laut.de-Kritik
Tom Pettys "Paranoid".
Review von Giuliano BenassiMit 80 Millionen verkauften Platten gehört der US-Amerikaner zu den erfolgreichsten Künstlern aller Zeiten. Er war ein Superstar, der keine Starallüren zeigte. Eher der ruhige, bodenständige Typ von nebenan, der sich mit einem Brot- und Butterjob über Wasser hält, ab und zu mal ein Bier trinkt oder eine Tüte raucht, dabei weder übermäßig glücklich noch unglücklich wirkt. Eines konnte Tom Petty aber wie kaum ein anderer: Mit seiner Gitarre ebendieses Lebensgefühl einfangen und damit Millionen von Zuhörern aus der Seele sprechen.
Selbst sein plötzlicher Tod weist Parallelen mit der Hörerschaft auf, denn Petty starb an jenen Medikamenten, die im neuen Jahrtausend in den USA Millionen von Menschen in die Drogensucht getrieben haben. Von Hüftschmerzen geplagt, hatte er Opioide verschrieben bekommen, um seine angekündigte letzte Tour durchzustehen. Kaum war sie zu Ende, waren die Schmerzen so groß, dass er im Alter von 66 Jahren am 2. Oktober 2017 zu viele davon nahm und nicht mehr aufwachte. Ein Schicksal, das in den USA im selben Jahr offiziellen Angaben zufolge etwa 17.000 Menschen ereilte.
Die vorliegende Sammlung zeigt, warum Petty so erfolgreich war. Der Opener ist ein perfektes Beispiel: Kurzes, einprägsames Riff, ein erster Verse, der neugierig macht ("She's a good girl / Loves her mama"), einen Ich-Bösewicht ("I'm a bad boy / For breaking her heart)" und ein Refrain, der zu vielen Lebenslagen passt: "Now I'm free / Free fallin'". Ein Stück, das für Petty so etwas wie "Paranoid" für Black Sabbath war: Von der ersten Note über den Text bis hin zur fertigen Aufnahme benötigten er und Produzent Jeff Lynne (Electric Light Orchestra) gerade mal eine halbe Stunde. 30 Minuten, um 3 Minuten für die (Rock-)Ewigkeit zu schaffen.
Songs zu schreiben, war für Petty nie ein Problem, trotzdem haderte er mit seinem Beruf. Als er mit Rick Rubin 1993 an einem Soloalbum arbeitete, das nach einer Schaffenskrise so etwas wie einen Neuanfang darstellen sollte, trommelte der Über-Produzent seine Begleitband The Heartbreakers zusammen, um für eine Best-Of ein Lied einzuspielen. DasRiff klingt "Sweet Home Alabama" erstaunlich ähnlich, Petty dichtete sich was über ein Mädchen namens Mary Jane zusammen (oder meinte er das Slang-Wort für Marijuana?), wenig später war "Mary Jane's Last Dance" fertig. Das Video, in dem Petty als Leichenbestatter die tote Kim Basinger wie eine Porzellanpuppe behandelt, tat den Rest: Die Best-Of verkaufte sich 10 Millionen Mal.
Später veranschaulichte das Stück die Bodenständigkeit Pettys: Als Red Hot Chili Peppers 2006 mit "Dani California" ein Lied veröffentlichten, das stellenweise recht ähnlich klang, legte man ihm eine Plagiatsklage nahe. Petty lehnte in einer Stellungnahme ab: "Es gibt doch schon genügend unnötige Gerichtsverfahren in diesem Land, da brauchen wir uns doch nicht wegen eines Popsongs zu streiten". Scheiß aufs Geld also - ohnehin hatte er mehr als genug davon.
Neben den Stücken mit Band und unter eigenem Namen veröffentlichte er zuletzt auch zwei Alben als Mudcrutch - der Name der Band, mit der er in Florida mehr oder weniger erfolglos musiziert hatte, bevor er seine Koffer packte und Mitte der 1970er Jahre auf der Suche nach dem großen Glück nach Los Angeles zog. Bezeichnenderweise wurden seine wesentlichen Mitstreiter kaum ausgetauscht. Gitarrist Mike Campbell und Keyboarder Benmont Tench standen ihm stets beiseite und sorgten so für eine erstaunliche Kontinuität in Pettys Schaffen von 1976 bis 2016.
Die Tracks dieser umfangreichen Anthologie sind nicht chronologisch angeordnet, fügen sich dennoch nahtlos aneinander. Ein weiterer erstaunlicher Aspekt in Pettys Karriere bleibt, dass er im Laufe der Jahre vom Klang her nicht gemäßigter, sondern eher kantiger wurde. Dem Radioformat blieb er zwar treu, doch besteht ein deutlicher Unterschied zwischen den ersten, fast schon glatt polierten Hits wie "American Girl" "Running Down A Dream", "Stop Draggin' My Heart Around" (mit Stevie Nicks) oder "Don't Come Around Here No More" (mit Dave Stewart) bis hin zu "American Dream Plan B" aus dem letzten Album mit den Heartbreakers von 2014, das schon fast wie eine Stoner-Interpretation Bob Dylans von Cameos Hit "Words Up" klingt.
