laut.de-Kritik

Unterdrückte Gefühle für die Callcenter-Warteschleife..

Review von

Max und Joy haben als Duo neulich vorgelegt, da taucht überraschend einer der wenigen anderen Deutsch-Souler wieder auf, der seine Musikkarriere offiziell beendet hatte. Vielleicht war's doch nur der Vertrag, von dem Teesy sich löste. Lange jedenfalls hat er seine Auszeit nicht durchgehalten, seit "Kein Künstler". Der mittlerweile 34-jährige Berliner, der in Magdeburg studierte, scheint in jüngster Zeit zu viel The Killers und The 1975 gehört zu haben. Jetzt fährt auch er gleich zum Einstieg diesen '80er-Abklatsch-Schrammel-Sound auf, der sich in Kombi mit seiner Stimme leider öde, ranzig, abgestanden anfühlt.

Die Texte sind teils besser, teilweise schlechter, jedenfalls kantiger geworden. Zwischen der coming-of-age-Verpeiltheit Miwatas, der Film Noir-Ästhetik von Dagoberts Poesie und den philosophischen Abstraktionen rund um Freiheit und Sinn bei Jeremias, der 'schalt-mal-einen-Gang-zurück'-Verwunderung Maxims: Da sortieren sie sich in eine Nische ein.

Und technisch sind das zumindest am Anfang des Albums gute Verse: "Das Leben ist ein Rätsel und es testet dich / zeig ihm, wer du bist, und es öffnet sich / ein großes schwarzes Loch vor deinen Augen / es wird bewacht von Monstern, Schlangen / du stehst am Rand, bist blass vor Angst / wagst den Schritt nach vorn und denkst du fällst."

Dieses Spiel mit der Angst entbehrt aber der Nonchalance der zuvor Genannten. Vielleicht liegt genau darin eben Teesys neue Nische, sein Unique Selling Point. Andere Deutsch-Philosoph:innen verbinden die Angst regelmäßig mit der vor Egoismus, Rechtsextremismus, Dummheit - siehe Sarah Lesch, Mono und Nikitaman, Grönemeyer - bei Ami Warning war neulich die Angst vor Stress das Thema. Aber Teesy erklärt uns im Grunde etwas, das gar nicht an der Art liegt, wie wir hier in Deutschland leben, sondern am Leben überhaupt.

Vor ein paar Jahren erläuterte der Singer/Songwriter im Musikexpress, "meine Songs sind hochkomplexe Gebilde, die sich nicht einfach auf Klischees heruntertitulieren lassen (lacht). Das war ironisch. Vielleicht besingen wir einfach ungefiltert unsere jeweiligen Lebenssituationen, die höchst zufälligerweise verblüffende Parallelen zu handelsüblichen Midlife-Krisen haben." - Midlife-Crisis mit Anfang 30?! Was ist denn da kaputt? Die Atmosphäre der Platte weckt Erinnerungen an den Weltschmerz Naidoos, allerdings ohne das Tröstliche, das der gern mit lieferte ("Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen.") - Abgekämpft, paranoid, gebrochen, wie im Suff, klingt Teesys Stimme in "Wir Werden Ja Sehen". Im zweiten Track, "Sinfonie", steigert er die ernste Schwere ins Panische, macht aber gleich den dramaturgischen Fehler, eine ähnliche Bildersprache und Wortwahl jetzt fürs Verliebtsein zu verwenden.

"Ein Feuerwerk auf allen Frequenzen, doch, dass ich bescheuert werd' / kann nicht mehr de-enken, kann nicht mehr schlafen / ich lüg nicht / alles, weil du süß bist, Baby, ich glaub da war was im Frühstück. / Aber manchmal frag ich mich ernsthaft, warum du da bleibst und du mich gern hast. / Bist du Geheimagentin, die mich gleich abknallt und meine Leiche entsorgt im Abfall? (...) Ich glaub, ich bin paranoid - oder Hammer-verliebt!"

