18. September 2019
"Ich wäre an den Drogen verreckt"
Interview geführt von Yannik GölzPlötzlich tauchen in Stuttgart Leute auf, die man eigentlich nur in amerikanischen Trailerparks vermutet hätte. Zum Tech N9ne-Gig in der Schräglage zieht es Hip Hop-Nerds in Strange Music-Jerseys, mit Basecaps, volltätowiert und bereit zu randalieren. Dudes, die jetzt Hawaiihemd tragen, werden drei Songs später oben ohne sein. Die Straße ist in fester Technician-Hand, als wir Tech N9ne nachmittags zum Interview treffen.
Der Mann selbst wirkt routiniert und abgeklärt. Mit einem Kumpel im Gepäck, der als Hardliner-Fan selbst ein paar Fragen stellen wird, sitzen wir Backstage. Techs Manager im stilechten Wrestling-Shirt gibt eine Zeit vor und Tech N9ne erzählt bereitwillig über die Tour und sein Label los, nerdet über andere MCs und diskutiert Hip Hop-Philosophien. Aber eigentlich will er vor allem rappen. So sehr, dass er auch im Laufe des Interviews immer wieder ganze Parts rattert, noch unveröffentlichte Musik teasert und seine Setlist durchgeht.
Gestern warst du in München, heute in Stuttgart. Wie läuft die Europatour bisher?
Es ist alles nur Liebe. Ich bin jetzt in einer so späten Phase meiner Karriere, und die Leute kommen immer noch, um mich zu sehen. Es kommen sogar immer ein paar neue, die jetzt erst auf dieses ganze Tech N9ne-Phänomen aufmerksam werden. Man tut, was man tut, würde ich sagen.
In einem Interview hast du mal recht lange darüber gesprochen, wie sehr es dich freut, dass gerade so viele junge Fans dazustoßen. Fühlt sich das überhaupt wie eine Spätphase der Karriere an? Fühlst du dich wie ein Elder Statesman im Rapgeschäft?
Ach, nein! Ich sehe das gar nicht so als eine Sache des Alters. Für mich ist alles nur eine Spur, die ich hinter mir herziehe. Und klar, wenn du Kids von heute erzählst, du hast einen Song mit Tupac gemacht, dann bist du erst mal wirklich alt. (lacht) Aber die Kids mögen es. Die denken sich, damn – der hat einen Song mit Tupac, der hat einen Song mit Wayne, der hat Songs mit den ganzen Motherfuckern - weißt du, was ich meine? Keine Ahnung, ob die mich als einen Erwachsenen wahrnehmen, weil ich mich selbst definitiv nicht als erwachsen wahrnehme, so erwachsen ich auch sein mag. Ich meine, ich werde dieses Jahr 48, und trotzdem fühle ich mich, als wäre ich gerade so 23. Ich bewege mich so auf der Stage. Also, glaube ich zumindest, aber das musst du nachher beurteilen (Anm.: Tut er, in der Tat).
Die Leute draußen stehen dafür ja auch schon wieder Schlange.
Klar, die Leute werden gefühlt immer jünger und jünger. Es ist verrückt, ich bin alt genug, um der Vater von einer Menge dieser Leute zu sein. Weißt du, mein Sohn ist jetzt 25, ich bin ja fast jünger als er! (lacht)
Nimmt er das auch so war?
Yeah! Er kann nicht das machen, was ich tue. Ich will auf jeder Bühne stehen, ich will jede Achterbahn mitnehmen, jeden Vergnügungspark, und die Leute sollen am besten alle mit rein. Wie absurd, ich bin wirklich jünger als meine Kinder.
Wenn wir schon bei deinen Fans sind, die deine ganzen Texte kennen: Du hast inzwischen mit über zwanzig Alben einen so massiven Katalog – wie stellt man da überhaupt eine zufriedenstellende Setlist auf die Beine?
Das ist hart, das ist hart. Ich habe so viele Projekte, über 21, und dazu kommen noch die ganzen Kollaborationen und EPs. So viel Musik. Wenn ich eine Show vorbereite, dann muss ich wirklich meine ganzen Platten aus dem Regal ziehen, sie aus der Box auf meinem Tisch vor mir ausbreiten und jede einzelne durch die Hände gehen lassen. Da denke ich mir: Okay, du kommst aus jenem Jahr, was hast du mir heute anzubieten? Hiervon nehme ich das, hiervon nehme ich jenes. Vielleicht mache ich "Psycho Bitch", vielleicht nicht. Man muss das immer neu beurteilen. Und dann muss ich durch alle CDs gehen und alles einzeln ansehen. Aber mache Songs sind natürlich Staples. "Einstein" werde ich bis in alle Ewigkeit spielen. "Riot Maker". "Hood Go Crazy". Früher war an der Stelle immer "I'm A Player", aber die habe ich getauscht.