Apropos: Neben dem hässlichen Foto auf dem Cover ist das größte Manko dieser Zusammenstellung, dass sie die Traveling Wilburys ignoriert. Selbst das gelungene Essay von Rolling Stone-Schreiber und Hollywood-Regisseur Cameron Crowe erwähnt sie nur beiläufig, dabei lieferten sie auf zwei Alben doch mehrere Hits, vor allem aber "Handle With Care" ab. Was für eine Line-Up: Dylan, George Harrison, Roy Orbison (nach dessen Tod Jeff Lynne) - als sie 1988 "Vol. 1" veröffentlichten, war der berühmteste und populärste von ihnen jedoch Petty. Ohne ihn wären die anderen nur das gewesen, was Harrison, ehemaliger Gitarrist der Beatles, im Sinn hatte: Eine Band aus Altmusikern, die auf die Schnelle die B-Seite für seine neue Single einspielen sollten. Ort: Dylans Studio. Zeit: ein Nachmittag. Name des Songs: die Aufschrift einer Schachtel, die im Studio herumstand. Worte und Musik: improvisiert. Ergebnis: zu gut für eine B-Seite, und dank Petty super zu vermarkten.
Von Rummel und immerwährenden Touren angeödet, bat Petty Produzent Rick Rubin um Rat, der dessen Karriere gleich in mehrfacher Hinsicht neuen Auftrieb gab: Mit besagtem "Mary Jane's Last Dance" und als Studiomusiker deluxe für Johnny Cash, dessen "American Recordings 2: Unchained" Petty 1996 mit einspielte. Auch davon ist hier kein Zeugnis zu finden, nicht mal im Essay.
Rubins wichtigster Beitrag aber war, Petty in seiner schwierigsten Lebensphase (Heroinsucht und Ende seiner Ehe nach zwei Jahrzehnten) zu begleiten. Das musikalische Ergebnis war "Wildflowers" (1994), Pettys wichtigstes Album, das hier zu Recht mit drei Stücken vertreten ist.
"It's time to move on, time to get going / What lies ahead, I have no way of knowing / But under my feet, baby, grass is growing / It's time to move on, it's time to get going" fasste er das Thema vieler seiner Stücke in "Time To Move On" zusammen. Petty knüpfte so an Jack Kerouacs Roman "Unterwegs" an (wobei der englische Titel "On The Road" wesentlich besser klingt): "Wir müssen los und dürfen nicht anhalten, bis wir dort sind", sagt der eine Hauptdarsteller zum anderen. "Wohin gehen wir?". "Keine Ahnung, aber wir müssen los".
So ähnlich klang 1991 es auch in einem Stück von Pettys eingängistem Album, "Into The Great Wide Open": "Well, I started out, down a dirty road / Started out all alone / ... / I'm learning to fly, but I ain't got wings / Coming down is the hardest thing" ("Learning To Fly").
Erlösung bot Petty nicht an, aber die Möglichkeit, sich mit seiner Musik ein bisschen (tiefgründige) Abwechslung zu gönnen. Vorliegende Compilation gibt dafür einen guten Überblick, selbst, wenn der Titel erst mal irreführend klingt - er bezieht sich weniger auf den Inhalt als auf einen Song von 1985, der hier in einer bisher unveröffentlichten Demofassung samt Zusatzstrophe die erste CD abschließt - bzw. die zweite Seite der zweiten LP in der gelungenen Vinyl-Fassung, die vier Platten und Booklet in Großformat in einem Schuber vereint.
Der letzte Song der Sammlung, "For Real", entstand 2000, schaffte es aber nicht aufs damalige Album. Wirklich einprägsam ist er demnach nicht, doch im Text gibt sich der blonde Musiker aus Florida noch mal nachdenklich. "One of the things I miss the most about Tom Petty is the fact he really was For Real. Won't don't have artists like him anymore. No need for electronics, auto tuning or any of that bullshit. Just pure talent and feelings", lautet ein Kommentar des dazu veröffentlichen Videos auf YouTube. Eine passende Zusammenfassung seines Werks.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Meine Erinnerung an Tom Petty hab ich mit dem Film „Schweigen der Lämmer“ verknüpft. Das erste Opfer hörte auf dem Nachhauseweg American Girl aus dem Autoradio und dann schlug der „Schmetterlingsmörder“ zu. VW Käfer, etwas jugendlich moppelig und lauthals am mitsingen. Das amerikanische naive junge Ding, Mama erfolgreiche Senatorin, das perfekte Opfer, der perfekte Song!
Gut, dass Du uns die Szenerie aus diesem ja doch recht unbekannten Film so wunderschön erläuterst.
"Schmetterlingsmörder" wird so im Film natürlich nie gesagt und die Tochter der Senatorin ist nicht das erste Opfer.
Vielleicht meinte er ja Butterfly Effect. Ist ja auch so ein ähnliches Independent Movie
er wieder ^^
Ist die Tochter überhaupt ein Opfer? Überlebt die nicht das Ganze?
macht sie das deshalb etwa nicht zum opfer?
War sie nicht der Mörder? Oder Schmetterlingssammler?
Confused
Fair point, MonsieurDeLeMonde
Für mich auf jeden Fall einer der grossen Künstler aus den USA. In Deutschland hatte ich oft das Gefühl, dass viele Leute nie wirklich einen Bezug zu seiner Musik gefunden haben. Klar waren da die Hits wie Learning to Fly oder Free Fallin, aber viele kennen wirklich nicht mehr. Ist halt mein subjektiver Eindruck.
Als sein Tod verkündigt wurde, bestätigte der Eindruck sich eigentlich nur. Schade irgendwie.
2018 ist ebenfalls "An American Treasure" rausgekommen. Was auch eine gute Sammlung darstellt.
Für mich beide 5/5.