Okay, das ist klar getextet, jede:r wird verstehen, was gemeint ist und wie es sich anfühlt. Nur ist es auch ziemlich dadaistisch. Es ist der Versuch, Zeilen mit Silben voll zu quasseln, die unterm Strich egal sind und die Teesy höchstwahrscheinlich selbst nicht für voll nimmt. Dass sie uns kalt lassen werden, liegt zudem an der Gleichgültigkeit der Musik rundherum, die an der aufgeregten Sprache komplett vorbei läuft. Sie spuckt ziellos undefinierbare Drum-Programming-Loops aus wie ein außer Kontrolle geratener Rasensprenger, der sich dauernd um sich selbst dreht, an einem Spot einen Riesen-Sumpf eröffnet und rundherum alles verdorren lässt.

Dieser unkontrollierte Loop-Lärm befolgt keine Harmonielehre, sondern nur einen semi-konsequent eingehaltenen Schlabber-Rhythmus und wahllose Noten, die sich verstimmt und teilweise gnadenlos dilettantisch anhören. Reden wir nicht drum herum: Das kann kein Mensch, der mit irgendeinem Tonleiter-System dieses Planeten sozialisiert ist, schön oder ästhetisch oder richtig finden. Zusammen gefasst wirkt das alles, als würde Henning Wehland nach einem nicht bestandenen Schreib-Workshop bei Sven Regener aus Trotz im Falsett erkältet algerischen Rai singen und dabei die Noten auf seinem Blatt rückwärts anschlagen.

In "3 Sekunden" kehrt der Trip Hop-Soul in ähnlich fragwürdigen Dissonanz-Akkord-Folgen und ähnlich zweifelhaft einer Gesangstechnik zwischen Röcheln und Kastrat zurück. Gegen den allgemeinen Schlagwort-Diskurs über 'toxische' Partnerschaften betreibt Teesys ich-Protagonist Opfer-Schelte und meint dreist, ohne es näher zu begründen "dazu gehör'n immer zwei." - Das hat ungefähr das Niveau von Nancy Faeser, wenn sie sagt, "das muss sich jeder selbst überlegen", ob man Weihnachtsmärkte unter Sicherheitsaspekten noch besucht. Ja, jeder, der aus dem Haus geht, kann überfahren werden, und jeder, der eine Beziehung eingeht, kann selber Schuld sein, dass er/sie es tut und dann auf Gaslighting, Gewalt oder Manipulation herein fällt. Soll Soulmusik hingegen nicht die Menschen erheben, statt dieser flachen 'jeder-ist-seines-Glückes-Schmied'-Rhetorik?

Teesy hat Deutsch auf Lehramt studiert, also wie man Jugendlichen beibringt, Literatur zu interpretieren und sich geordnet auszudrücken. Ich frage mich, was eine Schulklasse heute sagen würde, wenn sie "3 Sekunden" als Gedicht zum Analysieren vorgelegt bekäme und was er selber in der Rolle des Deutschlehrers dazu meinen würde. Immerhin geht es im Lied um ein weit verbreitetes Phänomen, sich beim Kennenlernen nicht öffnen zu können oder zu wollen und in Beziehungen quasi als zwei Fremde hinein zu schlittern, zwischen denen hier - laut Teesy - "eine Nuklearexplosion" stattfindet.

Das 16-malige Repetieren der Zeile "Gib nicht auf" in der verwaschenen Pseudo-Gospel-Kammerpop-Ballade "Gib Nicht Auf" macht das Album keinen Deut glaubwürdiger. Und solch ein Statement wie das hier muntert nicht gerade auf und sorgt für kein "Warmes Herz": "Die Welt ist verrückt und wir sind eh gefickt / so, warum es nicht gleich beenden?!"