Bei so viel Musik – hast du eine gewisse Erwartung, wie die Fans sich damit beschäftigt haben?
Naja, da bin ich mir nicht so sicher. Es ist einfach unglaublich viel Musik. Und es gibt diese verrückten Leute, die wirklich alles benennen könnten, jede verdammte Zeile, und es wäre absurd, das von Leuten zu erwarten. Das macht dich zu keinem Technician. Weißt du, was ich meine? Für mich ist ein Technician jemand, der Tech N9ne-Musik liebt. Egal, ob man ganz früher an Bord war oder erst seit "Hood Go Crazy". Die OGs von damals werden manchmal wütend deswegen und regen sich auf, dass Leute nur diese ganz frischen Hits kennen. Aber dann denke ich mir immer: Na und? Besser spät als nie.
"Das sind heute doch alles Teufelsanbeter"
Eine Art kleines Gedankenexperiment: Angenommen, es ist wieder 2001 – aber dieses Mal entscheidest du dich, einen Major-Deal zu unterschreiben. Wo würdest du in diesem Leben landen?
(Überlegt) Ziemlich sicher watered down.
Wie würde Tech N9ne watered down überhaupt klingen?
Gute Frage, vielleicht ja wirklich wie alles, was du zurzeit so im Radio hörst? Keine Ahnung, Mann. Ist wirklich schwer, da Mutmaßungen anzustellen. Ich meine, ich habe mich zu der Zeit ja tatsächlich auch um einen Major-Deal bemüht, aber am Ende des Tages war ich eben doch der rothaarige, Bischofsroben tragende, im Gesicht bemalte The Doors-Fan, und das hätte ich sicher nicht abgelegt. Hätten die Leute verstanden, dass es dafür eine Sparte gibt ... aber die Majors hätten sich damals einfach nie im Leben darauf eingelassen, dass es eine Sparte für etwas so Verrücktes gibt.
Hätte ich also 2001 einen Major-Deal gehabt, dann wäre ich wohl wirklich an den Drogen verreckt. Damals ging es wirklich drunter und drüber. Ich war wirklich drauf. Was auch immer man mir gegeben hat. Gut, koksen konnte ich wegen Allergieproblemen nich,t und für Heroin waren mir die Nadeln zu suspekt. Vom Meth hab ich die Finger auch gelassen, ich habe meine Zähne ja noch. Aber alles andere, da habe ich mich nicht zurückgehalten. Hätte ich einen Major-Deal damals schon gehabt, dann wäre das wirklich komplett aus dem Ruder gelaufen. Ich bin froh, dass das nicht funktioniert hat. Dass wir unser eigenes Ding machen konnten, und die Dinge deswegen langsam angehen mussten.
Anfang 2000 gab es sicher auch keine wirkliche Mainstream-Sparte für Tech N9ne. Aber schau doch mal heute, schau auf die Trippie Redds, die XXXTentacions, die Lil Uzi Verts. Das sind doch eigentlich alles rothaarige Weirdos, die die Doors mögen.
Ja, sind sie! Sie tragen alle so ein kleines Spürchen von meinem Image damals in sich. Und das ist verrückt, denn ich war damals immer der Teufelsanbeter. Ich meine, den Facepaint macht noch niemand, aber bunte Haare sind ja wirklich universell. Das sind heute doch alles Teufelsanbeter! (lacht) Und ich habe XXXTentacion aufmerksam verfolgt, Trippie Redd und Lil Uzi Vert beobachte ich auch gerne. Auch 6ix9ine oder Lil Yachty, Young Thug. Ich sehe mir alles an und habe das Gefühl, dass ich es damals richtig gemacht habe, ich hatte einen guten Riecher, ich war vielleicht tatsächlich meiner Zeit nur ein wenig voraus.
Mein einziges Problem ist nur, dass ich schon das Gefühl habe – so gerne ich sie auch mag, das will ich wirklich betonen! - dass sie in Sachen Style und Sound schon ein wenig ähnlich klingen alle. Gut, für Tentacion stimmt das jetzt zum Beispiel nicht, gerade die etwas melodischere, neuere Musik fand ich spitze. Eine Menge Musik auf dem Radio klingt fast identisch, auch wenn man die Stimmen auseinanderhalten kann. Zum Beispiel merke ich – klar, das hier ist gerade Quavo. Oder Travis Scott, der hat eine verdammt markante Stimme. Der klingt sicher nicht wie Wayne oder T-Pain, auch wenn sie alle Autotune verwenden. Denzel Curry finde ich dope, Jesus. Ski Mask The Slump God hat Bars. Ich höre mir alles an und will immer die nächsten krassen Rapper finden, deswegen habe ich ja zum Beispiel auch den Song mit Token gemacht, "YouTube Rappers".
