31. März 2009

"Es sollte weniger Boybands geben"

Interview geführt von

Das muss man ihnen lassen: Take That haben eines der erfolgreichsten Comebacks der jüngeren Musikgeschichte hingelegt. Im Jahr 3 nach ihrem Comebackalbum "Beautiful World" wird zwar immer noch kräftig über eine Rückkehr von Robbie Williams spekuliert, nötig haben Take That sie nicht.Vor dem Auftritt bei "Wetten Dass...?" in der Münchner Olympiahalle am Abend herrscht im Luxushotel am Hauptbahnhof hellste Aufregung: Take That sind im Haus, Interview reiht sich an Interview, die Entourage beherrscht die ganze Etage, vereinzelt sitzen junge Mädchen im Foyer.

Fragen nach Robbie Williams sind tabu, die Dame von der Plattenfirma bleibt auch während des Interviews aufmerksam neben der Band sitzen. Drei Leute sind damit beschäftigt, dass Howard Donald nach dem Essen seine Zahnpasta bekommt. Erstaunlich, wie entspannt Howard und Jason Orange selbst bei dem ganzen Trubel bleiben.

Ihr seid zurück bei "Wetten Dass...?", der Show, in der ihr 1996 einen der letzten Fernseh-Auftritte hattet, bevor Take That auseinander gegangen sind. Damals konnte Thomas Gottschalk die verzweifelten Mädchen kaum beruhigen. Mit welchem Gefühl seid ihr jetzt wieder da?

Jason: Es ist super. Für uns hängen da tatsächlich viele Erinnerungen dran. Wir sind sehr froh, das wieder machen zu können. Ich weiß noch, dass die Mädchen damals wirklich ausgeflippt sind. Und ich erinnere mich an Thomas Gottschalks riesige Frisur.

Ihr wart erst kürzlich wieder für die renommierten Brit Awards nominiert. Und zwar in der Königskategorie: beste britische Band, zusammen mit Kollegen wie Coldplay und Radiohead. In Großbritannien ist euer aktuelles Album "The Circus" super besprochen worden. Wo seht ihr euch heute in der britischen Musikszene?

Howard: Da, wo wir hingehören... (lacht).

Jason: Naja, ernsthaft: Ich glaube, unser musikalisches Umfeld, die anderen Künstler in den Charts, haben inzwischen wirklich Respekt vor uns. Leute wie Chris Martin von Coldplay oder Liam Gallagher kommen zu uns in die Garderobe, um mal "Hallo" zu sagen. Ich glaube nicht, dass die unsere Songs so sehr mögen, dafür sind wir wohl zu sehr Pop. Aber ich glaube, sie respektieren, dass wir inzwischen schon so lange am Start sind.

Und dass wir wirklich über die Jahre einige ganz gute Songs gemacht haben. Das Radio spielt uns rauf und runter. Ich habe das Gefühl, es gibt im Moment wirklich viel Liebe für Take That.

Apropos Chris Martin: Wie kann man sich denn den persönlichen Musikgeschmack von Take That im Jahr 2009 vorstellen? Habt ihr Coldplay im Player?

Jason: Ich stehe nicht so auf Coldplay, aber ich habe mich auch noch nicht eingehend mit ihnen beschäftigt, muss ich zugeben. Ich mag Oasis gerne, die ersten Alben. Die neueren Sachen kenne ich nicht so gut. Ich mag George Michael und James Morrison, einen jungen britischen Singer/Songwriter.

Howard: Ich höre privat eher elektronische Tanzmusik. Ich lege ja viel auf. Beats und Breaks – das ist was für mich. Aber mir gefallen auch die Turin Brakes und Michael Andrews, der den Soundtrack für "Donnie Darko" gemacht hat.

"Heute sind wir erwachsene Männer"

Spielt ihr euch manchmal Sachen vor, die ihr entdeckt habt, wie echte Musikfans das so gerne machen?

Jason: Ja, besonders Howard.