"Alle auf dieser Party ziehen 'ne Tonne Koks / ich bin zum ersten Mal nicht dabei", platzt es aus dem einst über Marteria, die Orsons und Cro ins Pop-Biz gerutschten Poeten heraus. So fängt die Single "Interstellar" an. Je länger ich dem Album versuche, eine Chance zu geben, desto mehr merke ich, dass ich dafür zu langweilig bin. Ich kann damit nichts anfangen, meine Lebenswelt ist eine andere, ich kapituliere vor diesem Gesülze. Und das liegt nicht an etwas, das man rein situativ festmachen könnte, also zum Beispiel wie bei Eko Freshs stolzer-Papa-stolzer-Erwachsener-Platte, dass sie z.B. Interesse für dieses übersteigerte Vaterglück einfordert, um am Lebensgefühl seines Albums zu partizipieren ("Dein gutes Herz ist von Mama / die kleinen Macken von mir"). Oder wie bei Juju, dass man wohl ein Minimum an Berliner Blickwinkel für manche ihrer Texte braucht. Sondern es liegt daran, dass diese Platte den Hörer rücksichtslos mit Befindlichkeiten zu reihert, ohne dass irgendwann mal ein Take-away-Effekt eintreten würde.

"Es scheint, als wär ich grade verlor'n / meine Richtung bleibt gleich, denn ich hab mir das hier geschwor'n", diese Hook sagt alles. Das Geheule in "Lass Mich Los" macht es nicht besser, bei "Liebe = Krieg" bleibt vom Rhythmus nur der schauderliche slelettöse Folktronic-Beat übrig. Der ist zwar sowieso Ramsch, aber besonders überflüssig, wenn sich alles andere in wildem Freestyle ohne Taktmaß erschöpft.

Für "Meile" stellt ihr euch am besten den allerschlechtesten Song vor, den die Lighthouse Family je gemacht hat (wobei die auch viel Gutes hatten), und imaginiert dazu, irgendein Castingshow-Teilnehmer, der meint, er habe so viel Soul wie Stevie Wonder, singe darauf einen von Johannes Oerding verfassten Text. Der Promo-Text entschuldigt, Teesy reise "durch seine Innenwelt, trifft längst vergessene Anteile, navigiert durch Wellen unterdrückter Gefühle und begegnet alten Mustern". - Naja, eventuell hat da draußen jemand Bedarf daran. Alben mit dieser Intention könnten wir euch jeden Tag hier 15 Stück rezensieren. Doch die Frage ist, ob eine solche Innenwelt-Reise gut vorbereitet ist oder eine chaotische Irrfahrt ohne Sightseeing-Punkte, arm an Abenteuer, wo keine schönen Landschaften und keine interessanten Aktivitäten vorkommen und der Erkenntnisgewinn bei null liegt.

Teesy ist ein sympathischer Typ, jedenfalls ging es mir so, ich fand ihn unaufgesetzt, gesprächig, natürlich, nett, einen Musikliebhaber. Davon konnte ich mich ausgiebig vor Jahren überzeugen. Mit sowas Unausgegorenem war jetzt nicht zu rechnen - betrachtet man, dass der Künstler aus Business-Zwängen ausbrach und nun sein eigener Herr und Meister wurde. "33" ist aber, wenn man an Musik einen höheren Anspruch stellt als an Callcenter-Warteschleifen, ein unsympathisches Werk. Lyrisch weinerlich, gesangsmäßig katastrophal, produktionstechnisch teils ein Graus, teils eine Frechheit, musikalisch von allen guten Geistern verlassen, thematisch nicht nachvollziehbar, spricht alles gegen das Album. Somit fehlt jetzt folgerichtig noch die Teilnahme an "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert, Staffel 12". In der letzten Staffel war bereits ein Song mit Teesy-Credits dabei, Tim Bendzkos "Hoch" in der Coverversion von Joy Denalane. Mit der geballten Larmoyanz von "33" qualifiziert sich der nächste Cover-Kandidat.

Trackliste

  1. 1. Wir Werden Ja Sehen
  2. 2. Sinfonie
  3. 3. 3 Sekunden
  4. 4. Interstellar
  5. 5. Lass Mich Los
  6. 6. Liebe = Krieg
  7. 7. Meile
  8. 8. Drachen Im Wind
  9. 9. Warmes Herz
  10. 10. Gib Nicht Auf

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