laut.de-Kritik

Melancholisch düster und voller Sinnlichkeit.

Review von

Mitte bis Ende der 80er avancierten The Young Gods aus der Schweiz zu Pionieren des Post-Industrials, indem sie vor allem das Maschinelle im Rock betonten. Zu dieser Zeit gehörte noch Cesare Pizzi (Sampler, Elektronik) der Band an, der 1988 ausstieg und 2012 wieder zurückkehrte. Dafür verließen sein Nachfolger Al Comet und Gitarrist Vincent Hänni die Formation wieder. Mit "Data Mirage Tangram" besinnt sie sich nun auf die reduzierten Wurzeln, greift aber auch Versatzstücke ihrer Großtaten "T.V. Sky" (1992) und "Only Heaven" (1995) auf. Letztere beeinflussten auch Acts wie Nine Inch Nails.

Mit dem Nachfolger von Everybody Knows (2010) positionieren sich die Young Gods mit avantgardistischer Kunstfertigkeit im Hier und Jetzt. Für den Mix zeichnet Alan Moulder verantwortlich, der in der Vergangenheit schon mit Trent Reznor oder den Editors zusammenarbeitete.

"Entre En Matière", das an die trippige und elektronische Ausrichtung von "Only Heaven" anschließt, eröffnet den Reigen. So entführen die leicht verspielte Elektronik, die federnden Drums von Bernard Trontin, die psychedelische Gitarre sowie die sanften, beschwörenden französischen Vocals von Franz Treichler in entrückte Sphären. Dabei verdichtet sich die kollektive Energie zu einem völlig eigenen, melancholisch düsteren Sound voller Sinnlichkeit und Leidenschaft.

Die Besonderheit der einzelnen Songs, die auf der Bühne nach und nach Gestalt annahmen und die Treichler in seinem Studio verfeinerte, ist, dass man sie zum ersten Mal ohne jeglichen Druck im Team entwickelte. Dadurch bleibt die Musik in verschiedene Richtungen offen und bietet darüber hinaus genug Raum für individuelle Feinheiten.

Hierfür liefert "Tear Up The Red Sky" - bestehend aus kreisenden Schlagzeugfiguren, postrockigen Saitenklängen und sphärischer Elektronik - ein Paradebeispiel. Das Ganze würzt Pizzi noch mit IDM-Sounds im Stile von The Future Sound Of London. Dazu präsentieren sich die Schweizer im Refrain von ihrer rauen Industrial-Rock-Schlagseite, wenn stürmische und verzerrte Gitarrentöne mit der vermeintlichen Ruhe brechen. So kantig und kernig klangen sie lange nicht mehr.

Demgegenüber fahren die Young Gods in "Figure Sans Nom" die Lautstärke ein wenig runter und stellen dadurch mehr das Atmosphärische im Vordergrund. Trotzdem erzeugen die geradlinigen Drumsounds, die immer wieder in die Höhe schraubende Gitarre, die pluckernde Elektronik und der mysteriöse französischsprachige Gesang ein nicht weniger einnehmendes Klanggebilde, durchzogen von einer einprägsamen Melodie von suchterregender Qualität.

Mehr Experimentierfreude legt die Formation schließlich in "Moon Above" an den Tag, das von dissonanten Percussions, maschinellen Störgeräuschen und leichtem Blues-Crooning lebt: In das Stück fließt hörbar die jahrelange Erfahrung auf Schweizer Jazzbühnen ein.

Dagegen bietet "All My Skin Standing" als obligatorischer Longtrack, der auf so gut wie keinem Album von The Young Gods fehlt, krautrockiges Kontrastprogramm: Man denkt angesichts der repetitiven rhythmischen Struktur und dem bedrohlichen Flüstergesang nicht nur einmal an Can. Nach und nach steigert der Song seine beklemmende Dramatik, um sich gegen Ende mit schneidenden Saitentönen in Rausch und Exstase zu verlieren. Mitreißend!

Etwas tanzbarer gestaltet sich "You Gave Me A Name" mit verspulten Electro-Klängen der Marke Four Tet, groovigen Drums und luftiger Gitarrenarbeit. Das erinnert an den hypnotischen Groove der Band nach der Jahrtausendwende, nachdem es etwas ruhiger um sie geworden war. Zum Schluss lässt "Everythem" die Platte mit wabernder Gitarrenarbeit, pulsierenden Schlagzeug- und Maschinensounds und verschlafenen Vocals behutsam ausklingen.

Je nach Betrachtungsweise lässt sich jede Nummer separat oder als Baustein eines größeren Ganzen betrachten. "Das Tangram im Titel bezieht sich auf japanische Puzzles, die sich aus sieben Stücken zusammensetzen, welche ein Rechteck oder verschiedene Silhouetten von Tieren oder Charakteren ergeben können", erzählte der Sänger vor Kurzem. Obendrein zeigen sich The Young Gods so kreativ, vielschichtig und einzigartig wie eh und je. Aufgeschlossene Hörer und Liebhaber dunkler Edelklänge kommen definitiv auf ihre Kosten.

Trackliste

  1. 1. Entre En Matière
  2. 2. Tear Up The Red Sky
  3. 3. Figure Sans Nom
  4. 4. Moon Above
  5. 5. All My Skin Standing
  6. 6. You Gave Me A Name
  7. 7. Everythem

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