Ich würde mir nur wirklich wünschen, dass sich die Musik entwickeln kann. Und so picke ich auch meine Beats. Das kann dann gerade auf aktuelleren Sachen durchaus mal in Richtung Trap gehen, aber die Themen, die ich bearbeiten will, sind eben schon grundsätzlich andere. Auch wenn ich manchmal natürlich auch einfach nur Party mache will. Man muss nicht immer über die Welt reden. Da ist viel möglich, was man mit einem Trapbeat anstellen kann, Hauptsache, es ist einzigartig. Und das ist eine Mentalität, die ich mir von diesen jungen Trap-MCs vielleicht auch mehr wünschen würde.
Magst du vielleicht genauer erklären, was dir dieser Begriff der Entwicklung bedeutet? Wie entwickelt sich Rap optimalerweise und in welche Richtung? Ist es in deinen Augen die Competition, alles immer anspruchsvoller zu machen?
Für mich ist es einfach so: Mein Hirn lässt mich nicht nicht rappen. Ich habe es auf "Hood Go Crazy" mal probiert und habe bewusst ganz simpel angefangen. Aber dann, gegen Ende des Songs, ist schon wieder alles kompliziert geworden. Mein Hirn lässt mich nicht einfach im untersten Gang dümpeln. Und das ist ja auch das Ding an Tech N9ne: Ich will der Kerl sein, der einen Song mit Eminem machen kann, der einen Song mit Kendrick macht. Mit den Lyrikern. Mit Chino XL oder Crooked L. Und dann muss man halt ein bisschen was an den Start bringen, oder nicht? Ich gehe ab, wenn es Zeit abzugehen ist. Daher kommt der Name. Die komplette Raptechnik. Aber klar, andere Songs wie "Caribou Lou", da ist der Beat nicht nur für so etwas da. Aber auch da ist die Competition ein Gedanke. Ich will zeigen, was ich kann, und ich will mir den Arsch abrappen.
"Ich wollte schon mit Skrillex Musik machen"
Aber Musik entwickelt sich ja nicht nur durch Steigerung, oder? Als Punk in der Rockgeschichte aufkam, wurde das ganze Feld von spielfreudigen Psych- und Prog-Dudes von diesen Freaks abgelöst, die plötzlich wieder ganz simpel gespielt haben. Kann dieses von vorne Anfangen und Dinge neu aufbauen nicht auch seinen Sinn in der Evolution haben?
Das ist doch sowieso, was die Kids von heute einfach machen. Sie reißen manche Dinge ab und denken das ganze Genre neu. Die denken sogar ganz andere Sachen neu, die nehmen einfach jedes Genre in sich auf, das sie bekommen können. Da hörst du plötzlich auch so EDM-Geschichten in der Musik. Und geht man auf eine EDM-Show, dann siehst du auch diese ganzen verdammten Leute – und heute klopfen sie auch bei mir an, weil die Bewegung sich dann in beide Richtungen vollzieht. EDM-DJs kommen zu mir und wollen Verses, gerade habe ich erst einen an Dirt Monkey geschickt. Ich wollte mit Skrillex auch schon ewig Musik machen, A$AP Rocky war schneller als ich.
Demnächst will ich auch eine ganze EP mit einem EDM-Produzenten machen, den ich entdeckt habe. Es wird verdammt hart. Und ich denke diese Integration von Sounds das ist, was in Zukunft passieren wird. Sieh mal, sie sagen, dass "Old Town Road" der größte Song der Welt ist. Und dann weißt du doch schon, wo du stehst, oder? Das ist ein verdammter Country-Song mit Billy Ray Cyrus. Aber ich war schon immer da! Ich habe immer schon Musikrichtungen verbunden.
Wenn man darüber nachdenkt, hast du tatsächlich eine ganze Menge der Dinge, die gerade im Zeitgeist passieren schon in einer anderen Form vor zehn Jahren gemacht. Aber ist es nicht total schön zu sehen, dass Kids von heute mit Sachen davonkommen können, für die du dich damals noch rechtfertigen musstest?
