laut.de-Kritik

Mehr als die Summe ihrer Teile. Konzeptionell wie spirituell.

Review von

Die ganz frühen 70er: Ohrenbetäubender Lärm, ekstatisches Publikum und ein völlig derangierter Iggy Pop, bis zum Rand voll mit Quaaludes, Kamikazes, LSD und Heroin. Ein ganz normaler Stooges-Gig also. Sicherlich genau das rechte Umfeld, um einfach mal als veitstanzender Gorilla verkleidet on stage zu hüpfen.

So dachte zumindest Elton John. Damals noch nicht der teebeutelige Sir Elton sondern kreativer Anarchopopper mit schwer angesagtem Hang zu Ausschweifung und Orgie. Ein Mann, ein Wort. Nur glaubt Amerikas berüchtigtster Frontman, er werde wirklich vom Affen gebissen. Während Iggy somit ansetzt, die vermeintliche Bestie zu vernichten – oder zumindest mal lecker von der nicht eben niedrigen Bühne zu kloppen – fällt die Maske. Die Kumpel liegen einander in den Armen. Ende gut, alles gut. Zumindest für jene, die auch den späteren Machwerken des gewendeten Mr. Mainstream etwas abgewinnen können.

'Jesus loves the Stooges!' So das doppeldeutige Motto. Keine relevante Band der Musikgeschichte hat so viel mehr haarsträubende Sex'n'Drugs'n'Rock'n'Roll-Anekdoten als eigene Songs zu bieten. Dennoch waren sie damals mit Abstand die härteste und kompromissloseste aller Rockbands des Planeten. Am Horizont tauchen bereits Hardrock und Metal auf. Doch Hand aufs Herz: Egal ob die großartigen Black Sabbath, AC/DC oder wen auch immer man aus dem frühen Kuttenregal ziehen mag - verglichen mit dieser Satansband klingen sie alle ungefähr so hart und gefährlich wie Donald Duck im Grundschulalter. Und der aufkeimende Artrock um verkopfte Bombastcombos wie Genesis bot ebenso wenig Verheißung auf echte Ekstase.

Die Stooges hingegen treten allen (un)geschriebenen Gesetzen von Musik und Showbiz gehörig in den Hintern. Zwischen toxischem Selbsthass und Egomanie gefangen, treiben die 'Best Mates' Iggy und Ron Asheton (bis einschließlich "Fun House" Leadgitarre, danach Bass) nicht nur ihre komplizierte Freundschaft fast über die Klippe. Besonders der 2009 tragisch früh verstorbene Gitarrero ist als unverzichtbarer Partner in Crime eine kreative Bank. So gut wie alle Tracks verfasst er gemeinsam mit seinem Sänger.

Mit "Fun House" gehen sie weiter als jeder Act populärer Musik. Sieben Songs in sieben Tagen. Darunter mit "T.V. Eye" einen der meistgecoverten Tracks weltweit. Ähnlich wie die White Stripes fast dreißig Jahre später - nur eben als Erfinder - schnappen sich die 'Bekloppten' den Rhythm'n'Blues als Fundament, um diese Basis von der Wurzel her mit atonalem Krach, drogeninduzierter Psychedelica des weißen Mannes und dem hypnotischen Wahnsinn von Rock-Barbar Pop zu vermählen. Das ging ganz gut. So richtig verdaut hat die Welt den elektrischen Rotzklumpen bis heute nicht.

Die Platte steigert ihren mitunter synkopischen Amoklauf in gleißendes Tohuwabohu. Am Ende ist jeder Rhythmus aufgelöst im ebenso zickig wie anmutigen Mahlstrom der Gebrüder Asheton. Steve Mackays schneidendes Saxophon macht den Sack der Torturen hernach so richtig zu. Bereits an diesem Fixpunkt sind die oft zu Unrecht als grobmotorische Dilettanten geschmähten Stooges bereits näher an Geist wie Ausdruck eines strukturell emanzipierten Meisterwerks wie "Bitches Brew", als ihre Kritiker es selbst je verstünden. Doch so nah werden die 'Retardierten' dem eigenen künstlerischen Anspruch aggressiver Dekonstruktion ebenfalls selbst nicht wieder kommen.

Der totale Jackpot hierbei: Aus den fruchtbaren Trümmern ihrer Lied gewordenen Abrissbirnen lassen sie etwas gänzlich Neues und Anmutiges hervorgehen: "Dirt"! Der dreckige Song ist kein zufälliges Abfallprodukt aus der kommerziell kalkulierten Balladenecke dösiger Hartwursthansel. Er bildet vielmehr das Auge des Sturms im Zentrum dieser Platte. Rauschhafter Nihilismus und paranoider Fatalismus reichen einander die unheilvolle Pranke.

