebensaitige Gitarre dann ja so richtig populär gemacht und dich als großen Einfluss genannt.

Die Jungs in der Band, Monkey und Head, waren Fans soweit ich weiß. Ich wusste, dass es eine junge, neue Generation geben würde, und wenn diese von mir inspiriert sein würde und die Siebensaitige hört, werden sie etwas Verrücktes damit machen. Was Korn damit taten: Oh mein Gott! Ich habe diese Gitarre nur bereitgestellt, aber Bands wie sie haben sie kultiviert und wirklich populär gemacht. Ich selbst habe sie ja nicht populär, sondern einfach verfügbar gemacht.

Da bist du vielleicht etwas zu bescheiden.

Nein, ich glaube, ich sehe das ganz pragmatisch. Klar, auf gewisse Weise hab ich sie populär gemacht, in dem ich sie in Produktion brachte. Ich glaube, dass eine elektrische siebensaitige Gitarre zuvor nie in Produktion war. Vielleicht hat eine Firma mal fünf, sechs Stück davon gemacht. Als sie gerade populär wurde, hat nur Ibanez sie produziert. Irgendwann wollten sie die Produktion sogar einstellen. Ich habe ihnen gesagt: Tut das nicht! Und wenn ihr nur zehn im Jahr davon macht. Die junge Generation wird sie übernehmen, das wusste ich einfach. Der Trend ist, immer das zu übertreiben, was zuvor passierte.

Das ist auch das, was Korn taten: Sie übertrieben den Metal zu dem, was er zu dieser Zeit wurde. Und das war ihr Werkzeug, und ich wusste, dass eine Generation das machen würde. Irgendwann fuhr ich im Auto, und ich hörte diese Musik im Radio und ich sagte: Erstens ist das eine Siebensaitige, und es bin nicht ich, der sie spielt. Und zweitens, heiliger Bimbam, das ist unglaublich! Ich bin rechts rangefahren und habe mir das angehört. Und dann wuchs das alles, und es wurde verrückt. Vor nicht allzu langer Zeit hat mich ein Interviewer mal gefragt: 'Jetzt, wo alle Bands siebensaitige Gitarren spielen, wieso spielst du keine?'. Ich hab nur gesagt: 'Nein, sobald das jeder tut, interessiert mich das nicht mehr". (lacht)

Ein Themenwechsel zur letzte Frage: Wie wichtig ist dir Meditation?

Meditation kann ein großes Wort sein. Was ist das? Ich bin durch verschiedene Methoden der Meditation gegangen, aber im Kern ist Meditation einfach, deine Gedanken zum Stillstand zu bringen und dir deines Bewusstseins gewahr zu werden. Alleine das zu verstehen, ist für viele nicht möglich. Weil sie ihre Gedanken sind. Da gibt es diese kleine Stimme in deinem Kopf, die immer alles kommentiert, sich beschwert, beurteilt: Das mag ich, das mag ich nicht, den da mag ich, den da mag ich nicht. Das Wetter weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, das Wetter ist einfach. Unser Bewusstsein, unsere Aufmerksamkeit, unsere Fähigkeit, gewahr zu sein: Das passiert VOR den Gedanken. Deine Aufmerksamkeit ist das, was das Licht auf diese Gedanken wirft. Gedanken können nicht existieren ohne etwas, das sie wahrnimmt. Dinge in der Welt existieren nur, wenn ein Bewusstsein sie wahrnimmt.

Die Aufmerksamkeit von den meisten von uns ist so sehr auf die Gedanken gerichtet, dass wir zu dem werden, was wir denken. Meditation ist der Prozess, deine Aufmerksamkeit von dieser kleinen Stimme und den Gedanken zu lenken und zu wissen: Du bist nicht deine Gedanken. Bewusstsein hat keinen Namen und keine Form, und Meditation ist der Prozess, sich dessen bewusst zu werden. Stress ist nur eine Reihe von Gedanken, und wie du dich fühlst, hat nur mit der Qualität deiner Gedanken zu tun.

Das habe ich alles von verschiedenen spirituellen Lehrern gelernt, und der Grund, warum ich darüber spreche: Es hat mir das Leben gerettet. Ich war ein sehr intensiver junger Mann, und war sehr in diesem Leiden gefangen, psychologisches und mentales Leiden. Das ist wirkliches Leiden: Da gibt es physisches Leiden und psychologisches Leiden. Psychologisches Leiden ist das Produkt der Gedanken in deinem Kopf, denen du glaubst. Wenn du aufhörst, diesen Gedanken zu glauben, weil 75 bis 85 Prozent der Gedanken nur repetitive alte Muster sind, die auf dem basieren, was in deiner Vergangenheit passiert ist. Auf das fokussieren wir uns und kreieren so unsere Identität.

Jeder schafft sich so seine Identität: Ich bin das, weil mir jenes passiert ist. Diese Person hat mir das angetan, also bin ich das Opfer. Oder ich habe dieses und jenes getan, und so kommt Schuld auf. Schuld schneidet dir die Fähigkeit, einzigartig kreativ zu sein, an der Wurzel ab. Ich möchte jetzt aber auch echt nicht darauf eingehen, warum Menschen leiden, weil um das zu tun, müsste man über den Sinn des Universums Bescheid wissen. Und dafür bin ich nicht qualifiziert (lacht).

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