Porträt

laut.de-Biographie

The Ironfist

Entführt, vergewaltigt, ermordet. Das Opfer heißt Hip Hop. Höchste Zeit, Rache zu üben. Reach Da Reapa und MC Gambit fühlen sich zur Vendetta berufen und bereit. 2013 kracht ihre eiserne Faust in die Rap-Szene.

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Die Rapper von heute: Sie nähen und malen wie Farid und Kollegah, machen Halligalli wie Sido und Cro, sie hampeln, prügeln - oder sie gehen pleite wie Pelhams Abmahnfirma.

"Wenn ich in meinen Tracks sauer und angepisst wirke, könnte es daran liegen, dass ich es bin", macht Reach Da Reapa im Interview mit Underground United seinem Ärger Luft. "Majorlabels töten Hip Hop schleichend, seit sie draufgekommen sind, dass sich Kohle damit machen lässt, wenn ein Rapper einen Vers auf einen R'n'B-Track droppt."

"Über die Jahre hat das alles so weit verwässert, dass 'Hip Hop' inzwischen benutzt wird, um Pop-Acts wie Rihanna und Beyoncé zu beschreiben", redet er sich in Rage - und hat Recht damit. "Traurigerweise sind es die echten Underground-Hip Hop-Künstler, die darunter leiden, wenn selbsternannte Rap-Legenden Make-Up auflegen und sich aufbrezeln, um der "X Factor"- und "Glee"-Generation ihren Plastik-Pop-Rap zu servieren."

Mit derlei Machenschaften hat Reach Da Reapa nichts zu tun. Der Brite startet seinen musikalischen Werdegang 1983 in elektronischen Gefilden. Mit der sich stetig weiterentwickelnden Szene erwacht sein Interesse an Hip Hop. 1986 beginnt er, eigene Texte zu schreiben und zu rappen. Wenig später kommen DJing und erste Produktionen dazu. Sein Veröffentlichungs-Debüt erlebt er 1991.

"1996 ist mir die ganze Crew-Politik und die Hinterhältigkeit in der britischen Szene sowas von auf den Sack gegangen, dass ich entschlossen habe, die Musik vollständig an den Nagel zu hängen", erklärt er sein Verschwinden von der Bildfläche.

Ende der 90er gehts allerdings doch weiter. Reach gründet zusammen mit seinem MC-Kollegen Bo und DJ Tones die Crew Manslaughter 666: der Beginn einer wechselhaften Geschichte. Kaum gegründet, löset sich die Truppe schon wieder auf, findet aber kurz danach unter dem Namen Drunken Eejit wieder zusammen.

"Wenn du besoffen bist, verlierst du alle Hemmungen, dir ist egal, was du sagst oder tust, und die Konsequenzen deiner Handlungen, egal wie mies oder dämlich sie auch sein mögen, kümmern dich einen Scheiß. Genau darum geht es bei Drunken Eejit." Eejit, übrigens, eine irische Slangvokabel für einen kompletten Idioten. Die schwer missverständliche Botschaft an die Kritiker: "If you don't fuckin' like it then don't fuckin' listen."

Weil er nicht live auftreten will und auch sonst andere Prioritäten setzt, steigt das dritte Drunken Eejit-Mitglied Bo bald wieder aus. Hideouz ersetzt ihn für eine Weile, ehe auch er sienen Hut nimmt und Reach Da Reapa und DJ Tones wieder zu zweit unterwegs sind.

Reach Da Reapa ist daneben solo, als Host einer Radio-Show und in anderen Band-Kontexten aktiv. So entspinnt sich etwa aus der Kollaboration mit dem norwegischen Produzenten Damien, den er via MySpace kennen lernte, das Projekt Utter Nutters.

Seine Musik etikettiert er als Britcore: "Ich verwende die Bezeichnung 'UK Hip Hop' nicht mehr, um zu beschreiben, was ich tue, weil die gekidnapped wurde, um Grime, Urban und all den anderen MOBO-Scheiß zu benennen, den Mainstream-Pop-Acts aus Großbritannien wie am Fließband ausrotzen."

The Ironfist - Vendetta Aktuelles Album
The Ironfist Vendetta
Die blutige Rache für ein geschändetes Genre.

Als Einflüsse nennt er - neben Britcore - Elektro, Oldschool-Hip Hop und Miami Bass. "Was meine Texte betrifft, versuche ich immer, schwarzen Humor und finstere Themen in meine Strophen zu verpacken. Meine Vocals sind eine Mischung aus Fiktion und Realität, es steckt aber stets viel von mir selbst darin.

Szenenwechsel - und doch wieder nicht: MC Gambit, Rapper, Produzent und Labelgründer von Revolt Records aus Bern, vertraut nämlich mindestens genauso auf seine eigene Person: Er greift seit Mitte der 90er zum Mikrofon und beginnt wenige Jahre später ebenfalls mit dem Produzieren. "Ich bin mein eigener Produzent, und das ist cool", so der Mann mit den polnischen Wurzeln. "Ich weiß doch selbst am allerbesten, was für Beats ich brauche."

Vor allem braucht er Abwechslung: "Wenn du immer die selbe Sorte Beats reitest, stagniert irgendwann dein Flow. ... Ich mag das harte Zeug, aber ich steh' auch auf Fortschritt. Ich habe immer Beats benutzt, an denen meine Skills wachsen", so Gambit, der, auch wenn er seinen Silbenausstoß pro Minute nie gemessen hat, über Twista oder Daddy Freddy sagt: "Ich denke, ich kann mithalten."

Eine Weile lang stellt er seine Zunge in die Dienste seiner Crew Last Resort. Die Wege trennen sich aufgrund menschlicher und künstlerischer Differenzen jedoch wieder. Gambit rappt, gerne auch zu Drum'n'Bass-Tunes. 2003 gründet er sein eigenes Label.

Die Liste seiner musikalischen Einflüsse? Endlos. "Natürlich liebe ich den ganzen 90er-Golden Era-Stoff, von Lords Of The Underground bis zu Das EFX, von Gunshot zu Blade, von Erick Sermon zu Chuck D, ich könnte ewig so weitermachen. Daneben höre ich traditionelle polnische Musik, auch sonst aus Ost-Europa und vom Balkan. Ein wenig Gipsy-Zeug. Elektro. Und immer noch viel Drum'n'Bass. Wenn Drum'n'Bass, dann aber richtig hart - mein Favorit da heißt immer noch Panacea."

Hard, harder, the hardest hardcore ... Im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis Gambit und Reach Da Reapa in den unendlichen Weiten des Netzes übereinander stolpern. Die Chemie stimmt, die Überzeugungen auch: The Iron Fist holen zum Schlag aus: "Vendetta" erscheint Anfang 2013.

Zwar schaffen es Reach und Gambit - einer auf der britischen Insel, einer in der Eidgenossenschaft - es nicht einmal, gemeinsame Pressefotos aufzunehmen. Doch darum gehts ja auch nicht. Es geht vielmehr um den Beweis, dass Hardcore-Rap keineswegs eine Angelegenheit der 90er war. Britcore war gestern, ist heute, und wird immer sein.

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The Ironfist - Vendetta: Album-Cover
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2013 Vendetta

Kritik von Dani Fromm

Die blutige Rache für ein geschändetes Genre. (0 Kommentare)

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