12. Mai 2005
"Drogen ruinieren gute Bands!"
Interview geführt von Jasmin LützSie sind gerade aus England mit dem Tourbus angereist und sind offensichtlich noch sehr müde und schlapp. Am selben Abend spielen sie ihr erstes Deutschlandkonzert zur neuen Platte "The Invisible Invasion". Von den großen Live-Qualitäten der sehr jungen Herren dürfen sich die beiden laut.de-Redakteure später auch noch ein Bild machen. Das Gespräch mit den beiden sympathischen Merseyside-Jungs entpuppte sich als ebenfalls locker und sehr unterhaltsam. Keine Spur vom großen Insel-Medienhype, dafür typische sarkastische Antworten mit gewöhnungsbedürftigen Akzent, der so unglaublich sexy klingt. Nach dem Mr. Greco völlig begeistert die heimische Kegelbahn (unter Engländern auch als Kugelbahn bekannt) in der Urkneipe entdeckte und es nicht glauben konnte, dass es in Deutschland üblich ist, nur eine Bahn zu haben, gab es ne echt kölsche Kaffeebrüh für die müden Engländer, die sogar jeden Siebenschläfer geweckt hätte, und die erste beliebte Standardfrage:
Was war eure erste Liebe?
P: Was? Ehrlich?
Ja, ehrlich!
I: Was war? ... oder eher wer war?
P: Was war oder wer war! Ok ... (lange Pause)
Es muss nicht unbedingt ein Person sein.
I: Ja, ich weiß ... ich hatte ein Paar Schuhe von "Clarks", die mit den Dinosaurier-Motiv auf der Sohle ...
Ah, interessant. Gibt es noch "Clarks"?
P+I: (zusammen) Oh Ja!
P: Sie sind im Moment sehr hipp. "Clarks" gehören jetzt zur Haute Couture.
Sie hatten früher auch immer diese fantastischen Messmaschinen. Gibt es die auch noch?
I: Oh ja. Das war immer das Beste, wenn man in den Laden ging. Sehr entspannend! Ich habe immer meine schönsten Socken angezogen, bin dann zu "Clarks" und habe dort erst mal meine Füße gemessen.
Wie sind wir jetzt eigentlich zu "Clarks" gekommen? Die Anfangsfrage lautete doch: was war eure erste Liebe?
I: Meine Füße messen, als ich ganz jung war (lacht).
(zu Paul) und deine erste Liebe?
P: Wahrscheinlich das selbe. Das war unsere Generation. Ich weiß' nicht genau.
I: Du mochtest doch so gerne die Pappschachteln?!
P: Du hast Recht. Ich mochte sehr gerne Pappschachteln!
I: Paul war verliebt in Pappschachteln. Er war sehr oft in Supermärkten, um dort alle Schachteln zu sammeln, um vielleicht in diesen auch später zu leben. Er war ja damals sehr klein. Ich hatte auch eine Pappschachtel. Ich habe sie als Zimmer umfunktioniert. Ich konnte mir die Dinge ja damals nicht leisten.
Hier in Deutschland gibt es sehr gute Pappschachteln. Umzugskartons zum Beispiel. Sie sind sehr praktisch. Deutschland ist ein gutes Kartonland!
Ok. Welche Rolle spielt die Liebe in eurem Leben?
I: Ich suche sie noch.
P: Jawohl!
I: Sie war für kurze Zeit da, dann wieder weg, ganz schnell! Liebe ist nicht so wichtig für uns. Wir hassen Frauen.
Ah, wirklich?
I: Oh ja!
Und warum?
(Der weibliche Interviewpart hat schon verstanden, dass hier mal wieder der beliebte englische Humor emporsteigt)
I: Sie zerstören und unterdrücken Männer!
I+P: (jetzt zusammen) Nein, wir machen nur Witze.
P: Ich war noch nicht sehr lange in jemanden verliebt, deshalb kann ich dazu jetzt nichts sagen. Ich habe nicht so viel Erfahrung in Sachen Liebe.
Aber wenn ihr nicht so viele Probleme mit Frauen hättet, dann könnt ihr nicht so viele gute Lieder schreiben, oder?
P: Liebe ist eine schwierige Sache. Man kann sie nicht verstehen. Liebe ist Liebe. Bitte schreib' das nicht, was ich gerade gesagt habe.
I: Liebe ist immer gleich. Sie kommt und sie geht!
Gibt es eine Verbindung zwischen Liebe und Liverpool?
P: Ungefähr zwanzig Minuten mit der Bahn.
I: Fußball! Liverpool FC.
P: Liverpool ist bloß eine großartige Stadt.
I: Ich liebe Liverpool, und das ist alles. Wenn man weiß, was Liebe ist, dann kann man das verstehen. Das ist die Verbindung.