Howard: Ich feile noch an einer Compilation für Jason. Sachen, die ich gerne höre. Ich weiß, dass Jason die Sachen auch gefallen würden. Worauf wir uns aber immer einigen können ist Pink Floyd. Wir sind alle große Floyd-Fans.

Auf der neuen Single "The Garden" singt ihr zum ersten Mal alle vier zu gleichen Teilen. Wie kams dazu?

Howard: Das ist einfach so im Studio passiert. Ganz natürlich. Wir hatten zuerst eine Demoversion. Und dann haben wir beschlossen: Wir teilen uns das. Ich singe die hohen Parts und so weiter. Und am Schluss haben wir wirklich jeder zu gleichen Teilen gesungen. "The Garden" ist ziemlich episch. Wir eröffnen damit unser Album.

Jason: Als alle Songs geschrieben waren, dachten wir: Das ist wirklich ein super erster Track für ein Album. Da ist alles schon drin. Jede Stimme, jede Person des Albums.

Schon öfter habt ihr betont, dass sich bei diesem Album jeder mehr einbringen konnte. Wird Take That demokratischer?

Jason: Absolut.

Howard: Ja, das war auch schon beim "Beautiful World"-Album so. Wir haben alle mehr mitgeschrieben. Das läuft bei uns so ab: Ein paar Leute haben eine Idee, dann kommen vielleicht zwei Leute von uns zusammen, schreiben einen Text, probieren rum. Manchmal sind auch alle vier von Anfang an einem Song beteiligt.

Das ist toll, da merkt man die tiefe Bindung, die wir mittlerweile zwischen uns aufgebaut haben. Das funktioniert einfach. Keiner hat Angst zu sagen: Das gefällt mir nicht, lass uns lieber etwas anderes probieren. Absolut kein Problem.

War das eine Voraussetzung für euch, als es vor ein paar Jahren um eine mögliche Reunion ging, dass ihr musikalisch alle mehr Einfluss nehmen könnt?

Jason: Ja! Anders wäre es nicht gegangen. Wir hätten nicht ernsthaft wieder zusammen arbeiten können und im Endeffekt nur das wiederholen, was wir in den neunziger Jahren gemacht haben. Damals war das schon okay, wie wir gearbeitet haben. Aber das war damals. Heute sind wir erwachsene Männer.

Mit einer gewissen Lebenserfahrung, die wir auch ausdrücken wollen in unseren Songs. Das war eine grundlegende Voraussetzung: Wir müssen in den Entstehungsprozess der Songs alle mehr eingebunden sein.

Ihr kennt euch jetzt schon ewig, hattet aber auch eine lange Pause, in der ihr euch sicher alle auch in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt habt. Ihr wirkt heute sehr entspannt zusammen. Kann man sich so auch die Arbeit im Studio und an den Songs vorstellen?

Howard: Total. Ich finde es toll, dass wir unsere Freundschaft haben, die auch außerhalb der Band funktioniert. Das macht die Arbeit auch so einfach. Von den Songs zu den Konzerten bis dahin, Ideen für Tourneen zu entwickeln und was wir dort anziehen ... Alles kommt heute von uns. Wir holen uns Rat ein und dann entscheiden wir die Dinge. Wir sind wirklich die Macher von fast allem, was ihr von uns hört und seht.

Jason: Ein hart arbeitendes Team.

"In Italien ist es noch wie in den 90ern"

Wenn man eure Karriere heute und damals vergleicht: Habt ihr auch euer Arbeitspensum verändert und nehmt etwa weniger Termine wahr? Ihr wusstet schließlich dieses Mal ganz genau, auf welchen Stress Ihr euch einlasst ...

Howard: So gut wie die Neunziger auch waren und wir haben wirklich jeden Teil davon genossen ... Ich wollte sie nie wiederholen. Und den anderen ging es genau so. Das war einfach so viel, viel zu viel. Wir haben kaum eine Atempause gehabt in diesen sechs Jahren, die wir damals als Take That zusammen waren.