On stage pflegt Iggy derweil gern das Aufschneiden der - zum Glück eigenen - Brust mit den Überresten zerbrochener Bierflaschen, bis der rote Saft in Strömen fließt. "Fühlst du es, wenn du mich schneidest? Da ist ein Feuer und ich bin lebendig!" Der Song selbst gibt sich dagegen musikalisch überaus konstruktiv. Wie er dem Blues eine gänzlich neue Form berstender Aggressivität implantiert, ohne dabei den klanglich bewusstseinserweiternden Schwebezustand in der Performance einzubüßen, ist das Werk wahrer Meister ihres Fachs. Um so mehr, als Herr Pop und Co. damals allesamt erst Anfang 20 waren.

Allen voran 'Iggy Stooge' (wie ihn konservative US-Medien all zu gern nannten) als fatalistischer Bohemien einer drogengeschwängerten Halbwelt, die nach Gosse, Blut, Gewalt und Sex duftet. Einer tollwütigen Bestie gleich, verstört und fasziniert der gebürtige James Newell Osterberg das 1970 vollkommen überforderte Publikum gleichermaßen. "Well, he sits like a man but he smiles like a reptile", wird der spätere Kumpel und Weggefährte David Bowie nur kurze Zeit später schreiben ("The Jean Genie" auf "Aladdin Sane"). Allzu sehr hat ihn das seiner Zeit weit voraus befindliche Soundgewitter dieser Platte beeindruckt. Nur drei Jahre später produziert Bowie die deutlich konventioneller gestrickte Stooges-Perle "Raw Power" und versenkt diese leider mit einem deutlich glatteren Ansatz.

Für das Titelstück schnappen sie sich ein James Brown-artiges funky Thema und drehen es durch den Fleischwolf. Mit der finalen Raserei von Iggys Schreien, Geifern und Spucken tut sich vor dem Hörer dann auch endlich die Hölle auf. Mackays Sax-Licks, mitunter leicht atonal angesetzt, sind als Dreingabe unverzichtbar. Auf den ersten Blick mögen sie eventuell als ein wenig störend empfunden werden. Doch das Konzept gegen den Wohlklang geht auf. Gleich einem hysterischen Schäferhund, der das Chaos seiner Herde nur noch weiter anheizt. Wer durch das Kreischen hört und die akustische Pforte der Wahrnehmung passiert, stellt fest, das ohne dieses Element das "Fun House" nur Suppe ohne Salz wäre.

Die Gitarre zelebriert derweil selbstversunken auf dem linken Kanal einen fließenden Feuerstrom. Ohnehin bietet die gesamte Platte ein Füllhorn erfrischender Links/Rechts-Stereospielereien. Dennoch steht nie der Effekt als solcher unnötig im Vordergrund. Erst zusammen ergeben die einzelnen Tonspuren durchweg mehr als die Summe ihrer Teile. Konzeptionell wie spirituell. In Momenten vieler mitunter recht egozentrisch anmutender und halb improvisierter Solo-Ausflüge ähneln die Stooges mehr Duellanten als Bandkumpanen. Diese aufreizende Pulverfassatmosphäre ist auch nach Jahrzehnten in jeder Sekunde fühlbar.

Der "L.A. Blues" indes ist – seinem Namen zum Trotz – in der totalen Auflösung jeglicher musikalischer Form quasi eine Vorwegnahme einer erst viel später geborenen Kompromisslosigkeit, von Avantgarde über Punk bis Alternative. Erstmals in der Geschichte des weißen Rock wird mit Iggy Pop ein Sänger zum menschlichen Dentalbohrer. Musik als nervenzerrende Baustelle? Das ist so kurz nach dem Summer of Love zu sehr gegen den Strich aller kulturellen Hörgewohnheiten gebürstet. Man nimmt die Band lediglich als anormale und wenig talentierte Sonderlinge auf einem schlechten Trip wahr. Einzige Ausnahme: Journalistenlegende Lester Bangs vom Creem Magazine preist Band und LP in höchsten Tönen. Der Artikel ist bis heute ebenso lesens- wie empfehlenswert.

Die künstlerische Auseinandersetzung jenseits aller Popkultur fand erst sehr viel später statt. Jahrzehntelang konnte Herr Osterberg mithin den Treppenwitz verbreiten, die Stooges werde man nie in der Rock'n'Roll Hall of Fame erblicken. Im Jahr 2010 war es dann endlich doch so weit mit einer Feierstunde für die 'Schwachsinnigen'. Leider zu spät für Asheton. Ohne ihren künstlerischen Zenith "Fun House" wäre das sicherlich nicht möglich gewesen. Nach dem Erscheinen dieser Platte klopfte sogar die White Panther Party bei 'Teen Idol' Iggy an. Selbstverständlich lehnte der junge Rebell das ab. "Die Stooges sind nur ein Foul, eine dreckige, abgefückte Rockband. Aber mit ihnen kann ich alle Sandwiches der WPP essen und all ihre Freundinnen bumsen." Er sollte Recht behalten ...

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Down On The Street
  2. 2. Loose
  3. 3. T.V. Eye
  4. 4. Dirt
  5. 5. 1970
  6. 6. Fun House
  7. 7. L.A. Blues

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