4. Mai 2017

"Ich wollte die neue Adele sein"

Interview geführt von

"Rock N Roll Consciousness" heißt das neue Album des ehemaligen Sonic Youth-Gitarristen Thurston Moore. Dafür hat der 58-jährige Musiker, Autor und Aktivist erneut seine Thurston Moore Group ins Studio geholt, die ihn auch schon auf dem letzten Album "The Best Day" unterstützte. Mit dem großen Unterschied, dass das Quartett – neben Moore bestehend aus Deb Googe (My Bloody Valentine), Steve Shelley (Sonic Youth, Sun Kil Moon) und James Sedwards (Nøught) – mittlerweile eine eingespielte Einheit ist. Auf der Dynamik der Gruppe liegt laut Moore auch der Fokus der Platte – zumindest musikalisch.

"Rock N Roll Consciousness" ist eine spirituelle Noise-Rock-Platte, die einen Bogen zu Thurston Moores Sonic Youth-Vergangenheit schlägt und gleichzeitig experimentell und nach vorne gerichtet ist. Warum "Rock N Roll Consciousness" ein politisches Statement ist, welchen Einfluss die buddhistische Lehre auf den Longplayer hatte und warum er sich dafür den Adele-Produzent Paul Epworth ins Studio holte, erklärte uns ein bestens gelaunter Moore beim Gespräch in Berlin.

Ich habe gehört, die Idee zum Albumtitel kam dir im Zuge deiner Lehrtätigkeit an der Jack Kerouac School of Disembodied Poetics.

Ja, das ist wahr. Ich unterrichte dort seit fünf Jahren. Das ist der erste Sommer, in dem ich nicht dort bin – einfach, weil ich derzeit mit Touren zu sehr beschäftigt bin. Ich vermisse es jetzt schon, es macht mich fast ein wenig traurig. Das ist immer so eine wunderbare Zeit im Sommer, die ich dort verbringe. Die Schule basiert zu einem großen Teil auf der buddhistischen Lehre. Der tägliche Stundenplan, Philosophie, Literatur, Mathematik und Wissenschaft: All das ist dort sehr von den buddhistischen Grundsätzen inspiriert. Das heißt noch lange nicht, dass die Lehrenden auch buddhistische Gelehrte sein müssen, aber es wird schon sehr schnell klar, dass vieles eben auf dieser Philosophie fußt. Die Schule wurde von Chögyam Trungpa Rinpoche gegründet, diesem wilden buddhistischen Lehrer.

Ich hatte immer großes Interesse an der philosophischen Seite des Buddhismus. Ich wusste aber, dass ich mich keinesfalls mit einer strikten Agenda an irgendeine Ideologie binden wollte. Ich bin als katholischer Junge aufgewachsen, musste jeden Sonntag in die Kirche gehen. Als Teenager bin ich dem entkommen – und mache das seitdem nicht mehr. Ich mag die Idee dieses autoritären Unterbaus nicht. Ich dachte, es wäre an der Zeit ein Erwachsener zu werden, der sich seine eigene Sicht der Dinge macht über die Art von glaubensbasiertem Leben, das ich mir vorstellen kann. Ich hatte aber immer Interesse, wenn nicht sogar Respekt, vor jedem, der Glauben in seinem Leben integriert hat, egal ob Christentum, Islam, Judentum oder eben Buddhismus. Buddhismus erschien mir immer als die esoterischste Variante, weil es fernab von den Praktiken der mir bekannteren Glaubensrichtungen funktioniert. In seinem Herzen verfolgt er aber auch die gleiche Idee: Dass Menschsein ein geteiltes Erlebnis ist. Und dass diese Erfahrung auf Respekt vor jedem basieren muss, welche Glaubensrichtung oder welchen kulturellen Background der andere auch immer hat. Ich empfand das immer wichtig für diesen Planeten – viel mehr als ein Alphatier im Attackemodus zu sein (lacht). Das sehen wir ja jetzt gerade.

