laut.de-Kritik

Keine Angst vor großen Gesten.

Review von

Wenn der erste Song einer Platte "Wir explodieren" heißt und von einer Band gespielt wird, die sich Trümmer nennt, dann ist das eine Ansage. Eine zärtliche Drohung, eine dunkle Vorahnung. Diese Platte wird verändern, zerstören und umgraben. Der Opener beginnt dann aber außergewöhnlich poppig, der Background treibend mit Bass und Drum-Spuren ausgemalt. Sänger Paul Pötsch flüstert sich eingängig durch die Strophe, in denen er dezent dystopische, rebellische Grundlinien zeichnet.

Dort aber: Keine Destruktion, sondern Hoffnung. Und Romantik. "Eingehüllt in roten Dunst, winden und verlieren wir uns" Im Refrain folgt die Selbstanalyse, die sich direkt in die Gehörgänge frisst: "Wir sind die Kinder, vor denen uns die Eltern warnten. Wie explodieren in den allerschönsten Farben. (...) Wir eskalieren in den allerschönsten Phasen. (...) Komm wir explodieren, eskalieren" Genau genommen ist "Wir explodieren" mehr Post-Pop als Post-Punk. Eine impulsive Überraschung, die uns Hörer angesichts dieser fast perfekten Komposition direkt vor den Kopf stößt und doch oder gerade deswegen auf direktem Wege in die "Interzone" hineinzieht.

Die vergangenen beiden Jahre waren in jeder Hinsicht extrem für Trümmer. Am Anfang stand das Debüt, gefolgt von unzählige Konzerten und Festivalauftritten. Zuerst in Jugendclubs, dann auf den großen Bühnen. Dazu die klassische Hochkultur: Eine Produktion mit dem Hamburger Thalia hier, die eigene Punkrock-Oper "Vincent" für das Berliner Haus der Kulturen da. Dann folgten die Preise, die Auszeichnungen, das überschwängliche Lob. Das ist eine Menge Holz für eine so junge Band, die on the road, zwischen den Stühlen und leergesoffenen Bierflaschen mit der Arbeit an ihrem zweiten Album "Interzone" beginnt. Die entscheidenden Fragen, während sich der Druck aufbaut: Bleibst du auf der selben Spur? Biegst du ab? Reißt du das Steuer komplett herum? Ist das noch Postpunk?

"Interzone" klingt keinesfalls abgestumpft, sondern viel komplexer, überschwänglicher und euphorischer als der Vorgänger. Schnell wird klar, dass wir es hier mit einer Truppe von außergewöhnlichen Songwritern zu tun haben, die sowohl die Reduktion, aber auch den Kitsch als legitime Mittel in ihre Songs einspeisen. Wir denken an Wanda und AnnenMayKantereit. An Isolation Berlin. Und all die zitierten Vorbilder, die von der neuesten deutschen Welle mitgeschwemmt werden.

Ins Zentrum rücken die Texte: Denn im Gegensatz zu den teils ausufernden Songstrukuren besitzen die wirklich einen ranzigen Punkrock-Spirit und vermitteln das Gefühl, dass hier Sprache so stattfindet, wie sie sein sollte und wie sie wahrscheinlich wirklich ist. Vital, krumm, verborgen, nur selten fassbar, vielleicht peinlich, weil ehrlich. Ohne erzwungene Komplexität entwickelt sich die Poesie aus der reinen und auch mal dahin gerotzten Schlichtheit. "Viele dieser Texte waren einfach da, ohne dass man so richtig sagen konnte, wie sie entstanden sind.", meint Paul Pötsch zu seiner rohen Art des Textens. Ganz anders der musikalische Aufbau der Platte. Der scheint bis in die letzte Ecke durchdacht und sprudelt regelrecht vor kleinen Ideen und Abweichungen über.

Die erste Hälfte von "Interzone" bleibt extrem eingängig und folgte dem von "Wir explodieren" vorgegebenen Programm. "Dandys Im Nebel" tönt sexy, smooth, swaggy, tanzbar. Das klingt amerikanisch, größenwahnsinnig, vielleicht nach Las Vegas, vielleicht nach Roadtrip, nach Wüste, nach Bowie, nach David Lynch – und dann eben doch wieder nach Asphalt und Berlin und Hamburg. "Es geht um Hokuspokus – Kontrollverlust (...) Der Zug ist abgefahren, doch ich sitz längst drin". "Nitroglycerin" ist dann wohl die Rio Reiser beschwörende Trümmer-Version eines Liebesliedes und schmiert diesen seltsam euphorischen Vibe an die nächste Soundwand. "Und mein Herz pocht schneller, schneller, wir sind somewhere in between, die Sterne leuchten heller, heller, wir sind Nitroglycerin".

Mit "Europa Mega Monster Rave" sprengt sich die Platte dann irgendwie selbst in Stücke. Der Song ist so radikal seltsam, dass er problemlos auch auf einem Fraktus-Album Platz gefunden hätte. Und es bleibt unklar, ob das jetzt Parodie oder (politisches) Statement ist. Am Ende bleibt eine offene Leerstelle, die im direkten Anschluss von "5:30" und "Gin Tonic & Wodka Soda" aufgefüllt wird. Die beiden Songs erfüllen nun endlich die lang ersehnte und eingangs prophezeite Zerstörungswut und scheppern ordentlich aggressiv gegen die Trommelfelle. Hier wird dann Pop zu Punk und Trümmer verdeutlichen, wie nahe und artverwandt diese beiden Begriffe sein können. Und welche Sprengkraft ihre Kombination in sich trägt – wenn man sich nur den hier fast schon nihilistischen Ritt auf der Rasierklinge zutraut.

"Interzone" ist ein unfassbares Album – weil es sich seinen Zuhörern irgendwie total entzieht. Trümmer offenbaren eine erdrückende, fast kitschige Epik und markieren dabei den Soundtrack der deutschen Großstadt. Diese Größe aber stellt sich bald als falsche Spur heraus, die unmerklich im Sand verläuft. Denn im zweiten Hördurchgang ist "Interzone" dann plötzlich ein kleines Album, verkopft und verschwurbelt. Der Soundtrack einer durchzechten, gesprengten Nacht. Diese beiden diskursiven Eckpfeiler stecken ein merkwürdiges Versuchsfeld ab, das mit seinen ausladenden Gesten auch irgendwie nach 80er Jahre klingt und dort die üblichen Verdächtigen zum Tanz auffordert: Joy Division, Kraftwerk, Nick Cave, Iggy Pop, später dann Tocotronic und die Hamburger Schule. Und ihr merkt schon, wie ich mit diesem Album ringe. Weil es provoziert und kratzt und beißt und sich dann wieder anschmiegt wie eine Hauskatze. Und damit so punktgenau in unsere Zeit passt...

Trackliste

  1. 1. Wir explodieren
  2. 2. Neoncity
  3. 3. Grüße aus der Interzone
  4. 4. Nitroglyzerin
  5. 5. Dandys im Nebel
  6. 6. Wie betrunkene Astronauten
  7. 7. Europa Mega Monster Rave
  8. 8. 05:30
  9. 9. Gin Tonic & Wodka Soda
  10. 10. Das Glitzern der Nacht
  11. 11. Wozu noch Angst

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