Heute würde das so gar nicht mehr gehen. Drei von uns haben Kinder, Familie. Uns ist das wichtig, genug Zeit mit unseren Familien zu verbringen. Das braucht man für ein glückliches Leben. Wenn man seine Kinder nicht sehen kann, schlägt sich das auch auf die Arbeit nieder. Wir nehmen die Kids mit auf Tour, wenn es geht. Heute geht es um Take That und die Kinder, das Zuhause. Früher ging es nur um Take That.

Denkt ihr manchmal ein bisschen wehmütig an die Jahre zurück, in denen ihr nicht mehr so im Rampenlicht standet?

Jason: Schon. Ich mag es, anonym sein zu können. Aber das können wir auch wieder haben. Die Leute vergessen schnell.

Howard: Wenn Du heute mit früher vergleichst, ist das aber wirklich was anderes. Früher standen Trauben von kreischenden Mädchen vor unseren Häusern und wo wir auch immer hingegangen sind: Die sind uns gefolgt, haben versucht, uns zu berühren. Das waren damals extrem junge Fans.

Wir haben Glück, die Fans sind mit uns älter geworden. Heute sind sie eher ladylike und höflich. Sie warten ab, dass du auf sie zugehst anstatt direkt auf dich zu zu rennen. In manchen Ländern ist das immer noch anders, in Italien fühlt man sich zum Beispiel manchmal noch wie in den 90ern ... (lacht).

Die Fans sind mit euch älter geworden, statt den Teenies jubeln euch jetzt die Mamas zu. Ist euch das wirklich lieber so?

Jason: Absolut. Das ist rundum besser. Wenn jemand unsere Musik toll findet und Take That mag, dann ist das das größte Kompliment für uns. Aber diese Hysterie - das macht dich fertig. Auf der Straße, beim Lebensmittel einkaufen, wenn dann da jemand anfängt zu schreien, dann ist mir das echt manchmal ein bisschen peinlich. Beruhig dich, denke ich dann, du bist normal, ich bin normal, absolut kein Grund für so eine Hysterie. Wie Howard sagt: Wir sind älter geworden, die Fans auch. Das ist schön.

Bei einigen kommen doch sicher auch schon die Kinder mit.

Howard: Nicht freiwillig.

Jason: Das ist ein tolles Gefühl, auf der Bühne zu stehen und die verschiedenen Generationen zu sehen. Mütter mit Kindern, teilweise sogar drei Generationen. Wir erobern die ganze Welt! (lacht).

Tatsächlich habt ihr eins der größten Comebacks der letzten Jahre hingelegt.

Jason: Beim zweiten Mal sind wir sogar noch erfolgreicher, wenn man die Plattenverkäufe und die verkauften Konzerttickets zählt. Wir hätten das in den Neunzigern gar nicht anfangen, sondern einfach noch ein bisschen abwarten sollen ... (lacht).

Das Genre "Boybands" hat die Neunziger so geprägt wie Grunge oder House. Seid ihr da heute noch manchmal stolz drauf?

Jason: Ich habe gemischte Gefühle. Ich bin stolz darauf, dass wir die ersten in Europa waren. Damals hat noch keiner gedacht, dass das ein ganzes Genre, eine ganze Bewegung wird. Manchmal macht mich das stolz, dass Leute in unsere Fußstapfen getreten sind. Das heißt ja, dass wir etwas bedeutet haben.

Aber manchmal bin ich nicht so stolz. Weil es da draußen eben auch so viel Müll gibt. Vielleicht war unser Zeug auch Müll, wenn uns jemand so sehen will, bitte. Aber wir waren das Original. Das Boyband-Ding verwässerte mit der Zeit immer mehr, die Qualität der Bands wurde schlechter. Ich persönlich fände es gut, wenn es weniger Boybands gäbe. Vielleicht nur noch halb so viele. Das wäre doch was, oder?

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