Je mehr buddhistische Texte ich las, desto öfters stieß ich auf das Wort "Consciousness". Buddhistisches Bewusstsein, karmisches Bewusstsein, Dharma-Bewusstsein. Diese Idee, sich der spirituellen Ebene von Raum und Zeit gewahr zu sein. Ich mochte diese Idee. Ich wollte dieses Wort aber auf das übertragen was mich, meine Begehren und mein kreatives Leben ausmacht. Ich dachte mir, es ist doch einfach nur Rock'n'Roll-Musik – und so habe ich diese beiden Wörter miteinander kombiniert. Der Titel klang toll, verbreitet ein Gefühl von Freude. Es ist kein ernsthafter Titel, ich wollte keinen tonnenschweren Titel. Eigentlich war es auch nur der Arbeitstitel der Platte. Dass ich sie wirklich so nennen würde, dachte ich zunächst gar nicht. Aber der Titel blieb.

Ich habe lange an dieser Platte gearbeitet, habe die Reihenfolge immer wieder verändert, habe Songs geändert, rausgeworfen und verschoben, habe mich mit Coverentwürfen gespielt. Das alles passierte letztes Jahr. Die Platte veränderte sich ständig – bis ich wusste, jetzt ist sie fertig. Und dass sie jetzt, im Frühjahr 2017, rauskommt, passt sogar noch besser. Mitten in dieser nihilistischen, gewalttätigen Zeit kommt eine Platte mit dem Namen "Rock N Roll Consciousness". Und das ist in dieser Zeit auch wichtig, eine starke Stimme zu erheben.

Vorab hast du den Song "Cease Fire" veröffentlicht, einen Anti-Waffen-Song.

Es ist spezifisch ein Anti-Schusswaffen-Song, so würde ich das beschreiben. Ich habe die Lyrics nach den Anschlägen in Paris geschrieben, als Bewaffnete in Clubs und Cafés gingen, um Menschen zu töten – im Namen der Wut. Ich denke, ich habe es geschrieben um zu sagen: Endlich Schluss mit Schusswaffen! Besonders in den USA, wo ich ja herkomme, sind Schusswaffen so leicht erhältlich wie Zuckerriegel. Welche Beschränkungen oder Gesetze auch immer zum Waffenbesitz in den letzten zehn Jahren ins Leben gerufen wurden, sie werden jetzt alle rückgängig gemacht. Jetzt kann fast jeder eine Schusswaffe kaufen, weil die Trump-Administration die National Rifle Organisation – die Lobbygruppe für Waffenverkauf – nun alles machen lässt, was sie wollen.

Er ist absolut Pro-Schusswaffen für Amerika. Jedes Schulkind wird bald eine Schusswaffe in der Schultasche haben und jeder Lehrer eine in der Schreibtischschublade. Irgendwann wird es dann zu einer reinen Schusswaffenkultur. Für mich ist das völlig unverständlich. Schusswaffen sind zu nichts anderem da, als um zu töten. Ich verstehe, dass sie manche Leute für Sport oder zur Jagd brauchen – aber ich kümmere mich einen Scheißdreck darum, was diese Leute denken. Es ist ein kleines Opfer für die geistige Gesundheit der Welt. Schusswaffen sollten nirgendwo erhältlich sein. Davon handelt das Stück – aber es bezieht sich schon auch konkret auf die Pariser Anschläge. Leute, die ihre Religion dafür missbrauchen, um sich an Leuten zu rächen. Im Namen der Liebe zu töten, der Gedanke macht doch keinen Sinn. Der Gedanke allein ist unmenschlich.

"Ich habe gehofft, dass mich Paul Epworth zur nächsten Adele macht!"

Warum landete "Cease Fire" dann doch nicht auf dem Album?

Eigentlich hätte "Cease Fire" auf dem Album sein sollen, wenngleich auch in einer anderen Version. Ich habe ihn dann aber doch runter genommen. Die neue Version haben wir in einem anderen Studio aufgenommen, mit anderem Drummer. Der Grund, warum ich den Song noch mal einspielte, weil ich fand, dass die Ur-Version zu nett und sauber klang. Ich wollte einen raueren Vibe, bin noch mal in ein kleineres Studio gegangen und habe den Song an einem Nachmittag rausgehämmert. Es gibt aber noch eine Hi-Fi-Version, und vielleicht veröffentliche ich die dann ja doch noch mal irgendwann.

