laut.de-Kritik
Beängstigend attraktiv, dieser Tanz der Töne.
Review von Kai KoppNa, wenn das mal keine nette Idee ist: Mit der Promo-CD kommt auch ein Topflappen! Das erregt Aufmerksamkeit und funktioniert bei meiner Wenigkeit bestens - obwohl ich natürlich nicht manipulierbar bin und den Bestechungs-Trick sofort durchschaue. Aber warum ausgerechnet ein Topflappen? Ah, die Platte heißt "Kitchen Music"! Das Geheimnis ist gelüftet!
Und ich weiß auch, warum sie so heißt: Damit wir Schreiberlinge einen Aufhänger haben, einen Vergleich, einen Rahmen, um über Sifflings Album zu metaphern. Das liest sich dann so: "Die neuen Stücke Thomas Sifflings sind tatsächlich wie perfekt zubereitete, überaus raffinierte Saucen: kleine musikkulinarische Glanzleistungen, Aromenträger, keine üppigen Sättigungsbeilagen ..."!
Aber dieser Versuchung werde ich widerstehen. Ich werde die Platte nicht mit einem guten Mahl vergleichen. Nicht mit Suppen, Saucen und Schweinebraten. Und auch nicht mit einer gemütlichen Kochsession im Kreise guter Freunde und Freundinnen. Auch werde ich nicht darüber berichten, warum sich im Booklet Kochrezepte statt Linernotes befinden. All das werde ich nicht tun!
Noch ohne eine Note gehört zu haben, lese ich auf dem Cover: Xavier Naidoo - Vocals on Track 8, Pit Baumgartner - RMX on Track 10. Diese Namen auf einem Jazztrompeteralbum zu lesen, erregt ebenfalls Aufmerksamkeit. Aber seit Till Brönner ist ja vieles erlaubt. Und es gibt noch mehr, was Interesse weckt. Da wäre z.B. die Besetzung, die ohne Harmonieinstrument auskommt. Das ist sogar im Jazz eher selten. Hören wir also mal rein in Thomas Sifflings Küchenmucke.
Beängstigend attraktiv, lässig ohne Ende und äußerst geschmackvoll (um doch mal ein Adjektiv aus dem Kochstudio zu bemühen) präsentiert sich das Repertoire von "Kitchen Music"! Sifflings Reduce-to-the-Max-Jazz schöpft die Möglichkeiten der Besetzung voll aus. Wie erwähnt, kommt sein Trio ohne Harmonieinstrument aus und man sollte meinen, es fehle was. Tut es aber nicht! Ganz im Gegenteil. Die in ihrer Schönheit transparente Atmosphäre schöpft ihren Reichtum unter anderem aus dem Nicht-Vorhandenen. Aus den Noten, die nicht gespielt werden. Aus den Harmonien, die im Kopf entstehen.
Auf dem ausgetüftelten Fundament, das Jens Loh (Bass, Elektronik) und Markus Faller (Drums, Perkussion) bereit stellen, erstrahlen Thomas Sifflings klare Melodien wie einsame Trolle, die elegant durch die Landschaft mäandern. "Kitchen Music" packt mich auf allen Ebenen am Schlafittchen. Da sind die filigranen, dezenten und wirklich erneuerungsfreudigen Drum-Grooves ("Entspannung Im Dampfbad"). Und die stets exzellent und mit einigem Humor ("Jazz Is Like Ginger") gestalteten Basslinien. Sie liefern eine Basis, auf der es eine wahre Freude sein muss, die Melodien zu entfalten.
Sifflings Tanz der Töne hört man die Spiellaune wahrlich an, und sein eigenständig reifer Ton tut das Übrige, um "Kitchen Music" zu einem echten Ausnahmealbum im Veröffentlichungswahnsinn der Musikindustrie zu machen. Ähnlich ausnahmig wie vergangenes Jahr das Trio Elf seinen Drum'n'Bass'n'Piano-Jazz servierte. Und ähnlich geübt, wie etwa das E.S.T., in der Fähigkeit, Jazz und Elektronik dezent miteinander zu verkuppeln.
Kommen wir zu den Features. Irgendwie kurios kommt der Text von Xavier Naidoo rüber. "Es war der Kugelblitz - Scheiße - hätt ich ne Kamera zur Hand gehabt, dann bekäm ich jetzt Dokumentarfilmpreise - Es war ein Kugelblitz - denkt ihr ich hab ne Meise? - übrigens Bern war das Ziel unserer Reise". Mmh. Ob ich solche Texte wirklich brauche? "Kugelblids" ist zwar vom Playback her wieder genial, aber Xavier erlebte schon kreativere Momente in seiner Karriere. Na ja, haken wir es mal unter Namedropping ab. Das sei Thomas Siffling gestattet, denn "Kitchen Music" verdient wirklich Aufmerksamkeit. Wenn sie die auf diese Weise ergattert, sei es legitim.
Und auch der Name Pit Baumgartner entpuppt sich als Fake. Mit "eher überflüssig" würde ich seinen Beitrag dezent beschreiben. Viel kreativer pumpt sich da der "The Energy Of A Small Woman"-House-Mix von Jelly Jam aus den Boxen. Vergleiche mit St. Germain und anderen exzellenten Jazz-House-Architekten drängen sich auf und heften dem letzten Song des Albums ein Gütesiegel erster Klasse an.
Fazit: Die vielschichtige Qualität von "Kitchen Music" ernährt sich nicht von den herbeigezogenen Gästen. Die braucht Thomas Siffling nämlich wirklich nicht, um erstklassige Songs unter die Leute zu streuen. Im Interview spricht er von Easy Listening mit Tiefgang. Viktoria Tolstoy greift auf eine ähnliche Formulierung im Zusammenhang mit "Pictures Of Me" zurück. Wenn das der neue Trend im Jazz ist, solls mir recht sein und ich feiere gerne mit, wenn die Wortführer dieses Anspruchs die Quadratur des Kreises zelebrieren.
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