Es gibt dieses Zitat aus einem Musikmagazin, The Coral wollten, dass ihr neues Album "The Invisible Invasion" so gut sei wie "Forever Changes" von Arthur Lees Band Love. Stimmt das?
I: Nein, besser als "Forever Changes"!
Also gibt es wohl eher eine Verbindung zwischen der Band Love und Liverpool. Viele Musiker aus Liverpool haben großen Respekt vor Arthur Lee?!
I: Liverpool liebt Arthur Lee.
P: Und er liebt Liverpool.
Seit den späten 70ern hatte die Liverpool-Szene immer etwas Psychedelisches, mit Bands wie Echo And The Bunnymen und Teardrop Explodes mit dem Sänger Julian Cope. War das eine gewisse Wertschätzung gegenüber der Musik aus den 60er Jahren? Oder hat das irgendwas mit dem Humor von den Liverpool-Leuten (Liverpudlians) zu tun?
P: Liverpudlians mögen gute Songs. Wir wissen gute Musik zu schätzen. Verschiedene Orte haben andere Geschmäcker. Manchester zum Beispiel hat einen ganz anderen Musikgeschmack im Vergleich zu Liverpool. Aber alle haben sie Respekt für das, was es früher gab.
Wie ist die Liverpool-Szene heute?
i: Da gibt es immer noch gute Bands.
P: Ich war schon so lange nicht mehr dort.
I: Stimmt, wir waren immer so beschäftigt, ständig auf Tour. Wir haben einen Proberaum in der Nähe unserer Wohnungen. Wir gehen direkt von zu Hause in den Proberaum, um Lieder zu schreiben und aufzunehmen.
Es gibt viele Bands in Liverpool. Wenn man an einem Samstagabend in eine Kneipe geht, spielt dort mindestens eine gute Band. Viele Bands aus Manchester und Schottland spielen heutzutage in Liverpool, wegen Deltasonic, dem Platten-Label. Deltasonic ist nicht nur ein Label für Liverpooler Bands. Da versammeln sich viele verschiedene Gruppen aus ganz Großbritannien.
P: Durch die kleinen Veranstalter in Liverpool hat der Nachwuchs sehr gute Chancen.
I: Und es gibt dort sehr viele Proberäume.
P: Und alle möchten einander helfen. Das hat mit den Beatles zu tun. Alle sind so stolz, dass die Beatles aus Liverpool kamen.
Aber so gegen Ende der 80er Jahre war die Liverpool-Szene fast tot ...
P: Stimmt. Da war gar nichts. Eine ganz schlechte Zeit.
Es gab keine Beziehung zwischen den Bands. Jetzt gibt es dort eine gesunde Szene. Jeder hilft jedem. Seit den 90ern gibt es Bands wie The Coral, The Bandits und The Zutons, da gibt's neue Zusammenhänge. Früher gab es auch die sogenannten "Bandwagon"-Abende, bei denen sich verschiedene Bands aus der Stadt zu einer Session trafen. Gibt es die noch?
P: Nein, leider nicht. Die Kneipe gibt's noch, aber alle Bands machen mittlerweile ihr eigenes Ding. Das war schon eine tolle Sache damals.
Ohne die es euch und andere Bands heute nicht geben würde?
I+P (zusammen): Vielleicht.
P: Die Musikszene in Nordengland bewegt sich zwischen den Städten. Nach der Liverpool-Szene in den 80er Jahren wachte die Szene in Manchester auf. Mit den Stone Roses, Happy Mondays und dem Hacienda Club. Es bewegt sich immer weiter. Vielleicht wird Manchester das Zentrum einer neuen Szene? In Südengland ist es anders. Die haben ihre eigene Szene.
Aber für ihre Inspirationen schauen sie Richtung Norden. Nach dem nordischen "Madchester" und "Baggy" kam in London die Band Northside.
I: Northside mit dem Apfel auf dem Cover.
P: Ah ja! Ian Broudie von The Lightning Seeds hat sie produziert.
Ihr habt auch mit Ian Broudie gearbeitet. Könnt ihr darüber ein bisschen erzählen, wie das zustande kam?
I: Ah Broudie! Habt ihr seine neue Platte gehört? Die ist sehr gut.
P: Er hat uns am Anfang geholfen. Er hat Deltasonic angerufen und gesagt, dass er uns aufnehmen will. Er hat drei Platten mit uns produziert. Aber dieses Mal haben wir jemand neues ausprobiert. Wir haben Broudie eine Pause gegeben.
I: Somit konnte er sich voll und ganz auf seine eigene Platte konzentrieren.
Broudie hat ja sehr nett über euch gesprochen. Er hat gesagt, dass euer Sound großartig ist: "The elder statesman of Indie-pop had given you his seal of approval".
