laut.de-Kritik
Betörend, freigeistig und unberechenbar.
Review von Martin LeuteEin unheimlicher Gesangsschleier führt in das Intro ein, umrahmt von zärtlichem Spiel auf der Akustikgitarre. Gezupft wird sie vom australischen Singer/Songwriter und ausgebildeten Jazzgitarristen Tim McMillan, der im weiteren Verlauf seines zweiten Longplayers keine Gelegenheit auslässt, seine außergewöhnliche Klasse auszustellen.
Gitarrenfiguren aus Jazz, Folk und Klassik finden sich ebenso wie solche aus Rock und Weltmusik. Bei aller stilistischen Vielseitigkeit offenbart McMillan dabei immer wieder seine Indie-Affinität, die sich in seinem Fall als äußerst offen und experimentierfreudig erweist.
Im Zusammenspiel mit dem Schlagzeuger Matt Crutey, dem großartigen Perkussionisten Shane Evans und dem Bassisten Brad Lewis kreiert das Trio enorm spannungsreiche Kompositionen, arbeitet wirkungsvoll mit Brüchen und Tempowechseln. Immer wieder betten sich in die Arrangements die betörenden, tiefen und zweistimmig intonierten Gesangslinien mit einer Klangfarbe zwischen Mogwai, Swell und Iron, die den idealen Ausgleich und Ruhepol zur freigeistigen Instrumentierung bilden.
Der Sound mutet organisch an, wenn die Gitarre plötzlich expressiv und unbändig ihren eigenen Weg zu gehen scheint, um schließlich wieder mit entspanntem bis meditativem Saitenspiel beruhigende Klangflächen zu kreieren. Atmosphärisch pendelt McMillan zwischen hellen und dunklen Stimmungslagen, zwischen irritierender Unberechenbarkeit, geschmeidiger Harmonie, instrumentalem Soundtrack und klassischem Songschema. Kategorisieren lässt er sich mit dieser Platte kaum, faszinierend ist dieser gelungene Genre-Eklektizismus, der letztlich in Kohärenz aufgeht, allemal.
Mal greift er auf den asiatischen Klangraum zurück ("Candles"), mal deutet er ein Bluegrass-Intermezzo an ("Baden"), setzt pointierte Flamenco-Elemente ("Wilbur Song") oder fusioniert im Instrumental "Japan" Rock-Rhythmen mit Jazzgitarre. Mitnichten handelt es sich aber um ein Ethno-Album, vielmehr fungieren diese Stilmittel als dekorative Momente für diesen sphärischen, irgendwie naturalistischen Indiepop, der sich nicht um Konventionen schert.
Die Uneindeutigkeit des musikalischen Schaffens spiegelt sich auch auf der textlichen Ebene wider, wenn die Jungs mit Themen über australische Gefangene, Behinderungen oder Autounfälle eher Fragen offen lassen. Solche Schicksalsschläge mögen die geeignete
Basis für das filigrane Ensemble darstellen, das die vorgestellte Emotionalität und Tragik entsprechend umzusetzen vermag.
Dass Tim McMillan mit den gewitzten bis waghalsigen Gitarrenfiguren im Jazz wurzelt, hört man diesem feinsinnigen Werk an. Wie er mit seinem Können die Brücke zum Indie-Kontext schlägt, trägt mit der Überwindung herkömmlicher Songstrukturen dagegen postrockige Züge.
"2.13" ist nach einer Eingewöhnungsphase absolut hörenswert, wartet mit unzähligen Überraschungen und Wendungen auf und setzt sich nach mehrmaligem Durchlauf in den Gehörgängen fest.
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