7. April 2017

"Die 80er Jahre waren nicht cool"

Interview geführt von

19 Jahre haben The Jesus And Mary Chain ihre Fans auf ein neues Album warten lassen – und den Großteil dieser fast zwei Dekaden war es alles andere als sicher, dass es jemals wieder etwas neues von der schottischen Band rund um das streitlustige Geschwisterpaar Jim und William Reid zu hören geben würde.

2017 ist es dann aber endlich soweit: "Damage And Joy" heißt der neue Longplayer der Schotten. Ein freundlicher und gut gelaunter Jim Reid begrüßt uns zum Interview in einem Berliner Hotelzimmer, um über Vergangenheit und Gegenwart von The Jesus And Mary Chain zu sprechen – und zu erläutern, warum er die 80er Jahre eigentlich abgrundtief hasst.

Seit dem letzten Album ist es ja doch schon eine Weile her, genauer gesagt neunzehn Jahre. Wie fühlte es sich nach all den Jahren an, wieder ins Studio zu gehen, um eine Platte zu machen?

Es war leichter, als wir angenommen hatten. Speziell ich war etwas besorgt, wie es werden würde. Vor allem, weil das letzte Album ja ein sehr traumatisches Erlebnis war. Wäre es noch mal so wie während der Aufnahmen zu "Munki" geworden: Ich hätte es gar nicht erst machen wollen. Ich habe mich gegen den Gedanken gesträubt, eine neue Platte zu machen. William hatte ganz im Gegensatz zu mir aber große Lust darauf. Schon 2007 meinte er, wir müssen unbedingt mit einem neuen Album beginnen.

Ich habe nach Ausreden gesucht und außerdem kam zu dieser Zeit noch meine Tochter Candice auf die Welt, da wollte ich nicht monatelang in einem Studio in Los Angeles verschwinden. Danach habe ich es einfach immer von mir weg geschoben. Dann verging so viel Zeit und immer wieder erkundigten sich Leute, ob nicht doch etwas kommen würde. Fünf Jahre vergingen, sechs Jahre, sieben ... es wurde zum Witz. Irgendwann sagte ich: Entweder wir machen jetzt wirklich eine Platte, oder wir hören auf, das zu versprechen und sagen den Leuten einfach, dass es vorbei ist.

Wann ging es dann effektiv los mit der Studioarbeit?

Da muss ich nachdenken … ich schätze mal so Ende 2015. Aber da gab es lange Pausen, weil wir auf Tour waren. Das meiste wurde letztes Jahr gemacht.

Wie war die Stimmung zwischen euch im Studio?

Auch hier hatte ich große Sorgen. Es stellte sich aber heraus, dass es nicht so schmerzvoll wurde. Ich weiß nicht warum, aber vielleicht war die Zeit einfach genau richtig für dieses Album. Das war nichts, was man planen konnte – aus irgendeinem Grund haben William und ich uns besser verstanden, als das lange Zeit der Fall war. Das war ein guter Zufall.

19 Jahre kein Longplayer – da sind die Erwartungen der Fans natürlich extrem hoch. Hast du diesbezüglich Druck verspürt?

Es gibt immer Druck, bei jeder Platte – sobald Leute ihre Vorstellungen haben. Wir konnten natürlich nicht einfach mit einem halbgaren Album zurückkommen. Aber wir waren von den Songs überzeugt, und das hat wiederum eine Menge Druck von uns genommen. Wir wussten, dass die Songs einen gewissen Standard haben.

Gleich von Anfang an?

Ja, so ziemlich. Die Stücke waren so gut, dass wir echt schon etwas Grundlegendes hätten versauen müssen, um daraus keine gute Platte zu machen. Wir waren uns ziemlich sicher.

William und du seid ja bekannt dafür eine, sagen wir mal, sehr lebhafte Beziehung zueinander zu haben.

Ja, und wie gesagt – ich habe mir viel Schlimmeres erwartet. Ich dachte, es würde Ärger geben, aber wir sind bei diesem Album echt gut miteinander klar gekommen. Es gab nur ganz wenige Kämpfe (lacht), keine Schläge – das war schon okay.

Und wie sieht die Stimmung untereinander auf Tour aus?

Nun, auf Tour ist das schon etwas anderes. Ein Album aufzunehmen ist mit viel mehr Stress verbunden. Auf Tour machst du einfach dein Ding, triffst dich zum Soundcheck und dann zum Konzert. Aber jeder hat Raum für sich selbst. Im Studio bist du monatelang auf engstem Raum zusammen. Das kann echt intensiv werden.

"Ich bin ein Fan von Isobel Campbell"

Kannst du was zum Titel "Damage And Joy" sagen?

