laut.de-Kritik
Warum nicht gleich die Originale auflegen?
Review von Philipp Kause"Der Himmel schlägt durchs Meer", und die Heldin des Liedes "That's Where She Belongs" steht in der Sonne, singen The Coral. Auf "Sea Of Mirrors" dreht sich wie auf dem Vorgänger "Coral Island" alles um die Natur: Das Setting der Texte, die folkig-analoge Instrumentierung mit dem Holz omnipräsenter Streicher. Ob man das neue als elftes oder zwölftes Album zählen mag, da geben die Herren von der Küste vor Liverpool nichts vor. Wohl aber platzieren sie eine konkurrierende Platte am selben Tag, Betonung auf Platte: Die zweite erscheint ausschließlich physisch.
In der Fülle des Materials fällt erst mal enttäuschend auf, wie repetitiv und monoton manche Nummern sind, zum Beispiel "Wild Bird". Das Verspielte, um nicht zu sagen Verspulte des erwähnten Vorgängers weicht der Geradlinigkeit und teils Fantasielosigkeit in der Gestaltung. Nummern wie "North Wind" sind netter, harmonischer Folkpop, wie man ihn seit 60 Jahren im anglophonen Raum macht. Ein instrumentales Zwischenstück lockert da regelrecht auf, auch wenn's nur ein Fragment wie "Eleanor" ist. Handwerklich spielen die Engländer indes reichlich erhaben und integrieren ihr Streicher-Ensemble mit leichtfüßiger Eleganz. Dirigent über die Strings ist Sean von den High Llamas.
Die druckvoll untermauerten Akustikgitarren zeichnen Spiralformen in den Himmel, den James Skelly aufbauschend besingt: "The sun's above the houses ..." Bruder Ian trommelt straight forward mit einer Prise Powerpop. "A summer girl, she's in the street", heißt es frei assoziativ, was immer ein "summer girl" genau sein soll - eine Sommerbekanntschaft, ein leicht bekleidetes Mädchen, eine Fantasie-Erscheinung oder eine Studentin, die nur in den Ferien bei ihrer Oma zu Besuch ist und dann verschwindet? "She drifts through the entries / To where the sky bleeds to the sea" - oha, das mag übersetzen, wer sich LSD eingeworfen hat. Feines Geigen-Pizzicato schlingt sich um die Rock-Akkorde und wird gegen Ende von "That's Where She Belongs" selbst zum Western-Soundtrack mit dazwischen gerammten Lassoschlag-Bässen. Da beschreiten die Coral einen etwas ähnlichen Weg wie Waldeck, oder wie Get Well Soon einst auf "The Scarlet Beast O'Seven Heads.
Der Move mit den Rodeo-Geigen, Surf-Gitarren und den zusammenhanglos impressionistischen Christian Morgenstern-artigen Texten wiederholt sich in den meisten neuen Coral-Stücken. So sehr, dass man spätestens, wenn man bei "Dream River" ankommt, das Gefühl hat, jedes Lied sei eine Alternativ-Version des vorangehenden. In "Cycles Of The Seasons" gerät die Western-Westcoast-Connection noch viel deutlicher, massiver. Denn der Drummer reitet da Galopp, die Harmonien machen sehr auf Beach Boys, ohne dass freilich James Skellys jungenhafte, trockene und im Lautwerden mehr stumpf als saftig klingende Stimme dabei Schritt halten könnte. Am Ende bleibt eine eingängige Hookline, in einem allzu bemühten Konstrukt.
"Faraway Worlds" stolziert da schon entspannter durch die Hippie-Landschaft und träumt sich erfolgreich dank retardierender Momente mit atmendem Gitarren-Kurzsolo in die Ferne. "Distant ships drift on the horizon": So ein simples wie starkes Bild würden sich manche Songwriter nicht mal trauen zu benutzen, weil es so abgegriffen ist, aber es ist natürlich jedem vertraut, der irgendwann mal am Meer oder an einem See Urlaub gemacht hat. Die meisten Menschen verbinden damit etwas Positives: Freiheit, Gedankenverlorenheit, Entspannung, Weite, frische Fische oder einfach, sich treiben zu lassen. Zweifellos ein schönes Lied, wenn auch hochgradig kitschig.
Wo die Stories nur statische Gemälde darstellen, würde man von der Musik insgesamt mehr erwarten, denn die musikalische Ausgestaltung ist die Existenzberechtigung für die Texte. In "Child Of The Moon" lernen wir, dass die Nacht dunkel sei, na, sieh an. Ein anderer Zufallstext dieser Sorte ist der Titelsong: "No help can be found / when the world sinks to the ground / We sail along the chaos of our hearts." So viel gruselige Metaphern-Vergewaltigung kennt man sonst von Johannes Oerding. Was The Coral dazu mit lieblichen Paarungen aus Violine und Gitarre anschleppen, ist ganz nett und dank der brillanten Sound-Tiefe selbst im MP3 noch ein Event für die Ohren, aber nichts, was man jetzt hunderte Male hören würde. Dazu steckt dann doch zu überbetont die Barock-Pop-Zeitreise drin, und warum sollte man dann nicht gleich die Originale auflegen? Von Love zum Beispiel.
An Johnny Echols erinnerte sich die Band so intensiv, dass sie den Gitarristen der Kultband zum Einlesen einer Geschichte einspannte. Den Bonustrack "Mare Di Specchi" gibt es allerdings nur als extra verschwendendes Plastik auf einer blauen Flexi-Disc, die ausschließlich das Rough-Trade-Portal als Limited Edition zusammen mit dem Album verkauft. Also 40 Kilogramm Extra-Plastik nur für einen Gitarristen, der ein paar Minuten lang was vorliest? Liebe The Coral, das könnt ihr der Oma von eurem ominösen "summer girl" verkaufen, aber nicht Luisa Neubauer.
1 Kommentar mit einer Antwort
Waren schon immer überflüssig.
Nicht ganz, das erste Album war sehr gut. Der Rest kann aber weg, stimmt.