S+P (zusammen): Danke
Wie habt ihr Alan Wills (Deltasonic Label Chef) getroffen?
I: Wir haben ihn vor vier oder fünf Jahren getroffen.
P: Vielleicht ist das sogar noch länger her?
I: Damals als wir angefangen haben...
P: Als ich 17 war, also vor sechs Jahren.
I: Wir waren in einem Proberaum in Liverpool. Er hat uns gesehen, als wir Pool gespielt haben. Er hat gesagt: "Die sehen wie eine coole Band aus." Danach haben wir eine halbe Stunde lang über rumänische Filme gesprochen. Er hat uns fast zu Tode gelangweilt. Und wir haben gedacht, er ist ok. Dann hat er mit uns das Label Deltasonic gegründet. Damit fing alles an. Am Ende war es besser für ihn, als für uns. Wir sehen ihn nur noch sehr selten.
P: Ja, er ist sehr beschäftigt.
Und was ist mit euren Label-Kollegen, The Zutons?
P: Sie sind auch sehr beschäftigt. Sie sind immer auf Tour. Letztendlich ist es für alle gut. Alan hat Erfolg, und das war sein Plan.
I: Wir haben uns ein bisschen von dem Ganzen gelöst.
Habt ihr das Gefühl, dass er euch benutzt hat?
I: Nein, überhaupt nicht. Wir haben jetzt halt unseren eigenen Weg gefunden. Am Anfang war nur er da. Er hat uns gemocht und wollte mit uns was machen. Damals waren wir die einzige Band, die Doo-Wop gesungen hat. Dass sich jemand dafür interessiert hat, war unglaublich.
P: Wir haben unsere Band nicht nur des Erfolges wegen gegründet. Es ging uns nicht um einen fetten Vertrag. Wir sind aus Langweile zusammen gekommen. Weil wir nicht wussten, was wir sonst tun sollten, haben wir Gitarre gespielt.
I: Wir hatten nie große Pläne.
P: Als Alan uns gefragt hat, haben wir gedacht, o.k., lass uns das machen. Und jetzt sind wir hier. Sechs Jahre später.
I: Wir wollen einfach nur mehr und mehr Platten machen.
Was würdet ihr machen, wenn ihr nicht in dieser Band spielen würdet?
P: Ich habe absolut keine Ahnung.
I: Vielleicht in einer anderen Band spielen?
P: (lacht) Ja, vielleicht, irgendwas musikalisches.
I: Ich wäre wahrscheinlich ein Klempner.
P: Ich wäre wohl dieser Typ hinter der Bar.
I: Oh ja, der wäre ich auch gerne. Der hat alles im Griff!
Spielt Fußball eine große Rolle in eurem Leben?
P: Nicht unbedingt in meinem Leben, aber für manche in der Band ist Fußball sehr wichtig, denke ich.
I: Worum geht's?
P: Spielt Fußball eine große Rolle in deinem Leben?
I: In dieser Band? Ganz bestimmt!
P: Ich glaube schon, dass John, Lee, James und Nick leidenschaftliche Fußballfans sind.
Liverpool oder Everton?
P: Bill, der Gitarrist, ist ein begeisterte Everton-Fan.
I: Alle außer Bill sind für Liverpool.
Dann guckt ihr euch bestimmt auch das Europacup-Endspiel am 25.05. gegen Mailand an?
P: Die anderen haben sich schon Tickets gekauft und schauen sich das Spiel live an.
I: Ich konnte mir das leider nicht mehr leisten. Ich war mit meiner Freundin im Urlaub und hatte schon die Flugtickets gezahlt. Jetzt bin ich pleite. Ich würde auch sehr gerne nach Istanbul fliegen und das Spiel mit den anderen von der Box aus verfolgen.
P: Ja, würde ich auch ganz gerne machen. Das macht bestimmt besonders viel Spaß.
Hat Liverpool gute Chancen zu gewonnen?
I: Ja, gute.
P: Auf jeden Fall. Sie haben gegen Juventus gewonnen, eine der besten Mannschaften in Europa.
So genug Fußball! Gibt es eigentlich auch Frauen-Bands in der Liverpool-Szene?
I: Ja! Zum Beispiel The Little Flames. Die Sängerin ist ein Mädchen, und sie sind sehr gut. Sie sind auch auf dem Deltasonic-Label.
Könnt ihr bitte erklären, was "Cosmic Scouser" ist?
I: "Cosmic Scouser" ist ein Ausdruck für Bands, die aus Liverpool kommen. Ein "Scouser" ist irgendjemand aus Liverpool.
P: Die Presse benutzen diesen Ausdruck für Liverpool-Bands, die nicht so Mainstream sind. Deswegen auch "Cosmic".