Ich habe so viele Songs, die ich nie veröffentlicht habe. Es ist ein großer Katalog. Die Platte die ich davor machte, "The Best Day", da wären fast 20 Songs drauf gewesen, fast ein Triple-Album. Ich wollte sie damals unbedingt so veröffentlichen. Dann bin ich aber draufgekommen, dass man da schon eine Menge von jemandem verlangt, all diese Zeit zu investieren und sich das Ganze anzuhören. Ich hatte damals aber einfach so viel Material, dass ich eben dachte, ich haue alles auf einmal raus. Irgendwann hab ich mir aber selbst Vernunft eingeredet – und diesmal habe ich nur die nötigste Zahl an Songs genommen, die auf dieses Album raufpassen. Das meiste von "The Best Day" zeigt, wie die Band zum ersten Mal im Studio zusammenkommt. Davor hatten wir noch nie gespielt. Einige Songs hatte ich auch solo eingespielt, in anderen Sessions. Bei "Rock N Roll Consciousness" geht es aber um die Band. Wir sind viel getourt, haben viel zusammengespielt. Das wollte ich mit diesem Album zeigen: wie gut die Gruppe spielt. Die Songs sollten sich darauf konzentrieren.

Du hast die Platte zusammen mit Paul Epworth produziert – den kennt man in erster Linie von seiner Arbeit mit Adele oder Florence And The Machine. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande – und wie war's?

Weißt du, ich habe einfach gehofft, dass er mich zur nächsten Adele machen wird! (lacht).

Ich verstehe dich da gut. Als Oberhaupt der Alternative Music kann man ja auch mal den Mainstream-Pop regieren!

Ja! Ich liebe Adele. Ich finde sie wirklich toll. Im Ernst, er wurde mir von Mark Stewart von The Pop Group empfohlen. Ich habe Mark einmal interviewt, ich glaube für The Quietus. Ich habe Mark immer wieder getroffen in all den Jahren. Toller, witziger Kerl. Er hatte dieses Album, und ich fragte ihn, wo er das denn aufgenommen hätte. Er war ganz begeistert: "Bei diesem Typen in Bristol, er ist ein Fan von The Pop Group". Ich wusste nichts von Paul Epworth oder seinem Studio. Aber ich habe das bald nachgeholt und sah, dass er einer der erfolgreichsten Produzenten der Welt ist und eines der weltbesten Studios hat. Er interessiert sich auch für Musik, die eher an den Rändern passiert und er ist für Abenteuer offen.

Ich rief ihn einfach an – und er schien wirklich begeistert, dass ich etwas mit ihm machen wollte. Ich traf ihn, wir fanden raus, dass wir am selben Tag Geburtstag haben, wir sind beide Löwen mit Aszendenten Krebs. Sein Studio ist in einer wunderschönen alten Kathedrale – mit zwei Analogmischpulten. Auf dem einen haben Pink Floyd "Ummagumma" aufgenommen, auf dem anderen die Stones "Emotional Rescue". Der Raum klingt einfach schön, deswegen wollte ich verhandeln und dort so ökonomisch wie möglich arbeiten. Wir haben vier, fünf Tage im Studio gearbeitet und neun Songs aufgenommen. Fünf davon sind jetzt auf der Platte. Die Tapes habe ich dann Randall Dunn in Seattle zum Mixing gegeben. Randall deswegen, weil ich den Gedanken mochte, die Musik zu nehmen, die ich in diesem High-End-Popstudio aufgenommen habe und sie jemandem zu geben, der mehr den Underground repräsentiert, einen Stoner-Metal-Typen. Das sind zwei Welten, die da zusammenkommen. Das war cool und mir historisch sehr wichtig, den Seattle-Underground und mich verbindet eine lange Geschichte. Gemastert wurde die Platte dann in Chicago. Ich finde, sie ist ziemlich gut geworden.

