laut.de-Kritik

Kunterbunte Collage mit künftigen Klassikern.

Review von

Es braucht knapp 90 Sekunden, bis Vampire Weekend richtig loslegen und das erste entschlossene Rock-Riff krachen lassen. Auf dem NYC-Themenalbum "Only God Was Above Us" wirkt lyrisch wie musikalisch alles verschlüsselt und mehrfach verpackt. Beim Hören lässt sich man sich also entweder auf hermetisch verriegelten Artpop ein oder fieselt die Clous, die in den Songs schlummern, in geduldiger Wiederholung aus ihren Verschalungen heraus. So lassen sie sich auspacken wie mehrschichtig mit Schleifen, Bändchen, Glitzerpapier, Styropor und Dämmmaterial umhüllte Geschenke - im detektivischen Auspacken steckt der Reiz.

Zehn Tracks entstanden in den letzten fünf Jahren. Vampire Weekend haben eine abgefahrene Inspiration zu ihrem Werk aus der jüngeren Geschichte des Big Apple gezogen. In diesem Hintergrund, die Stadt (in einer Ära vor dem 11.9.2001) darzustellen, liegt die Ursache für den verschachtelten Charakter aller Stücke. Wie auch immer die New Yorker dann genau die Kurve zum finalen Album bekommen haben - da lassen sich die Assoziationen kaum transparent erkennen und die Zwischenschritte dem fertigen Longplayer nicht anmerken. Er ist ein schwer durchdringbarer Brocken von der Schönheit eines missionarisch gedachten Werks: Es will viel in den Hörer:innen auslösen, unbändig viel mitteilen, steckt voller liebenswerter Details.

Jedenfalls verhalten sich die Texte, ganz anders als auf dem Vorgänger "Father Of The Bride", eher kryptisch, fragmentarisch, abgerissen. Sie verlangen danach, dass man wüsste, was ihre Aufhänger waren. Den Satz "Have a clue / with times / it becomes classical", aus dem Song "Classical", darf man getrost wörtlich nehmen. Es bräuchte einen Hinweis, einen Clou, und mit der Zeit würde es dann zum Klassiker werden. Manche Zeilen hämmert uns Ezra Koenig wie ein Mantra ein, zum Beispiel "it's just something people say" im Lied "Prep-School Gangsters".

Auch musikgestalterisch herrscht ein Kontrast zum luftigen Vorgänger mit seinen süßen kleinen kurzen Stücken. Die neuen zeichnen sich mehr durch Bombast-Phasen und längere Spannungsbögen aus. Ästhetisch herrscht bei der zum Trio geschrumpften Band an Klangdichte und interessanten Verläufen keinerlei Mangel. Bei der Opulenz der Klangfarben und -mittel lässt sich von Barock-Pop sprechen.

Der Track "Classical" zeugt davon, dass die Band den Freejazz Chicagos aus den späten 60ern die Band gehört, unterbewusst mit ihm geliebäugelt haben mag. Sie inkorporiert entsprechende Rhythmus-Brüche. Außerdem arbeiten die Vampire mit einem Streicherensemble.

Hinzu kommen, scheinbar ohne Rücksicht auf Kosten, Aufwand oder Pop-Tauglichkeit, breit eingesetzt Bläser, Orgel, Verstärker. Die Gruppe wildert in den Koordinatensystemen von Klassik, Jazz, Fusion ("Connect"), Trip Hop/Downbeat ("The Surfer", "Mary Boone"), Songwriter-Liedstrukturen, Easy Listening und Rock völlig flexibel. Immer wieder, so im Opener, herrscht Rummelplatz-Feeling: So, als würde man im Kreis sausen, Achterbahn fahren etcetera.

Wenn man 'denkt', man habe die Songs intus und 'verstanden', oder sie seien zuende, biegen sie um die Kurve, schlagen einen neuen Haken. So geschieht es in "Prep-School Gangsters", wo der Sound sich allmählich der Mbira-Rhythmik des südafrikanischen Lands Simbabwe verschreibt, die dort mit Daumenklavier ausgelebt wird. Zum Schluss, von Minute 3'24"-3'43", schaltet sich ein Bratschen- und Cello-Stakkato ein, bevor ein einzelner abgerissener Kirchenorgel-Ton der spannenden Komposition den i-Tupfer aufsetzt. Bis dahin läuft das unsterblich schöne Stück als das geradlinigste der Scheibe.

Das acht-minütige "Hope" dürfte in seiner niedlichen Verspieltheit ein Highlight für Fans des Bombay Bicycle Club sein. Meint man, das Lied sei vorbei, mündet es ab Minute vier in einen edlen Bläsersatz und zur Harmonieführung gegenläufigen C-Teil. Ausgedehnte Instrumental- und Noise-Sequencer-Parts dehnen das Stück. Zum Glück wiederholt sich später der coole Bläser-Abschnitt, ein weiteres Highlight des Albums.

Vampire Weekend liefern wieder ein Lehrstück in Eklektizismus. Industrial-Momente im Opener "Ice Cream Piano", weiche Benny Sings-Soul-Momente in "Connect", wippende, groovende Streichersequenzen in "Capricorn", die Owen Pallett nahe stehen, all das tragen Ezra und seine beiden Mitstreiter zu einer kunterbunten Collage zusammen. Romantik des 19. Jahrhunderts trifft auf einen Touch schwermütigen Folk und super-eingängige Beach Boys-Sonnigkeit. "Capricorn" ist zugleich eine Keyboards-Schlagzeug-Ballade mit einem glibberig klingenden instrumentalen Mittelteil und Akustikgitarre-Outro. Das Video spielt auch auf die perspektivlosen Seiten der mitunter verwahrlosten Touri- und Wallstreet-Metropole an. Den uniquen Trademark-Sound der Band beizubehalten, scheint erst mal folgerichtig, ihn mit neuen Schlenkern komplexer anzureichern geht ebenfalls in Ordnung.

Trackliste

  1. 1. Ice Cream Piano
  2. 2. Classical
  3. 3. Capricorn
  4. 4. Connect
  5. 5. Prep-School Gangsters
  6. 6. The Surfer
  7. 7. Gen-X Cops
  8. 8. Mary Boone
  9. 9. Pravda
  10. 10. Hope

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