I: Entweder sagen sie "blöde Scouser-Bastarde" oder eben "Cosmic-Scouser".
P: Beide Ausdrücke sind beleidigend. Presseleute sind einfach zu faul und benutzen einfache Klischees.
I: Die Presse hat uns Liverpudlians schon immer von oben herab betrachtet. "Blöde kleine Scousers!"
Was für einen Einfluss haben psychedelische Drogen in eurer Musik?
I: Die gibt es nicht mehr.
P: Ich habe vor vielen Jahren einmal LSD probiert. Aber das war, bevor wir die erste Platte aufgenommen haben.
I: Wir haben manchmal einige ausprobiert. Aber wir sprechen nicht gerne darüber. Wir sind keine Drogen-Band. Ich denke, alle Drogen sind langweilig. Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Am Anfang ist es o.k. und dann immer nur langweilig.
Jugendsünde?
P: Ja, wir alle waren noch sehr jung. Wir hatten anfangs unseren Spaß damit, aber danach ...
I: Heute sind wir konzentrierter.
Welche Einflüsse habt ihr denn, um eure Songs zu schreiben?
I+P (zusammen): Filme und andere Musik.
I: Platten von anderen Bands. Die Erfahrungen von Bands aus der Vergangenheit. Drogenkonsum ist nur schizophren. Zum Beispiel die ersten Stücke von Syd Barrett (Gründer von Pink Floyd), die hat er während seiner LSD-Trips geschrieben. Danach war er im Arsch. Er hatte einen psychischen Zusammenbruch. Drogen ruinieren gute Bands. Der Unterschied zwischen einem Musiker und einem Drogensüchtigen ist manchmal ganz klein. Wenn Musiker mal ein wenig mit Drogen experimentieren wollen, dann ok. Aber da gibt's viele Leute mit Drogenproblemen, die denken, sie können Songs schreiben und in einer Band spielen.
P: Das Problem ist, zu viele Leute denken, dass Drogen dabei helfen, gute Songs zu schreiben. Aber die helfen überhaupt nicht.
I: Das ist ein sehr einfacher Weg. Um gute Songs zu schreiben, sollte man lieber mehr Bücher lessen, als Drogen nehmen.
Was für Bücher liest du?
I: Zum Beispiel H.P.Lovecraft. Außerdem gucken wir gerne Samuraifilme und Hitchcock.
Wie war die Zusammenarbeit mit Geoff Barrow und Adrian Utley von Portishead?
I: Es war ganz entspannend, mit ihnen zu arbeiten.
Aber sie sind Perfektionisten?!
P: Einige Leute hatten Bedenken, weil Portishead viele Samples benutzen und wir eine richtige Band sind. Wir wussten schon genau, wie unsere Platte klingen sollte. Geoff war sehr konzentriert und hat sich genau auf unseren Sound eingelassen. Sie haben sehr viel Erfahrungen und so einige Tricks drauf.
I: Es ist ein bisschen wie Kunst. Wir haben das bestimmte Bild im Kopf, das schon gemalt wurde und an der Wand hängt. Die Produzenten geben dem Kunstwerk dann noch den passenden Rahmen, und dann ist es komplett. Manche Bands laden erfahrene Produzenten ein, um für sie auch die richtige Farbe auszuwählen. Dazu gehören wir nicht. Dafür sind uns unsere Stücke zu wertvoll.
P: Viele Bands machen ihre eigenen Produktionen, zum Beispiel Portishead oder Beastie Boys.
I: Wir haben ein ganzes Haus im Lake District für zwei Wochen gemietet. Dort haben wir alle unsere Songs geschrieben und arrangiert, bevor wir ins Studio gingen. Die Platte war also so gut wie fertig. Wir mussten nur unsere Instrumente aufbauen und dann das Album live einspielen.
P: Es war gut, mit Adrian Utley aufzunehmen weil er viel gutes technisches Equipment besitzt. Er selbst ist ja auch ein großartiger Gitarrist, und da hat er viele fantastische Fußpedale mitgebracht.
Würdet ihr mit ihnen noch mal aufnehmen?
P: Das ist nicht so sicher im Moment. Ich denke, wir könnten uns das nächste Mal selbst produzieren.
I: Ja! Wir würden die nächste Platte sehr gerne selbst aufnehmen.
P: Natürlich hätten wir einen Studiotechniker dabei. Aber wir haben mittlerweile genug Erfahrung, um uns selbst zu produzieren.
Na, dann freuen wir uns schon mal auf die nächste Platte.
S+P (zusammen): Wir uns auch.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß heute Abend.
S+P (zusammen): Danke. Cheers.
Das Interview führte Jasmin Lütz
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