Ich denke, rückblickend sind so viele Dinge zusammengekommen, die zusammen passten. Ich habe die Platte "Rock N Roll Consciousness" in einer Kirche aufgenommen, mit einem Gentleman, der am selben Tag Geburtstag hat wie ich. Diese Songs behandeln die Energie von Verbindung und Liebe. Drei Songs hat meine Freundin mitgeschrieben. Sie ist Autorin, Herausgeberin, feministische Gelehrte. Scholar. Sie ist aber kein Promi (lacht) – außer dadurch, dass sie mit mir zusammenlebt. Sie arbeitet neben mir im Studio. Bei ein paar Songs hatte ich nur die Musik und mir fehlten einfach Texte. Sie kam sofort mit vielen Ideen an. Stücke, die von feministischem Mystizismus handeln. Ich hatte ja beim letzten Album bereits einige ihrer Texte gesungen.

"Wir müssen die White-Power-Bewegung stoppen!"

Die Platte erscheint in einer äußerst obskuren Zeit für die USA – und für die gesamte Welt.

Das hatte ich allerdings nicht geplant, ist somit nicht meine Schuld. Ich habe die Demokraten gewählt. Am liebsten hätte ich für Bernie Sanders gestimmt, weil ich finde, dass er ein guter, progressiv-liberal-sozialistischer Kandidat ist. Er sollte der Präsident sein. Aber er ist es nicht. Statt dessen haben wir diesen völlig irregewordenen Psychopathen.

Es vergeht derzeit ja kein Tag ohne neue, immer obskurere Nachrichten von Trump.

Er ist ein Werkzeug der amerikanischen White-Power-Elite. Deren rassistische Agenda ist Rassismus und Krieg, sie arbeiten, um die muslimische Gesellschaft zu vernichten. Sie wollen einen heiligen Krieg, der von diesem Vollidioten im Amt kreiert werden soll. Deswegen versuche ich derzeit, so viel wie möglich die Opposition in Amerika zu unterstützen. Wir müssen uns zu einer großen Stimme vereinigen und Lärm machen. Das ist einfach wichtig: alles zu versuchen, um ihn auf legale Art zu stoppen. Ich denke, das passiert auch gerade: Er versucht, sich um eine Anklage herumzuwinden. Aber eines muss man ihnen zugestehen: Sie waren sehr smart und haben sich die Lücken im Wahlsystem zunutze gemacht.

Die Republikaner haben gewonnen, obwohl 2,5 Millionen Menschen mehr für Trumps Konkurrentin gestimmt haben. Das ist scheißegal. Er ist nicht der Präsident der Leute, er ist der White-Power-Präsident und sie haben ihn irgendwie durchgebracht. Wir hatten acht Jahre mit einem intellektuellen, artikulierten und studierten Juristen, einem Diplomaten. Auch er war in sehr vielen Ländern involviert, die ihn oder eine Hillary Clinton wahrscheinlich nicht mehr besonders mögen. Auch wegen ihnen mussten Familien sterben, ich verstehe die Ablehnung gegenüber den beiden und kann vieles nicht unterstützen. Deswegen favorisierte ich auch Bernie Sanders.

Und wenn jemand sagt, Trump wird alle unsere Feinde vernichten, dann muss ich einfach sagen: Nein, das wird er mit Sicherheit nicht, er wird in erster Linie uns alle vernichten und die ganze Welt auslöschen. Er hat eine so negative Energie, es ist irre. Man kann nur hoffen, dass er nicht die selbe narzisstische Agenda verfolgt wie Adolf Hitler, denn er hat wegen den Nuklearwaffen einfach noch mehr Kraft. Hitler hatte keine Nuklearwaffen, hätte er die gehabt, würden du und ich hier heute nicht miteinander reden. Deswegen hat eines in den USA oberste Priorität: Wir müssen die White-Power-Bewegung stoppen. Also lass uns loslegen!

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