Es macht mich ein kleines bisschen fertig. Neulich habe ich erst einen Post abgesetzt, in dem ich darüber gesprochen habe, dass Lil Uzi Vert ein umgedrehtes Kreuz an einer Kette getragen hat. Und ich habe gesagt - "Gottverdammte Scheiße, ein umgedrehtes Kreuz habe ich doch nie getragen, aber ich war der Teufelsanbeter?" Ich habe gefragt, was sich in der schwarzen Community verändert hat. Und der Post ist abgegangen, weil die Leute dachten, ich würde Uzi dissen. Aber ich liebe den Kerl, ich passe genau darauf auf, was er tut. Ich sehe ihn. Aber ich sehe auch, wie sich die Szene verändert hat und Sachen wie die $uicideboy$ heutzutage cool sind, so total finstere Sachen. Und ich war doch schon immer der König der Finsternis? Und ich wurde noch geschunden, dafür?
Man könnte sicher sagen, dass du damals schon ein Präzedenzfall dieser Ästhetik warst.
Klar. Und weißt du, ich bin nie jemand gewesen, der Hass auf die neue Generation schiebt. Es verändert sich alles ein wenig. Es könnte etwas vielfältiger klingen, aber es gibt auf jeden Fall einen Ort und eine Zeit dafür. Und ich bin ein riesiger Travis Scott-Fan. Ich liebe seine Beats. Ich will unbedingt einen Beat von ihm. Ich war extra im Backstage seiner Show, meine Frau und ich sind von Texas nach Arizona geflogen und haben ihn extra getroffen, als alle weg waren. Und ich wollte einen Beat, wir haben ein Foto gemacht, er meinte nur so "Yeah". Und ich meinte so "Yeah. Wirklich!". Es ist mir ernst! Ich bin den ganzen Weg von Kansas geflogen, und er hat nur gekichert. Für das "N9NA"-Album war das eigentlich geplant, aber da musste es schnell gehen. Und der Mann ist eben beschäftigt.
Ein neues Album ist aber schon geplant. Neunzehn Beats habe ich unabhängig davon schon, ich nenne es vermutlich "Enter Fear" (Anm.: Vom Wortlaut klingt es wie ein Wortspiel aus "Interfere" und "Enter Fear", aber schwer zu sagen, wie man es aufschreiben würde).
Das klingt spannend. Trotzdem gibt es Gegner und Fans davon, wie schnell du Musik releast. Wie gehst du mit der Kritik um, dass du zu viel Musik veröffentlichen würdest, wie zuletzt hier und da laut geworden ist?
Ich glaube, die Leute sind doch inzwischen an mich gewöhnt. Das ist mit mir wie mit Eminem. Die werden immer Scheiße reden, das ging von "Planet" bis "N9NA". Wir geben immer alles. Du hörst mich da jedes Mal rappen. Ich gehe ab. Und wenn jemand sagt, ich würde mich zu sehr beeilen, wenn ich doch nur versuche, in diesem übersättigten Markt relevant zu bleiben. Deshalb mache ich energisch weiter. Würdest du das zu meinem Geschäftspartner Travis sagen, würde er erwidern "ich will, dass der Kerl die Alben noch schneller macht".
Denn die Touren laufen - dabei sollte ich in meinem Alter ja gar nicht mehr im Game sein. Ich bin fast fünfzig und der größte Independent-Rapper der Welt. Die Leute sollten die Schnauze voll von Tech N9ne haben. Ich soll keine Shows ausverkaufen, keine 18.000 Tickets verkaufen an einem Tourstop. Um das tun zu können, muss ich weiter in den Augen oder Ohren der Fans bleiben. Und diese Motherfucker sagen, ich soll mir Zeit lassen? Ich nehme mir meine verdammte Zeit. Ich schreibe den ganzen Tag an denselben drei Verses. Und nach einer Woche komme ich nochmal darauf zurück. Aber ich habe eben auch einen Zeitplan, wie meine Platten fertig werden sollen. Und selbst, wenn ich den zugunsten der Qualität verzögere, sagen Fans manchmal noch, ich würde mich zu sehr beeilen.
Aber manche werden es nie verstehen. Nie verstehen, was es bedeutet, ein Tech N9ne-Album zu machen. Ich muss jedes Mal gegen mich selbst anstinken, jedes Mal noch eine kleine Schippe drauflegen. Und würde ich auch nur einen kleinen Millimeter ins Taumeln kommen, würden sie sich alle auf mich stürzen. Aber ihre Favoriten fanden halt zu besonderen Zeiten in ihren Leben statt, der neue Kram kommt ihnen dann zu bekannt vor. Aber niemand erwartet, dass jemand drei Jahrzehnte oben ist. Das ist abgefahren. Die Leute sehen das halt nicht. Und würde ich aufhören, würden sie mich vergessen.
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