Das war die Idee meines Bruders. Es ist ja die englische wörtliche Übersetzung des Wortes "Schadenfreude". Das deutsche Wort trifft aber nicht den selben Sinn, denn wir erfreuen uns ja nicht am Unglück anderer, das bedeutet Schadenfreude doch. Wir mochten den Titel einfach, er summiert unsere "Ehe".

Auf dem Album gibt es ja mehrere weibliche Duettpartner – unter anderem Bernadette Denning ...

Das ist Williams Freundin. Wir waren für mehrere Songs auf der Suche nach Gastsängerinnen – und William meinte, lass es uns doch mal mit Bernadette versuchen. Sie hat es toll gemacht. Bernadette war noch nie in einer Band, sie ist auch keine professionelle Sängerin. Das muss man auch nicht sein – es geht darum, dass man gut klingt. Dann ist auch noch Isobel Campbell auf der Platte, die mit uns zwei Songs singt. Ich hatte sie bis dahin noch nie getroffen, aber ich bin ein Fan ihrer Musik. Das passte toll, wir haben einen ähnlichen Musikgeschmack. Die Alben, die sie mit Mark Lanegan gemacht hat zum Beispiel – es schien einfach eine logische Wahl.

Und Sky Ferreira?

Sky Ferreira hatte schon mit Primal Scream zusammengearbeitet, und Bobbie (Gillespie, Primal-Scream-Frontman, Anm. d. Red.) hat sie mir ans Herz gelegt. Sie kam uns ein paar Mal besuchen und wir wussten, dass sie unsere Musik mag. Deswegen waren wir optimistisch, dass sie mitmachen würde.

Wie geht's dir jetzt, wo das Ding draußen ist?

Ich bin erleichtert, dass es vorbei ist. Es ist einfach gut, sie draußen zu haben, um zu sehen, wie sie aufgenommen wird. Wir haben einfachh sehr lange darüber geredet.

Als ihr vor neunzehn Jahren eure letzte Platte "Munki" veröffentlicht habt, war die Musikindustrie natürlich noch eine ganz andere – beziehungsweise da gab es noch eine. Bekommst du das deutlich zu spüren?

Oh Gott, sie ist nicht wieder zu erkennen. Ich verstehe auch nicht, wie das ganze heute funktioniert. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Veränderung zum Guten oder zum Schlechten war.

Würdest du unter diesen Umständen noch mal den selben Weg einschlagen wollen?

Ich glaube, das hast du in dir. Ich weiß nicht mehr, wie die Strukturen funktionieren. Es ist leichter, wenn du einen Backkatalog hast, den die Leute kennen. Wie du das heute schaffen kannst, wie es wäre, jetzt erst damit zu beginnen, das weiß ich nicht. Aber es wird immer Leute geben, die das Bedürfnis haben, ein Instrument in die Hand zu nehmen und damit einen Höllenlärm zu machen, das wird immer da sein.

Ich habe mir ein paar alte Interviews von euch angesehen – an Ego scheint es euch ja nie gemangelt zu haben. In einem alten Interview sagst du zum Beispiel, dass ihr mal größer als die Rolling Stones sein werdet.

(lacht) Das war natürlich viel Angeberei. Außerdem waren wir auch unglaublich schüchtern, und der einzige Weg, Interviews und Gigs zu überstehen war einfach, sich unglaublich zu betrinken. Und dann passiert eben sowas: "Yeeeeah, wir werden größer als The Beatles!" Ich hab mir diese Interviews angesehen und es hat mich echt geschaudert. Man denkt: Oh nein, hab ich das echt gesagt? Oh Gott! Wir haben schon daran geglaubt, dass wir besser sind als die meisten anderen, aber es hat sich auch viel hochgeschaukelt.

Ihr seid als Band in den 80ern großgeworden – in einer Zeit, deren Musik du ja eigentlich hasst.

(lacht) Ich mochte die 80er nicht, als sie gerade passierten und heute mag ich sie noch weniger. Ich weiß, dass sie heute als ziemlich cool gelten, aber die 80er waren nicht cool und sind es heute erst recht nicht. Das meiste, was in den 80ern musikalisch passierte, war grauenhaft.

Im Sommer spielt ihr auf Festivals – siehst du dir da auch andere Bands an?

Nein, das mache ich nicht mehr. Ich habe tausende Bands in all den Jahren gesehen, das interessiert mich einfach nicht mehr. Ich höre lieber die Doors, Joy Division oder die Sex Pistols. Ich habe so viele tolle Platten, ich brauche keine neuen großartigen Bands mehr. Es gibt jetzt schon zu viele großartige Platten in meiner Plattensammlung.

Hörst du daheim Musik auf Vinyl?

Ich höre manchmal LPs, aber meistens bin ich zu faul um aufzustehen und die Platte umzudrehen (lacht).

Weiterlesen

Noch keine Kommentare