laut.de-Kritik

Restaurierte Aufnahmen zweier denkwürdiger Auftritte.

Review von

1968 begann, wie das Jahr davor endete: Auf der Suche nach dem finalen Durchbruch. So hatten sich The Who erneut eine mörderische Tour aufgehalst, die sie in der ersten Jahreshälfte durch Australien, Neuseeland, Kanada und - mal wieder - die USA führte. Auf dem wichtigsten Musikmarkt der Welt hatten sie im August 1967 zwar einen vielbeachteten Auftritt beim Monterey Pop Festival hingelegt und im Dezember mit "I Can See For Miles" eine Single in den Top 10 gebracht - so richtig berühmt waren sie jedoch immer noch nicht.

Die letzten Auftritt des US-Abschnitts der Tour sollte im Fillmore East stattfinden, dem New Yorker Pendant zum angesagten Club in San Francisco. Manager Bill Graham hatte The Who sogar als erste Band für sein neues Lokal ausgewählt und sie für vier Konzerte in zwei Tagen, dem 5. und 6. April, verpflichtet.

Am 4. April wurde jedoch Martin Luther King ermordet, was gewalttätige Ausschreitungen in vielen Städten nach sich zog. Vorsorglich waren also die Auftritte am Nachmittag gestrichen worden. Um sich die Zeit zu vertreiben, schmiss Schlagzeuger Keith Moon Cherry Bombs, mit Dynamit gefüllte Knallfrösche, aus seinem Fenster im Gorham mitten in Manhattan. Was nicht gut ankam, weder beim Hotelmanagement noch bei der Polizei. Die sah von einer Strafe ab, der Tross fand sich jedoch auf der Straße wieder und zog kurzerhand ins Waldorf Astoria, bevor die Band zu einer Fotosession im Morningside Park aufbrach.

Dabei kam ein Foto heraus, das The Who später für das Albumcover von "The Kids Are Alright" verwendeten, doch Townshend war so müde, dass er immer wieder einschlief. Ausruhen war nicht, denn als die Band ins Hotel zurückkam, musste sie ihre Zimmer direkt wieder räumen, da sie die Übernachtung im Voraus nicht bezahlen konnte. Moon bedankte sich auf seine Art, indem er eine Tür aus den Angeln sprengte.

Eine explosive und erledigte Stimmung also - perfekt für denkwürdige Auftritte. Das sollten sie auch werden, schließlich hatte die Band vor, sie aufzunehmen und dann als offizielles Album zu veröffentlichen. Besonders Townshend wurmte es, dass sie im Studio lange nicht so mitreißend klang wie auf der Bühne.

Die Setlist scheint überraschend, zumindest für US-amerikanische Besucher, denn es kamen gleich mehrere Rock'n'Roll-Cover zum Einsatz: Eddie Cochrans "Summertime Blues", "My Way" und "C'mon Everybody" sowie Johnny Kid & The Pirates' "Shakin All Over". Zehn Jahre alte Hits in der Interpretation einer britischen Band, und dann nicht mal der einzige Hit? Merkwürdig.

Natürlich hatten The Who auch brauchbare eigene Stücke. "Boris The Spider", eines der wenigen Lieder aus der Feder von Bassist John Entwistle, entwickelte sich zum Klassiker, wie auch "I Can' Explain" und "Happy Jack". Das Set begann übrigens mit "Substitute" und "Pictures Of Lily", die hier nicht gelistet sind, weil die Tonbänder nicht mehr brauchbar waren. Versionen in üblicher Länge wechselten sich mit ausdehnten Improvisationen ab.

So dauern "A Quick One (While He's Away)" und das psychedelisch anmutende "Relax" knapp 12 Minuten, werden aber noch vom abschließenden "My Generation" getoppt, das The Who zum Schluss in einer 30-minütigen Version darboten, die freilich mit der Zerstörung von Townshends Gitarre und Moons Schlagzeug endete. Eine Herausforderung für Zuschauer und die Verantwortlichen der ansonsten gelungenen Vinyl-Version, die das Stück auf der letzten von drei Platten unterbringen und einfach mittendrin ausfaden.

Ein historischer Auftritt, also. Die nächste Karrierestufe schien erreicht, doch - wie konnte es anders sein? - war auch hier etwas schiefgegangen: Die Aufnahmen des ersten Abends waren unbrauchbar, die des zweiten unvollständig und die Instrumente zum Teil auf den falschen Spuren gelandet. Die Bänder verschwanden in den Archiven, auch wenn sie recht schnell als Bootlegs in den Umlauf kamen.

Zum 50. Jubiläum nahm sich der damalige Tontechniker Bob Pridden der Bänder an, mischte sie neu ab und bearbeitete sie so, dass sie nun auch offiziell erscheinen können. Angesichts des Alters und der Vorgeschichte klingen die Aufnahmen erstaunlich gut, wenn auch nicht so überragend, wie man es von späteren Liveauftritten gewohnt ist.

In einer gewissen Hinsicht war "Live At The Fillmore East" ein weiterer Rückschlag in der Bandgeschichte. Das Durchhalten zahlte sich ein Jahr später aber schließlich aus: Mit dem Konzeptalbum "Tommy" und ihrem Auftritt in Woodstock stiegen The Who in die Liga der ganz Großen auf.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Summertime Blues
  2. 2. Fortune Teller
  3. 3. Tattoo
  4. 4. Little Billy
  5. 5. I Can't Explain
  6. 6. Happy Jack
  7. 7. Relax
  8. 8. I'm a Boy
  9. 9. A Quick One, While He's Away
  10. 10. My Way
  11. 11. C'mon Everybody
  12. 12. Shakin' All Over
  13. 13. Boris The Spider

CD 2

  1. 1. My Generation

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